Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches und an die mein seitdem glaubte, und merken nicht, daß diese Ideen veralten. Was Betrachten wir eine Frage, die zur Zeit ganz besonders den Gegenstand des Maßgebliches und Unmaßgebliches und an die mein seitdem glaubte, und merken nicht, daß diese Ideen veralten. Was Betrachten wir eine Frage, die zur Zeit ganz besonders den Gegenstand des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225780"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_462" prev="#ID_461"> und an die mein seitdem glaubte, und merken nicht, daß diese Ideen veralten. Was<lb/> sie „Reaktion" nennen, ist freilich eine Reaktion, aber nicht in ihrem Sinne. Es ist<lb/> nicht eine Rückkehr zu veralteten Anschauungen, soudern im Gegenteil, es sind eben<lb/> die neuen Anschauungen, die zum Durchbruch kommen, und die Menschen sind es, die<lb/> sich von den veraltenden nicht losmachen können. Daß sie das nicht einsehen, darin<lb/> liegt eben der Irrtum. Aber, so wird man fragen, worin besteht denn die Um¬<lb/> wandlung? und welches soll denn die neue Anschauung sein? Wir glauben, im<lb/> allgemeinen zunächst in folgendem. Seit Jahrhunderten ist die Welt von Doktrinen<lb/> beherrscht gewesen. Die längste Zeit hindurch von der Doktrin der Kirche, nach der alle<lb/> Dinge beurteilt wurden. Im vorigen Jahrhundert ist an deren Stelle die politische<lb/> Doktrin getreten. Es entstand die Lehre von der Gleichheit aller Menschen, die<lb/> gleiches Recht für alle verlangte. Aber dabei blieb man nicht stehen, sondern be¬<lb/> hauptete, daß in Wahrheit alle Menschen gleich seien, und kam dahin, alle Unter¬<lb/> schiede unter den Menschen zu leugnen und die doch einmal vorhandnen Unterschiede<lb/> sür nur auf Vorurteilen beruhend, in Wahrheit aber nicht vorhanden zu erklären.<lb/> So sprach man von nationalen Vorurteilen, von Standesvorurteilen und leugnete<lb/> z. B. die Existenz des Adels, den man durch ein Dekret abschaffen zu können<lb/> meinte. Ja man leugnete die Verschiedenheit der Volker und Volksstämme, und<lb/> meinte, es werde sich das alles mit der Zeit abschleifen und ausgleiche», nur<lb/> Staaten erkannte man als bestehend an. So erklärte man eigentlich alle Wirk¬<lb/> lichkeit für Vorurteil, und diese Anschauung ist noch heute so verbreitet, daß sie<lb/> immer »och als die herrschende angesehen werden muß. Die Motive zu dem<lb/> preußischen Gesetz vom 2. März 1850 betreffend die Regulirung der gutsherrlichen<lb/> und bäuerlichen Verhältnisse spricht von dem „sogenannten Bauernstande." Aber<lb/> der Adel besteht (wir meinen natürlich nur den Geburtsadel), und der Bauernstand<lb/> anch, wie die Natur sich gleich bleibt und aller naturphilosophischen Theorien<lb/> spottet. Das ist es, was man einzusehen beginnt. Die Umwandlung liegt darin,<lb/> daß man sich endlich befreit von den Doktrinen, mit denen man sich die Augen<lb/> verband, um die Wirklichkeit nicht zu sehen. Das Gegenteil der herrschenden An¬<lb/> sicht ist das Nichtige, die Theorien sind das Vorurteil. Man gewinnt endlich den<lb/> freien Blick für die Wirklichkeit und beginnt einzusehen, daß alle Politik und alle<lb/> Gesetzgebung sich nach dieser und sür diese einzurichten hat. Nun sehen alle Dinge<lb/> anders aus als bisher.</p><lb/> <p xml:id="ID_463" next="#ID_464"> Betrachten wir eine Frage, die zur Zeit ganz besonders den Gegenstand des<lb/> Streites bildet. Es giebt eine Theorie vom Freihandel und eine Theorie vom Schutz¬<lb/> zoll. Werfe man doch endlich diese Theorien über Bord! Das einfachste und<lb/> natürlichste ist doch, daß der Konsument, was er bedarf, vom Produzenten kauft.<lb/> Da das aber bei verwickelten Verhältnissen nicht durchzuführen ist, so hat sich der<lb/> Handel, der Kaufmannsstand gebildet. Der Kaufmann spielt nur eine Vermittler¬<lb/> rolle zwischen den beiden andern. Was er durch seine vermittelnde Thätigkeit ge¬<lb/> winnt, ist sein legitimer Verdienst, von dem er lebt, much Vermögen erwerben kann.<lb/> Er muß sich einrichten und kann sich anch einrichten nach den Bedürfnissen und<lb/> Verhältnissen der beiden andern. Die letztern sind aber Wichtigere Personen im<lb/> Haushalte der Völker als er. Seit nahezu zwei Menschenaltern hat man sich aber<lb/> von dieser natürlichen Anschauung abgewandt. Man hat angefangen, einen blühenden<lb/> Handel als den alleinigen Maßstab für den Wohlstand eines Landes anzusehen, und<lb/> ist dann weiter dahin gelangt, es als das erste und wichtigste Interesse des Staats<lb/> und der Gesellschaft anzusehen, daß der Handel blühe, oder mit andern Worten,<lb/> daß der Kaufmannsstand prosperire. Dem Kaufmann soll deshalb in seiner Thätig-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0194]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und an die mein seitdem glaubte, und merken nicht, daß diese Ideen veralten. Was
sie „Reaktion" nennen, ist freilich eine Reaktion, aber nicht in ihrem Sinne. Es ist
nicht eine Rückkehr zu veralteten Anschauungen, soudern im Gegenteil, es sind eben
die neuen Anschauungen, die zum Durchbruch kommen, und die Menschen sind es, die
sich von den veraltenden nicht losmachen können. Daß sie das nicht einsehen, darin
liegt eben der Irrtum. Aber, so wird man fragen, worin besteht denn die Um¬
wandlung? und welches soll denn die neue Anschauung sein? Wir glauben, im
allgemeinen zunächst in folgendem. Seit Jahrhunderten ist die Welt von Doktrinen
beherrscht gewesen. Die längste Zeit hindurch von der Doktrin der Kirche, nach der alle
Dinge beurteilt wurden. Im vorigen Jahrhundert ist an deren Stelle die politische
Doktrin getreten. Es entstand die Lehre von der Gleichheit aller Menschen, die
gleiches Recht für alle verlangte. Aber dabei blieb man nicht stehen, sondern be¬
hauptete, daß in Wahrheit alle Menschen gleich seien, und kam dahin, alle Unter¬
schiede unter den Menschen zu leugnen und die doch einmal vorhandnen Unterschiede
sür nur auf Vorurteilen beruhend, in Wahrheit aber nicht vorhanden zu erklären.
So sprach man von nationalen Vorurteilen, von Standesvorurteilen und leugnete
z. B. die Existenz des Adels, den man durch ein Dekret abschaffen zu können
meinte. Ja man leugnete die Verschiedenheit der Volker und Volksstämme, und
meinte, es werde sich das alles mit der Zeit abschleifen und ausgleiche», nur
Staaten erkannte man als bestehend an. So erklärte man eigentlich alle Wirk¬
lichkeit für Vorurteil, und diese Anschauung ist noch heute so verbreitet, daß sie
immer »och als die herrschende angesehen werden muß. Die Motive zu dem
preußischen Gesetz vom 2. März 1850 betreffend die Regulirung der gutsherrlichen
und bäuerlichen Verhältnisse spricht von dem „sogenannten Bauernstande." Aber
der Adel besteht (wir meinen natürlich nur den Geburtsadel), und der Bauernstand
anch, wie die Natur sich gleich bleibt und aller naturphilosophischen Theorien
spottet. Das ist es, was man einzusehen beginnt. Die Umwandlung liegt darin,
daß man sich endlich befreit von den Doktrinen, mit denen man sich die Augen
verband, um die Wirklichkeit nicht zu sehen. Das Gegenteil der herrschenden An¬
sicht ist das Nichtige, die Theorien sind das Vorurteil. Man gewinnt endlich den
freien Blick für die Wirklichkeit und beginnt einzusehen, daß alle Politik und alle
Gesetzgebung sich nach dieser und sür diese einzurichten hat. Nun sehen alle Dinge
anders aus als bisher.
Betrachten wir eine Frage, die zur Zeit ganz besonders den Gegenstand des
Streites bildet. Es giebt eine Theorie vom Freihandel und eine Theorie vom Schutz¬
zoll. Werfe man doch endlich diese Theorien über Bord! Das einfachste und
natürlichste ist doch, daß der Konsument, was er bedarf, vom Produzenten kauft.
Da das aber bei verwickelten Verhältnissen nicht durchzuführen ist, so hat sich der
Handel, der Kaufmannsstand gebildet. Der Kaufmann spielt nur eine Vermittler¬
rolle zwischen den beiden andern. Was er durch seine vermittelnde Thätigkeit ge¬
winnt, ist sein legitimer Verdienst, von dem er lebt, much Vermögen erwerben kann.
Er muß sich einrichten und kann sich anch einrichten nach den Bedürfnissen und
Verhältnissen der beiden andern. Die letztern sind aber Wichtigere Personen im
Haushalte der Völker als er. Seit nahezu zwei Menschenaltern hat man sich aber
von dieser natürlichen Anschauung abgewandt. Man hat angefangen, einen blühenden
Handel als den alleinigen Maßstab für den Wohlstand eines Landes anzusehen, und
ist dann weiter dahin gelangt, es als das erste und wichtigste Interesse des Staats
und der Gesellschaft anzusehen, daß der Handel blühe, oder mit andern Worten,
daß der Kaufmannsstand prosperire. Dem Kaufmann soll deshalb in seiner Thätig-
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