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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Iveltpolilik

ragenden Mohammedaner würden sich wie vordem Indien unterwerfen. Sie
waren die Seele des Aufstandes von 1857, und zehn Jahre später schilderte
der treffliche Kenner Indiens, Sir W. Temple, den unversöhnlichen Haß der
Mohammedaner als die größte Gefahr der englischen Herrschaft in Indien. Er
sagte: "Den Tiger quält der Hunger nach seiner Beute uicht mehr als den fanati¬
schen Muselmann in Indien der Durst nach dem Blut des Weißen Ungläubigen."
Man muß hier an die Geographie von Indien erinnern, das nur zur Hälfte
Tropenland ist, zur andern tief in die stählenden Gebirge und Hochebuen
Jnnerasiens hineinreicht. Gerade in dieser nördlichen Hälfte sitzt nun die selbst¬
bewußte, kriegerische mohammedanische Bevölkerung vom Hindukusch bis zur
See im ganzen Jndusthal. Sie ist den erschlaffenden Wirkungen des Tief¬
lands entzogen, aber dem Einfluß ihrer Glaubensgenossen in Afghanistan und
Mittelasien ausgesetzt. Es ist nicht zu vergessen, daß besonders die Städte reich
an Mohammedanern sind. Und gerade diese gehören zu den strengsten An¬
hängern des Propheten. Die Überwachung der Mohammedaner nimmt ein
gutes Teil der Regierungssorgen in Anspruch. Sie muß darauf achten, daß
keine zu engen Beziehungen über die Grenze hinaus angesponnen werden, und
verschmäht zu diesem Zweck auch kleine Mittel nicht. Unter dem Titel: "Für¬
sorge für die Gesundheit in Seeplätzen und Passagierschiffen" hat es die indische
Regierung verstanden, die Massenwanderungen nach Mekka unter ihre Aufsicht
zu bringen. Sie hat sogar Jahre hindurch das Cooksche Reisebüreau unter¬
stützt, damit es die Pilgerreise" nach Arabien in seine Hand nehme, und hat
sich erst jüngst angesichts eines großen Mißerfolgs zurückgezogen. In den
Häfen sind Beamte mit der Inspektion der Pilgerschiffe beauftragt, und sie
üben sie streng nach hygienischen, aber noch strenger nach politischen Rück¬
sichten.

Die religiösen Gegensätze sind auf der einen Seite ein ungeheurer Vorteil
für England, da sie die fähigsten unter den Völkern Indiens zu einander in
Gegensatz bringen. Ans der andern Seite droht immer die Gefahr, daß die
Flammen des Fanatismus ausbrechen, und daß in einem Kampfe zwischen
Mohammedanern und Brahmagläubigcn die Europäer den größten Schaden
leiden. In dem Gewände der Religionsunterschiede kommen die alten Nassen-
unterschiede wieder zur Wirkung. Dem beweglichen Bengali steht der ernstere,
schwerfälligere Mohammedaner des Nordwestens als ein ganz andrer Charakter
gegenüber. Dazu kommt der isolirende Einfluß des fast rein religiösen Unter¬
richts der mohammedanischen Jugend im Gegensatz zu dem weltlich und westlich
geschulten Hindu. Die Mohammedaner zeigen vor allem in Bengalen einen
tiefen Widerwillen gegen die Hindu, die sie nicht bloß wegen ihres Heidentums
verachten, sondern in denen sie auch Feinde ihres Wohlergehens erblicken. Es
ist Thatsache, daß sich die gewandten, schmiegsamen Hindu enger an die Eng¬
länder angeschlossen haben als die stolzen Mohammedaner, daher auch einen


Zur Kenntnis der englischen Iveltpolilik

ragenden Mohammedaner würden sich wie vordem Indien unterwerfen. Sie
waren die Seele des Aufstandes von 1857, und zehn Jahre später schilderte
der treffliche Kenner Indiens, Sir W. Temple, den unversöhnlichen Haß der
Mohammedaner als die größte Gefahr der englischen Herrschaft in Indien. Er
sagte: „Den Tiger quält der Hunger nach seiner Beute uicht mehr als den fanati¬
schen Muselmann in Indien der Durst nach dem Blut des Weißen Ungläubigen."
Man muß hier an die Geographie von Indien erinnern, das nur zur Hälfte
Tropenland ist, zur andern tief in die stählenden Gebirge und Hochebuen
Jnnerasiens hineinreicht. Gerade in dieser nördlichen Hälfte sitzt nun die selbst¬
bewußte, kriegerische mohammedanische Bevölkerung vom Hindukusch bis zur
See im ganzen Jndusthal. Sie ist den erschlaffenden Wirkungen des Tief¬
lands entzogen, aber dem Einfluß ihrer Glaubensgenossen in Afghanistan und
Mittelasien ausgesetzt. Es ist nicht zu vergessen, daß besonders die Städte reich
an Mohammedanern sind. Und gerade diese gehören zu den strengsten An¬
hängern des Propheten. Die Überwachung der Mohammedaner nimmt ein
gutes Teil der Regierungssorgen in Anspruch. Sie muß darauf achten, daß
keine zu engen Beziehungen über die Grenze hinaus angesponnen werden, und
verschmäht zu diesem Zweck auch kleine Mittel nicht. Unter dem Titel: „Für¬
sorge für die Gesundheit in Seeplätzen und Passagierschiffen" hat es die indische
Regierung verstanden, die Massenwanderungen nach Mekka unter ihre Aufsicht
zu bringen. Sie hat sogar Jahre hindurch das Cooksche Reisebüreau unter¬
stützt, damit es die Pilgerreise» nach Arabien in seine Hand nehme, und hat
sich erst jüngst angesichts eines großen Mißerfolgs zurückgezogen. In den
Häfen sind Beamte mit der Inspektion der Pilgerschiffe beauftragt, und sie
üben sie streng nach hygienischen, aber noch strenger nach politischen Rück¬
sichten.

Die religiösen Gegensätze sind auf der einen Seite ein ungeheurer Vorteil
für England, da sie die fähigsten unter den Völkern Indiens zu einander in
Gegensatz bringen. Ans der andern Seite droht immer die Gefahr, daß die
Flammen des Fanatismus ausbrechen, und daß in einem Kampfe zwischen
Mohammedanern und Brahmagläubigcn die Europäer den größten Schaden
leiden. In dem Gewände der Religionsunterschiede kommen die alten Nassen-
unterschiede wieder zur Wirkung. Dem beweglichen Bengali steht der ernstere,
schwerfälligere Mohammedaner des Nordwestens als ein ganz andrer Charakter
gegenüber. Dazu kommt der isolirende Einfluß des fast rein religiösen Unter¬
richts der mohammedanischen Jugend im Gegensatz zu dem weltlich und westlich
geschulten Hindu. Die Mohammedaner zeigen vor allem in Bengalen einen
tiefen Widerwillen gegen die Hindu, die sie nicht bloß wegen ihres Heidentums
verachten, sondern in denen sie auch Feinde ihres Wohlergehens erblicken. Es
ist Thatsache, daß sich die gewandten, schmiegsamen Hindu enger an die Eng¬
länder angeschlossen haben als die stolzen Mohammedaner, daher auch einen


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[0507] Zur Kenntnis der englischen Iveltpolilik ragenden Mohammedaner würden sich wie vordem Indien unterwerfen. Sie waren die Seele des Aufstandes von 1857, und zehn Jahre später schilderte der treffliche Kenner Indiens, Sir W. Temple, den unversöhnlichen Haß der Mohammedaner als die größte Gefahr der englischen Herrschaft in Indien. Er sagte: „Den Tiger quält der Hunger nach seiner Beute uicht mehr als den fanati¬ schen Muselmann in Indien der Durst nach dem Blut des Weißen Ungläubigen." Man muß hier an die Geographie von Indien erinnern, das nur zur Hälfte Tropenland ist, zur andern tief in die stählenden Gebirge und Hochebuen Jnnerasiens hineinreicht. Gerade in dieser nördlichen Hälfte sitzt nun die selbst¬ bewußte, kriegerische mohammedanische Bevölkerung vom Hindukusch bis zur See im ganzen Jndusthal. Sie ist den erschlaffenden Wirkungen des Tief¬ lands entzogen, aber dem Einfluß ihrer Glaubensgenossen in Afghanistan und Mittelasien ausgesetzt. Es ist nicht zu vergessen, daß besonders die Städte reich an Mohammedanern sind. Und gerade diese gehören zu den strengsten An¬ hängern des Propheten. Die Überwachung der Mohammedaner nimmt ein gutes Teil der Regierungssorgen in Anspruch. Sie muß darauf achten, daß keine zu engen Beziehungen über die Grenze hinaus angesponnen werden, und verschmäht zu diesem Zweck auch kleine Mittel nicht. Unter dem Titel: „Für¬ sorge für die Gesundheit in Seeplätzen und Passagierschiffen" hat es die indische Regierung verstanden, die Massenwanderungen nach Mekka unter ihre Aufsicht zu bringen. Sie hat sogar Jahre hindurch das Cooksche Reisebüreau unter¬ stützt, damit es die Pilgerreise» nach Arabien in seine Hand nehme, und hat sich erst jüngst angesichts eines großen Mißerfolgs zurückgezogen. In den Häfen sind Beamte mit der Inspektion der Pilgerschiffe beauftragt, und sie üben sie streng nach hygienischen, aber noch strenger nach politischen Rück¬ sichten. Die religiösen Gegensätze sind auf der einen Seite ein ungeheurer Vorteil für England, da sie die fähigsten unter den Völkern Indiens zu einander in Gegensatz bringen. Ans der andern Seite droht immer die Gefahr, daß die Flammen des Fanatismus ausbrechen, und daß in einem Kampfe zwischen Mohammedanern und Brahmagläubigcn die Europäer den größten Schaden leiden. In dem Gewände der Religionsunterschiede kommen die alten Nassen- unterschiede wieder zur Wirkung. Dem beweglichen Bengali steht der ernstere, schwerfälligere Mohammedaner des Nordwestens als ein ganz andrer Charakter gegenüber. Dazu kommt der isolirende Einfluß des fast rein religiösen Unter¬ richts der mohammedanischen Jugend im Gegensatz zu dem weltlich und westlich geschulten Hindu. Die Mohammedaner zeigen vor allem in Bengalen einen tiefen Widerwillen gegen die Hindu, die sie nicht bloß wegen ihres Heidentums verachten, sondern in denen sie auch Feinde ihres Wohlergehens erblicken. Es ist Thatsache, daß sich die gewandten, schmiegsamen Hindu enger an die Eng¬ länder angeschlossen haben als die stolzen Mohammedaner, daher auch einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/507>, abgerufen am 15.05.2024.