Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches stand noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige. Er habe Seiner Majestät Diese Art, fein zu charakterisieren und die Vorgänge dramatisch zu schildern, Wilhelm Ostwald. Große Männer. (Leipzig. Akademische Verlagsgesell¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches stand noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige. Er habe Seiner Majestät Diese Art, fein zu charakterisieren und die Vorgänge dramatisch zu schildern, Wilhelm Ostwald. Große Männer. (Leipzig. Akademische Verlagsgesell¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314398"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_193" prev="#ID_192"> stand noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige. Er habe Seiner Majestät<lb/> mir solche Offiziere und Soldaten vorgeschlagen, welche sich durch die größte<lb/> Tapferkeit und Todesverachtung solcher Auszeichnung würdig bewiesen hätten, und<lb/> er habe es für feine Pflicht erachtet, so zu tun, ohne die Besorgnis, daß die Zahl<lb/> so vorzüglicher Leute zu groß erscheinen könne. — Gar sehr zur rechten Zeit war<lb/> es, daß Kaiser Alexander herantretend dieser Peinlichen Unterhaltung eine andre<lb/> Wendung gab."</p><lb/> <p xml:id="ID_194"> Diese Art, fein zu charakterisieren und die Vorgänge dramatisch zu schildern,<lb/> macht die Lektüre des Werkes ungemein genußreich. Höchst wertvoll ist der künst¬<lb/> lerische Buchschmuck von Franz Stassen, es braucht hier nicht besonders hervor¬<lb/> gehoben zu werden, daß er für die historischen Bildnisse die besten zeitgenössischen<lb/> Gemälde, Kupferstiche, Lithographien usw. benutzt hat. Hin und wieder ist die<lb/> Schreibweise nicht konsequent. Augereau wird fast durchgehends Augerau ge¬<lb/> schrieben. Courbiere hat nach den neusten Forschungen nicht gesagt: „Nun, wenn<lb/> es keinen König von Preußen mehr gibt, so bin ich König von Graudenz", sondern:<lb/> „so gibt es noch einen König von Graudenz". Druckfehler sind sehr selten. Störend<lb/> wirkt nur der Fehler in dem Satz über Napoleon: oft Komme n'ost xws qu'un<lb/> oaciavrs, ssulonwut: it no xlus (xuo!) xg,s Moors. Für die zweite Auflage<lb/> würde sich ein alphabetisches Namensverzeichnis empfehlen. Alles in allem ein vor¬<lb/> treffliches Werk, für das der Preis von 45 Mark nicht zu hoch ist, und das wir<lb/> unsern Lesern nur angelegentlich empfehlen können.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Wilhelm Ostwald. Große Männer.</head> <p xml:id="ID_195" next="#ID_196"> (Leipzig. Akademische Verlagsgesell¬<lb/> schaft.) Wenn heute irgendein X käme, der die These aufstellte: Das Genie ist ein<lb/> Typus, den man heranbilden kann, und ich werde euch die Wege dazu weisen, so<lb/> würde man im Höchstfalle lächeln, „total verdreht" sagen und sich Wilhelm Busch<lb/> vorknöpfen, um an „gesundem" Blödsinn das seelische Gleichgewicht wiederzufinden.<lb/> Aber — ein Wilhelm Ostwald sagt es, derselbe Ostwald, den wir als Chemiker<lb/> von Weltruf kennen, eine der größten Zierden, die die Leipziger Universität in der<lb/> Neuzeit besessen, ein Lehrer, aus dessen Schule eine ganze Zahl namhafter Gelehrter<lb/> hervorgegangen Ist. Eines solchen Mannes Ansicht in Fragen der Erziehung ist<lb/> unbedingt des Hörens wert. Und so habe ich mich denn nach Überwindung einer<lb/> letzten Scheu an seine Arbeit: „Große Männer" herangemacht, die lediglich dazu<lb/> geschrieben wurde, seiner These Halt zu bieten. Ich kann nicht leugnen, es war<lb/> ein seltner Genuß. Schon von der ersten Zeile an. Das Bekenntnis, wie seine<lb/> Betrachtungen eigentlich entstanden sind, wirkt so fesselnd, daß ich nicht umhin kann,<lb/> seine eignen Worte hierher zu setzen: „Während meiner Professorenzeit richtete einmal<lb/> einer meiner japanischen Schüler im Auftrage seiner heimischen Unterrichtsverwaltung<lb/> die Frage an mich, wie man künftige ausgezeichnete Leute recht frühzeitig erkennen<lb/> könne. Auf meine etwas verwunderte Gegenfrage, wozu man das wissen wolle,<lb/> erhielt ich die Antwort, daß es sich um eine höchst praktische Angelegenheit handle.<lb/> Es waren bedeutende Summen von der Regierung angewiesen, uni insbesondre<lb/> aus deu ärmern Schichten der Bevölkerung solche Individuen ausfindig zu machen<lb/> und zu entwickeln, von denen man später erhebliche Leistungen, also auch einen ent¬<lb/> sprechenden Nutzen für das Vaterland erwarten könne. Nun war man eben daran,<lb/> die Grundsätze festzustellen, nach denen diese Summen verwendet werden sollten, und<lb/> hierbei war das erwähnte Problem entstanden. Da mir eine nicht geringe Anzahl<lb/> junger Leute durch die Hände gegangen waren, aus denen hernach hervorragende<lb/> Gelehrte geworden sind, so nahm man an. daß ich irgendein Mittel hätte, solche<lb/> Menschen früh zu erkennen, um sie festzuhalten und auszubilden. Ich muß zunächst<lb/> bekennen, daß von einer bewußten Anwendung eines solchen Verfahrens, bei mir<lb/> nicht die Rede sein könne. Aber als ich, angeregt durch die Frage, einen Überschlag</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
stand noch immer entblößten Hauptes vor dem Könige. Er habe Seiner Majestät
mir solche Offiziere und Soldaten vorgeschlagen, welche sich durch die größte
Tapferkeit und Todesverachtung solcher Auszeichnung würdig bewiesen hätten, und
er habe es für feine Pflicht erachtet, so zu tun, ohne die Besorgnis, daß die Zahl
so vorzüglicher Leute zu groß erscheinen könne. — Gar sehr zur rechten Zeit war
es, daß Kaiser Alexander herantretend dieser Peinlichen Unterhaltung eine andre
Wendung gab."
Diese Art, fein zu charakterisieren und die Vorgänge dramatisch zu schildern,
macht die Lektüre des Werkes ungemein genußreich. Höchst wertvoll ist der künst¬
lerische Buchschmuck von Franz Stassen, es braucht hier nicht besonders hervor¬
gehoben zu werden, daß er für die historischen Bildnisse die besten zeitgenössischen
Gemälde, Kupferstiche, Lithographien usw. benutzt hat. Hin und wieder ist die
Schreibweise nicht konsequent. Augereau wird fast durchgehends Augerau ge¬
schrieben. Courbiere hat nach den neusten Forschungen nicht gesagt: „Nun, wenn
es keinen König von Preußen mehr gibt, so bin ich König von Graudenz", sondern:
„so gibt es noch einen König von Graudenz". Druckfehler sind sehr selten. Störend
wirkt nur der Fehler in dem Satz über Napoleon: oft Komme n'ost xws qu'un
oaciavrs, ssulonwut: it no xlus (xuo!) xg,s Moors. Für die zweite Auflage
würde sich ein alphabetisches Namensverzeichnis empfehlen. Alles in allem ein vor¬
treffliches Werk, für das der Preis von 45 Mark nicht zu hoch ist, und das wir
unsern Lesern nur angelegentlich empfehlen können.
Wilhelm Ostwald. Große Männer. (Leipzig. Akademische Verlagsgesell¬
schaft.) Wenn heute irgendein X käme, der die These aufstellte: Das Genie ist ein
Typus, den man heranbilden kann, und ich werde euch die Wege dazu weisen, so
würde man im Höchstfalle lächeln, „total verdreht" sagen und sich Wilhelm Busch
vorknöpfen, um an „gesundem" Blödsinn das seelische Gleichgewicht wiederzufinden.
Aber — ein Wilhelm Ostwald sagt es, derselbe Ostwald, den wir als Chemiker
von Weltruf kennen, eine der größten Zierden, die die Leipziger Universität in der
Neuzeit besessen, ein Lehrer, aus dessen Schule eine ganze Zahl namhafter Gelehrter
hervorgegangen Ist. Eines solchen Mannes Ansicht in Fragen der Erziehung ist
unbedingt des Hörens wert. Und so habe ich mich denn nach Überwindung einer
letzten Scheu an seine Arbeit: „Große Männer" herangemacht, die lediglich dazu
geschrieben wurde, seiner These Halt zu bieten. Ich kann nicht leugnen, es war
ein seltner Genuß. Schon von der ersten Zeile an. Das Bekenntnis, wie seine
Betrachtungen eigentlich entstanden sind, wirkt so fesselnd, daß ich nicht umhin kann,
seine eignen Worte hierher zu setzen: „Während meiner Professorenzeit richtete einmal
einer meiner japanischen Schüler im Auftrage seiner heimischen Unterrichtsverwaltung
die Frage an mich, wie man künftige ausgezeichnete Leute recht frühzeitig erkennen
könne. Auf meine etwas verwunderte Gegenfrage, wozu man das wissen wolle,
erhielt ich die Antwort, daß es sich um eine höchst praktische Angelegenheit handle.
Es waren bedeutende Summen von der Regierung angewiesen, uni insbesondre
aus deu ärmern Schichten der Bevölkerung solche Individuen ausfindig zu machen
und zu entwickeln, von denen man später erhebliche Leistungen, also auch einen ent¬
sprechenden Nutzen für das Vaterland erwarten könne. Nun war man eben daran,
die Grundsätze festzustellen, nach denen diese Summen verwendet werden sollten, und
hierbei war das erwähnte Problem entstanden. Da mir eine nicht geringe Anzahl
junger Leute durch die Hände gegangen waren, aus denen hernach hervorragende
Gelehrte geworden sind, so nahm man an. daß ich irgendein Mittel hätte, solche
Menschen früh zu erkennen, um sie festzuhalten und auszubilden. Ich muß zunächst
bekennen, daß von einer bewußten Anwendung eines solchen Verfahrens, bei mir
nicht die Rede sein könne. Aber als ich, angeregt durch die Frage, einen Überschlag
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