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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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lichkeit, der allseitigen Verantwortlichkeit, der untrennbaren Verbindung zwischen
Politischen Recht und politischer Pflicht, das alle diese Kreise durchdrang und
die ängstliche Berechnung des persönlichen Vortheils bei jeder Pflichtleistung,
an der die modernen Staaten kranken, gar nicht aufkommen ließ, "Das Hundert
wie das Borough waren auf Gegenseitigkeit gegründete Versicherungsverbünde,
Jeder männliche Einwohner legte bei Erreichung eines gewissen Alters das
kviuzs-xlsäg's ab, das Versprechen, den Frieden zu bewahren an sich und andern.
Die Erhaltung des Friedens, die Sicherheitspolizei nach modernem Sprach-
gebrauche, war die Pflicht und Ehre aller,"

Die Grafschaften bildeten, als die sieben oder acht angelsächsischen König¬
reiche sich zu einem Staate vereinigt, das Reich, (^ommvir-vsaM. Erst im
Verkehre der Grafschaften mit einander sehen wir Repräsentanten auftreten. Die
Vorsteher der einzelnen Gruppen bildeten die "große Rathsversammlung des
Landes", die später Parlament genannt wurde, und übten in Angelegenheiten,
die über den Kreis der Grafschaften hinausreichten, dieselben Functionen aus
wie die Graftschaftsversammlungen: sie fanden Recht, wendeten die Regel auf
den concreten Fall an, waren richterlich, administrativ, diplomatisch, dagegen nur
selten gesetzgeberisch thätig. Das ganze Parlament, nicht bloß wie jetzt das
Oberhaus, war zu richterliche" Functionen befugt, und das dauerte fort bis ins
vorige Jahrhundert. Noch 1724 wurde ein Bischof vom Unterhause durch eine
Bill, die alle Stadien eines Gesetzes durchlief und die Zustimmung des Königs
erhielt, wegen Hochverraths verurtheilt.

Den Vorsitz in der Landesversammlung führte der König. Er wurde ge¬
wählt, wie es das alte deutsche Recht verlangte, aber auf Lebenszeit. Noch
die vier ersten Fürsten der normännischen Dynastie bestiegen durch Wahl den
Thron. Er durfte keine Gesetze geben, sondern war nur der oberste Wächter
von Recht und Gesetz. Er befahl, aber nur das, was gesetzmäßig war, denn
er hatte geschworen, "anfrecht zu halten die Gesetze und Gewohnheiten, die das
Volk sich erwählt." Nicht bloß staatsrechtliche Schriftsteller, sondern anch das
Parlament und die Könige faßten die Sache so auf. Als nnter Karl I. die
>'sM"n <>t' KiMs berathen wurde und eine Botschaft des Königs das Unter¬
haus mit dessen lebhaftem Gerechtigkeitssinn beruhigen sollte, erhob sich Code,
der Patriarch der englischen Jurisprudenz, und sprach u. a.: "Ist es je erhört,
daß allgemeine Erklärungen als hinreichende Genugthuungen für specielle Be¬
schwerden betrachtet werden? Sind Beschwerden vorhanden, so ist das Paria-
'"ent da, ihnen abzuhelfen. Des Königs Antwort ist sehr gnädig, aber die
Frage ist: was ist das Landesrecht? Ich hege kein Mißtrauen gegen S. Majestät,
'iber es gebührt sich, daß der König durch eine Urkunde und durch specielle
'


GRlezt'M'" I, 1881. M

lichkeit, der allseitigen Verantwortlichkeit, der untrennbaren Verbindung zwischen
Politischen Recht und politischer Pflicht, das alle diese Kreise durchdrang und
die ängstliche Berechnung des persönlichen Vortheils bei jeder Pflichtleistung,
an der die modernen Staaten kranken, gar nicht aufkommen ließ, „Das Hundert
wie das Borough waren auf Gegenseitigkeit gegründete Versicherungsverbünde,
Jeder männliche Einwohner legte bei Erreichung eines gewissen Alters das
kviuzs-xlsäg's ab, das Versprechen, den Frieden zu bewahren an sich und andern.
Die Erhaltung des Friedens, die Sicherheitspolizei nach modernem Sprach-
gebrauche, war die Pflicht und Ehre aller,"

Die Grafschaften bildeten, als die sieben oder acht angelsächsischen König¬
reiche sich zu einem Staate vereinigt, das Reich, (^ommvir-vsaM. Erst im
Verkehre der Grafschaften mit einander sehen wir Repräsentanten auftreten. Die
Vorsteher der einzelnen Gruppen bildeten die „große Rathsversammlung des
Landes", die später Parlament genannt wurde, und übten in Angelegenheiten,
die über den Kreis der Grafschaften hinausreichten, dieselben Functionen aus
wie die Graftschaftsversammlungen: sie fanden Recht, wendeten die Regel auf
den concreten Fall an, waren richterlich, administrativ, diplomatisch, dagegen nur
selten gesetzgeberisch thätig. Das ganze Parlament, nicht bloß wie jetzt das
Oberhaus, war zu richterliche» Functionen befugt, und das dauerte fort bis ins
vorige Jahrhundert. Noch 1724 wurde ein Bischof vom Unterhause durch eine
Bill, die alle Stadien eines Gesetzes durchlief und die Zustimmung des Königs
erhielt, wegen Hochverraths verurtheilt.

Den Vorsitz in der Landesversammlung führte der König. Er wurde ge¬
wählt, wie es das alte deutsche Recht verlangte, aber auf Lebenszeit. Noch
die vier ersten Fürsten der normännischen Dynastie bestiegen durch Wahl den
Thron. Er durfte keine Gesetze geben, sondern war nur der oberste Wächter
von Recht und Gesetz. Er befahl, aber nur das, was gesetzmäßig war, denn
er hatte geschworen, „anfrecht zu halten die Gesetze und Gewohnheiten, die das
Volk sich erwählt." Nicht bloß staatsrechtliche Schriftsteller, sondern anch das
Parlament und die Könige faßten die Sache so auf. Als nnter Karl I. die
>'sM»n <>t' KiMs berathen wurde und eine Botschaft des Königs das Unter¬
haus mit dessen lebhaftem Gerechtigkeitssinn beruhigen sollte, erhob sich Code,
der Patriarch der englischen Jurisprudenz, und sprach u. a.: „Ist es je erhört,
daß allgemeine Erklärungen als hinreichende Genugthuungen für specielle Be¬
schwerden betrachtet werden? Sind Beschwerden vorhanden, so ist das Paria-
'"ent da, ihnen abzuhelfen. Des Königs Antwort ist sehr gnädig, aber die
Frage ist: was ist das Landesrecht? Ich hege kein Mißtrauen gegen S. Majestät,
'iber es gebührt sich, daß der König durch eine Urkunde und durch specielle
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GRlezt'M'» I, 1881. M
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[0197] lichkeit, der allseitigen Verantwortlichkeit, der untrennbaren Verbindung zwischen Politischen Recht und politischer Pflicht, das alle diese Kreise durchdrang und die ängstliche Berechnung des persönlichen Vortheils bei jeder Pflichtleistung, an der die modernen Staaten kranken, gar nicht aufkommen ließ, „Das Hundert wie das Borough waren auf Gegenseitigkeit gegründete Versicherungsverbünde, Jeder männliche Einwohner legte bei Erreichung eines gewissen Alters das kviuzs-xlsäg's ab, das Versprechen, den Frieden zu bewahren an sich und andern. Die Erhaltung des Friedens, die Sicherheitspolizei nach modernem Sprach- gebrauche, war die Pflicht und Ehre aller," Die Grafschaften bildeten, als die sieben oder acht angelsächsischen König¬ reiche sich zu einem Staate vereinigt, das Reich, (^ommvir-vsaM. Erst im Verkehre der Grafschaften mit einander sehen wir Repräsentanten auftreten. Die Vorsteher der einzelnen Gruppen bildeten die „große Rathsversammlung des Landes", die später Parlament genannt wurde, und übten in Angelegenheiten, die über den Kreis der Grafschaften hinausreichten, dieselben Functionen aus wie die Graftschaftsversammlungen: sie fanden Recht, wendeten die Regel auf den concreten Fall an, waren richterlich, administrativ, diplomatisch, dagegen nur selten gesetzgeberisch thätig. Das ganze Parlament, nicht bloß wie jetzt das Oberhaus, war zu richterliche» Functionen befugt, und das dauerte fort bis ins vorige Jahrhundert. Noch 1724 wurde ein Bischof vom Unterhause durch eine Bill, die alle Stadien eines Gesetzes durchlief und die Zustimmung des Königs erhielt, wegen Hochverraths verurtheilt. Den Vorsitz in der Landesversammlung führte der König. Er wurde ge¬ wählt, wie es das alte deutsche Recht verlangte, aber auf Lebenszeit. Noch die vier ersten Fürsten der normännischen Dynastie bestiegen durch Wahl den Thron. Er durfte keine Gesetze geben, sondern war nur der oberste Wächter von Recht und Gesetz. Er befahl, aber nur das, was gesetzmäßig war, denn er hatte geschworen, „anfrecht zu halten die Gesetze und Gewohnheiten, die das Volk sich erwählt." Nicht bloß staatsrechtliche Schriftsteller, sondern anch das Parlament und die Könige faßten die Sache so auf. Als nnter Karl I. die >'sM»n <>t' KiMs berathen wurde und eine Botschaft des Königs das Unter¬ haus mit dessen lebhaftem Gerechtigkeitssinn beruhigen sollte, erhob sich Code, der Patriarch der englischen Jurisprudenz, und sprach u. a.: „Ist es je erhört, daß allgemeine Erklärungen als hinreichende Genugthuungen für specielle Be¬ schwerden betrachtet werden? Sind Beschwerden vorhanden, so ist das Paria- '"ent da, ihnen abzuhelfen. Des Königs Antwort ist sehr gnädig, aber die Frage ist: was ist das Landesrecht? Ich hege kein Mißtrauen gegen S. Majestät, 'iber es gebührt sich, daß der König durch eine Urkunde und durch specielle ' GRlezt'M'» I, 1881. M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/197>, abgerufen am 01.11.2024.