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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Rechtsphilosophische Phantasien eines Laien

in der Kritik; seine eignen Positionen -- das von ihm gebotne Positive --
sind aber oft ebenso anfechtbar wie die von ihm angegriffnen und vernichteten.
Die Erklärung, daß die Freiheit transcendental zu fassen sei, daß das Individuum
sich eben so, wie es geworden sei, vor seiner Geburt gewollt habe, wird sicher
niemand befriedigen.

Unbedingt zustimmen muß man aber den klaren Begriffsbestimmungen in
seiner gekrönten Preisschrift über die Freiheit des Willens. Der Begriff der
Freiheit wird als ein negativer anerkannt. Die Freiheit ist die Abwesenheit
oder der Gegensatz alles Hindernden und Hemmenden, also jedes äußern
Zwanges. Nach Besprechung des moralischen Zwangs durch Drohungen, Ver¬
sprechungen, Gefahren und Angst kommt Schopenhauer dann zu dem Resultat,
daß sich bei näherer Betrachtung der ursprüngliche, rein empirische und daher
landläufige Begriff der Freiheit unfähig zeige, die Verbindung mit dem
Begriff Wollen einzugehen. Denn nach jenem "bedeutet frei -- dem eignen
Willen gemäß: fragt man nun, ob der Wille selbst frei sei, so fragt man,
ob der Wille sich selber gemäß sei, was sich zwar von selbst versteht, womit
aber auch nichts gesagt ist. Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge
heißt es: Frei bin ich, wenn ich thun kaun, was ich will: und durch das
"was ich will" ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir
nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß sich diese
Frage so stellen: Kannst du auch wollen, was du willst? welches heraus¬
kommt, als ob das Wollen noch von einem andern hinter ihm liegenden Wollen
abhinge. Und gesetzt, die Frage würde bejaht, so entstünde alsbald die zweite:
Kannst du auch wollen, was du wollen willst? und so würde es ins Unend¬
liche höher hinaufgeschoben werden, indem wir immer ein Wollen von einem
frühern, tiefer liegenden abhängig dächten, und vergeblich strebten, auf diesem
Wege zuletzt eins zu erreichen, das wir als von gar nichts abhängig denken
und annehmen müßten." Daraus wird nun also geschlossen, daß die Freiheit
die Abwesenheit der Notwendigkeit bedeute. Indem dann die Notwendigkeit
als Folge eines zureichenden Grundes -- Kausalität -- definirt wird, kommt
Schopenhauer natürlich zur Verneinung der Willensfreiheit. Merkwürdig ist
dabei, wie der Philosoph selbst den schwachen Punkt seiner Freiheit berührt,
um aber dann über ihn Hinwegzugleiten. Er sagt hierüber: "Nun müßte aber
das Freie, da Abwesenheit der Notwendigkeit sein Merkmal ist, das schlechthin
von gar keiner Ursache Abhängige sein, mithin definirt werden als das absolut
Zufällige: ein höchst problematischer Begriff, dessen Denkbarkeit ich nicht
verbürge, der jedoch sonderbarerweise mit dem der Freiheit zusammentrifft.
Jedenfalls bleibt das Freie das in keiner Beziehung Notwendige, das heißt
von keinem Grunde Abhängige. Dieser Begriff nun, angewandt auf den Willen
des Menschen, würde besagen, daß ein individueller Wille in seinen Äußerungen
(Willensakten) nicht durch Ursachen oder zureichende Gründe überhaupt bestimmt


Grenzboten III 1898 2
Rechtsphilosophische Phantasien eines Laien

in der Kritik; seine eignen Positionen — das von ihm gebotne Positive —
sind aber oft ebenso anfechtbar wie die von ihm angegriffnen und vernichteten.
Die Erklärung, daß die Freiheit transcendental zu fassen sei, daß das Individuum
sich eben so, wie es geworden sei, vor seiner Geburt gewollt habe, wird sicher
niemand befriedigen.

Unbedingt zustimmen muß man aber den klaren Begriffsbestimmungen in
seiner gekrönten Preisschrift über die Freiheit des Willens. Der Begriff der
Freiheit wird als ein negativer anerkannt. Die Freiheit ist die Abwesenheit
oder der Gegensatz alles Hindernden und Hemmenden, also jedes äußern
Zwanges. Nach Besprechung des moralischen Zwangs durch Drohungen, Ver¬
sprechungen, Gefahren und Angst kommt Schopenhauer dann zu dem Resultat,
daß sich bei näherer Betrachtung der ursprüngliche, rein empirische und daher
landläufige Begriff der Freiheit unfähig zeige, die Verbindung mit dem
Begriff Wollen einzugehen. Denn nach jenem „bedeutet frei — dem eignen
Willen gemäß: fragt man nun, ob der Wille selbst frei sei, so fragt man,
ob der Wille sich selber gemäß sei, was sich zwar von selbst versteht, womit
aber auch nichts gesagt ist. Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge
heißt es: Frei bin ich, wenn ich thun kaun, was ich will: und durch das
»was ich will« ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir
nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß sich diese
Frage so stellen: Kannst du auch wollen, was du willst? welches heraus¬
kommt, als ob das Wollen noch von einem andern hinter ihm liegenden Wollen
abhinge. Und gesetzt, die Frage würde bejaht, so entstünde alsbald die zweite:
Kannst du auch wollen, was du wollen willst? und so würde es ins Unend¬
liche höher hinaufgeschoben werden, indem wir immer ein Wollen von einem
frühern, tiefer liegenden abhängig dächten, und vergeblich strebten, auf diesem
Wege zuletzt eins zu erreichen, das wir als von gar nichts abhängig denken
und annehmen müßten." Daraus wird nun also geschlossen, daß die Freiheit
die Abwesenheit der Notwendigkeit bedeute. Indem dann die Notwendigkeit
als Folge eines zureichenden Grundes — Kausalität — definirt wird, kommt
Schopenhauer natürlich zur Verneinung der Willensfreiheit. Merkwürdig ist
dabei, wie der Philosoph selbst den schwachen Punkt seiner Freiheit berührt,
um aber dann über ihn Hinwegzugleiten. Er sagt hierüber: „Nun müßte aber
das Freie, da Abwesenheit der Notwendigkeit sein Merkmal ist, das schlechthin
von gar keiner Ursache Abhängige sein, mithin definirt werden als das absolut
Zufällige: ein höchst problematischer Begriff, dessen Denkbarkeit ich nicht
verbürge, der jedoch sonderbarerweise mit dem der Freiheit zusammentrifft.
Jedenfalls bleibt das Freie das in keiner Beziehung Notwendige, das heißt
von keinem Grunde Abhängige. Dieser Begriff nun, angewandt auf den Willen
des Menschen, würde besagen, daß ein individueller Wille in seinen Äußerungen
(Willensakten) nicht durch Ursachen oder zureichende Gründe überhaupt bestimmt


Grenzboten III 1898 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/17>, abgerufen am 31.10.2024.