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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Über Berg und Busch und Baum
Gleitet weiße Glut.
Wie der Woge Silberfasanen
Auf der Meeresflut.
Auf den Wiesen zittert leis
Milder Mondesglanz,
Wehe um Ried und Rohr und Reis
Einen Perlenkranz.
Wie Kristall vom heil'gen Graal
Schimmert Hang und Hain.
Über Tann und Tau und Tal
Wandelt Jrrlichtschein.
Wundersames Leuchten quillt
Aus dem gold'nen See,
Und ein süßer Friede stillt
Meiner Seele Weh.
All mein Gram in seel'gen Traum
Eingeschläfert ruht.---
Über Berg und Busch und Baum
Gleitet weiße Glut.----
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Pädagogik

Die nationale Aufgabe des deutschen
Bolkskindergartens. Wie die hohe erziehliche
und kulturelle Bedeutung des Volkskinder¬
gartens in weiten Kreisen längst noch nicht
gebührend gewürdigt wird, so ist man sich
bisher selten oder gar nirgend bewußt ge¬
worden, daß der Bolkskindergarten den
Wichtigsten Faktor aller unserer nationalen
Bestrebungen darstellt. Die Seele des Kindes
ist unbestelltes Ackerland, das, vernachlässigt,
keinerlei Frucht, höchstens Unkraut hervor¬
bringt, das recht bearbeitet und mit dem
rechten Samen besät die Ernte hervorbringen
kann, die wir erhoffen. Gegen Sturm und
Ungewitter, gegen Böswilligkeit und Schelmen¬
tat, die unser mühsames Werk vernichten,
vermögen wir freilich wenig zu tun. Unser
Gewissen wird uns dann immer fragen
dürfen: was war dein Anteil an diesem
traurigen Menschenverkommen? Dein Nichts¬
tun! Besinnen wir uns! Die Zeit ist ernst
und schwer; sie lehrt uns tiefer als je den
Wert eines Vaterlandes begreifen. Stellt sie
uns nicht auch die ethische Forderung, diesen
Wert, statt ihn nur zu nützen, zu schützen
und zu erhalten? Eine Glut der Begeisterung,
der Liebe zur deutschen Erde durchbrandet
uns. Legen wir sie nicht nur in die Herzen
der großen Jungen und Mädels, die schon
ahnen, was es heißt: mein Deutschland.
Wenden wir uns auch an die Kleinen, Un¬
verständigen, Ahnungslosen! Nicht etwa, daß
wir ihnen erzählen von Kanonendonner und
Heldentaten, nicht, daß wir ihr kleines Hirn
überanstrengen mit dem Auswendiglernen
von einem halben Dutzend Vaterlandsliedern,
sondern indem wir mit unermüdlicher Sorg¬
falt ihre sprachliche Entwicklung beobachten,
leiten und beeinflussen. Lehren wir unsere
Kinder ihre Muttersprache von klein auf lieben

[Spaltenumbruch]

und -- richtig sprechen! Damit legen wir
den besten Grund zu einer später einzusetzenden
verstandesmäßigen nationalen Erziehung. Der
Kindergarten hat von jeher großen Wert auf
die sprachliche Entwicklung gelegt; er achtet
sorgsam auf richtiges Wort- und Satzbilden,
er läßt die Kinder reizende kleine altberühmte
Bolksliedchen und Reime singen lernen --
statt der ekelhaften, französisch-dekadenten
Vorbilde nachgeahmten Gassenhauer, die die
Großstadtjugend bisher gröhlte --, er ver¬
sucht, durch frisches Erzählen von dem Kinder¬
verständnis angepaßten Erzählungen aus der
Sagen- und Märchenwelt bereits ethische
Keime zu legen. Und so ist der Kindergarten
nicht nur eine für die arbeitende Mutter hoch¬
willkommene Gelegenheit, ihre Sprößlinge
die Zeit ihrer häuslichen Abwesenheit unter
Aufsicht verbringen zu lassen, sondern eine
Pflegestätte vaterländischen Fühlens in der
für diese jüngsten Altersstufen einzig möglichen
Art. Wie hochbedentend diese Tätigkeit des
Volkskindergartens in ganz besonderem Maße
für die Grenzlande mit teilweise sprachlicher
Verschiedenheit wird, das haben Wohl einzelne
patriotische Verbände erkannt, indem sie auf
ihre Kosten, in der Provinz Posen zum Bei¬
spiel, Kindergärten gründeten. In weiten
Kreisen ist man sich dieser nationalen Arbeit
des Kindergartens aber keineswegs bewußt.
Was sie, richtig geleitet und finanziert, für
unglaubliche Erfolge haben kann, das möge
uns das Beispiel eines unserer Feinde lehren.
-- Man lernt nicht gern vom Feind. Doch
ist dies töricht, denn gerade ihm gegenüber
setzen wir eine besonders scharfe kritische Sonde
an. Und müssen wir etwas, das er tat, für
nützlich erkennen, weshalb denn nur heimlich
sich selbst das zugeben, weshalb nicht seine
Erfahrung sich dienstbar machen? -- Frank¬
reich begann im Jahre 1792 in richtiger Er¬
wägung, daß die Sprache das wichtigste

[Ende Spaltensatz]


Über Berg und Busch und Baum
Gleitet weiße Glut.
Wie der Woge Silberfasanen
Auf der Meeresflut.
Auf den Wiesen zittert leis
Milder Mondesglanz,
Wehe um Ried und Rohr und Reis
Einen Perlenkranz.
Wie Kristall vom heil'gen Graal
Schimmert Hang und Hain.
Über Tann und Tau und Tal
Wandelt Jrrlichtschein.
Wundersames Leuchten quillt
Aus dem gold'nen See,
Und ein süßer Friede stillt
Meiner Seele Weh.
All mein Gram in seel'gen Traum
Eingeschläfert ruht.---
Über Berg und Busch und Baum
Gleitet weiße Glut.--—
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Pädagogik

Die nationale Aufgabe des deutschen
Bolkskindergartens. Wie die hohe erziehliche
und kulturelle Bedeutung des Volkskinder¬
gartens in weiten Kreisen längst noch nicht
gebührend gewürdigt wird, so ist man sich
bisher selten oder gar nirgend bewußt ge¬
worden, daß der Bolkskindergarten den
Wichtigsten Faktor aller unserer nationalen
Bestrebungen darstellt. Die Seele des Kindes
ist unbestelltes Ackerland, das, vernachlässigt,
keinerlei Frucht, höchstens Unkraut hervor¬
bringt, das recht bearbeitet und mit dem
rechten Samen besät die Ernte hervorbringen
kann, die wir erhoffen. Gegen Sturm und
Ungewitter, gegen Böswilligkeit und Schelmen¬
tat, die unser mühsames Werk vernichten,
vermögen wir freilich wenig zu tun. Unser
Gewissen wird uns dann immer fragen
dürfen: was war dein Anteil an diesem
traurigen Menschenverkommen? Dein Nichts¬
tun! Besinnen wir uns! Die Zeit ist ernst
und schwer; sie lehrt uns tiefer als je den
Wert eines Vaterlandes begreifen. Stellt sie
uns nicht auch die ethische Forderung, diesen
Wert, statt ihn nur zu nützen, zu schützen
und zu erhalten? Eine Glut der Begeisterung,
der Liebe zur deutschen Erde durchbrandet
uns. Legen wir sie nicht nur in die Herzen
der großen Jungen und Mädels, die schon
ahnen, was es heißt: mein Deutschland.
Wenden wir uns auch an die Kleinen, Un¬
verständigen, Ahnungslosen! Nicht etwa, daß
wir ihnen erzählen von Kanonendonner und
Heldentaten, nicht, daß wir ihr kleines Hirn
überanstrengen mit dem Auswendiglernen
von einem halben Dutzend Vaterlandsliedern,
sondern indem wir mit unermüdlicher Sorg¬
falt ihre sprachliche Entwicklung beobachten,
leiten und beeinflussen. Lehren wir unsere
Kinder ihre Muttersprache von klein auf lieben

[Spaltenumbruch]

und — richtig sprechen! Damit legen wir
den besten Grund zu einer später einzusetzenden
verstandesmäßigen nationalen Erziehung. Der
Kindergarten hat von jeher großen Wert auf
die sprachliche Entwicklung gelegt; er achtet
sorgsam auf richtiges Wort- und Satzbilden,
er läßt die Kinder reizende kleine altberühmte
Bolksliedchen und Reime singen lernen —
statt der ekelhaften, französisch-dekadenten
Vorbilde nachgeahmten Gassenhauer, die die
Großstadtjugend bisher gröhlte —, er ver¬
sucht, durch frisches Erzählen von dem Kinder¬
verständnis angepaßten Erzählungen aus der
Sagen- und Märchenwelt bereits ethische
Keime zu legen. Und so ist der Kindergarten
nicht nur eine für die arbeitende Mutter hoch¬
willkommene Gelegenheit, ihre Sprößlinge
die Zeit ihrer häuslichen Abwesenheit unter
Aufsicht verbringen zu lassen, sondern eine
Pflegestätte vaterländischen Fühlens in der
für diese jüngsten Altersstufen einzig möglichen
Art. Wie hochbedentend diese Tätigkeit des
Volkskindergartens in ganz besonderem Maße
für die Grenzlande mit teilweise sprachlicher
Verschiedenheit wird, das haben Wohl einzelne
patriotische Verbände erkannt, indem sie auf
ihre Kosten, in der Provinz Posen zum Bei¬
spiel, Kindergärten gründeten. In weiten
Kreisen ist man sich dieser nationalen Arbeit
des Kindergartens aber keineswegs bewußt.
Was sie, richtig geleitet und finanziert, für
unglaubliche Erfolge haben kann, das möge
uns das Beispiel eines unserer Feinde lehren.
— Man lernt nicht gern vom Feind. Doch
ist dies töricht, denn gerade ihm gegenüber
setzen wir eine besonders scharfe kritische Sonde
an. Und müssen wir etwas, das er tat, für
nützlich erkennen, weshalb denn nur heimlich
sich selbst das zugeben, weshalb nicht seine
Erfahrung sich dienstbar machen? — Frank¬
reich begann im Jahre 1792 in richtiger Er¬
wägung, daß die Sprache das wichtigste

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[0363] [Abbildung] Über Berg und Busch und Baum Gleitet weiße Glut. Wie der Woge Silberfasanen Auf der Meeresflut. Auf den Wiesen zittert leis Milder Mondesglanz, Wehe um Ried und Rohr und Reis Einen Perlenkranz. Wie Kristall vom heil'gen Graal Schimmert Hang und Hain. Über Tann und Tau und Tal Wandelt Jrrlichtschein. Wundersames Leuchten quillt Aus dem gold'nen See, Und ein süßer Friede stillt Meiner Seele Weh. All mein Gram in seel'gen Traum Eingeschläfert ruht.--- Über Berg und Busch und Baum Gleitet weiße Glut.--— Maßgebliches und Unmaßgebliches Pädagogik Die nationale Aufgabe des deutschen Bolkskindergartens. Wie die hohe erziehliche und kulturelle Bedeutung des Volkskinder¬ gartens in weiten Kreisen längst noch nicht gebührend gewürdigt wird, so ist man sich bisher selten oder gar nirgend bewußt ge¬ worden, daß der Bolkskindergarten den Wichtigsten Faktor aller unserer nationalen Bestrebungen darstellt. Die Seele des Kindes ist unbestelltes Ackerland, das, vernachlässigt, keinerlei Frucht, höchstens Unkraut hervor¬ bringt, das recht bearbeitet und mit dem rechten Samen besät die Ernte hervorbringen kann, die wir erhoffen. Gegen Sturm und Ungewitter, gegen Böswilligkeit und Schelmen¬ tat, die unser mühsames Werk vernichten, vermögen wir freilich wenig zu tun. Unser Gewissen wird uns dann immer fragen dürfen: was war dein Anteil an diesem traurigen Menschenverkommen? Dein Nichts¬ tun! Besinnen wir uns! Die Zeit ist ernst und schwer; sie lehrt uns tiefer als je den Wert eines Vaterlandes begreifen. Stellt sie uns nicht auch die ethische Forderung, diesen Wert, statt ihn nur zu nützen, zu schützen und zu erhalten? Eine Glut der Begeisterung, der Liebe zur deutschen Erde durchbrandet uns. Legen wir sie nicht nur in die Herzen der großen Jungen und Mädels, die schon ahnen, was es heißt: mein Deutschland. Wenden wir uns auch an die Kleinen, Un¬ verständigen, Ahnungslosen! Nicht etwa, daß wir ihnen erzählen von Kanonendonner und Heldentaten, nicht, daß wir ihr kleines Hirn überanstrengen mit dem Auswendiglernen von einem halben Dutzend Vaterlandsliedern, sondern indem wir mit unermüdlicher Sorg¬ falt ihre sprachliche Entwicklung beobachten, leiten und beeinflussen. Lehren wir unsere Kinder ihre Muttersprache von klein auf lieben und — richtig sprechen! Damit legen wir den besten Grund zu einer später einzusetzenden verstandesmäßigen nationalen Erziehung. Der Kindergarten hat von jeher großen Wert auf die sprachliche Entwicklung gelegt; er achtet sorgsam auf richtiges Wort- und Satzbilden, er läßt die Kinder reizende kleine altberühmte Bolksliedchen und Reime singen lernen — statt der ekelhaften, französisch-dekadenten Vorbilde nachgeahmten Gassenhauer, die die Großstadtjugend bisher gröhlte —, er ver¬ sucht, durch frisches Erzählen von dem Kinder¬ verständnis angepaßten Erzählungen aus der Sagen- und Märchenwelt bereits ethische Keime zu legen. Und so ist der Kindergarten nicht nur eine für die arbeitende Mutter hoch¬ willkommene Gelegenheit, ihre Sprößlinge die Zeit ihrer häuslichen Abwesenheit unter Aufsicht verbringen zu lassen, sondern eine Pflegestätte vaterländischen Fühlens in der für diese jüngsten Altersstufen einzig möglichen Art. Wie hochbedentend diese Tätigkeit des Volkskindergartens in ganz besonderem Maße für die Grenzlande mit teilweise sprachlicher Verschiedenheit wird, das haben Wohl einzelne patriotische Verbände erkannt, indem sie auf ihre Kosten, in der Provinz Posen zum Bei¬ spiel, Kindergärten gründeten. In weiten Kreisen ist man sich dieser nationalen Arbeit des Kindergartens aber keineswegs bewußt. Was sie, richtig geleitet und finanziert, für unglaubliche Erfolge haben kann, das möge uns das Beispiel eines unserer Feinde lehren. — Man lernt nicht gern vom Feind. Doch ist dies töricht, denn gerade ihm gegenüber setzen wir eine besonders scharfe kritische Sonde an. Und müssen wir etwas, das er tat, für nützlich erkennen, weshalb denn nur heimlich sich selbst das zugeben, weshalb nicht seine Erfahrung sich dienstbar machen? — Frank¬ reich begann im Jahre 1792 in richtiger Er¬ wägung, daß die Sprache das wichtigste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/363>, abgerufen am 30.04.2024.