Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Paris im Sommer 5920 dient. Alles, was diese beiden Männer unternehmen, steht auf einem hohen Niveau Aus der jüngsten Literatur ist co sichtlich, daß sich die Gedanken, die schon Man sprach von 1913 ganz allgemein vom "r6veil" vom "renouvellemcnt" Der damals gesponnene Zusammenhang zwischen den geistigen Führern Paris im Sommer 5920 dient. Alles, was diese beiden Männer unternehmen, steht auf einem hohen Niveau Aus der jüngsten Literatur ist co sichtlich, daß sich die Gedanken, die schon Man sprach von 1913 ganz allgemein vom „r6veil" vom „renouvellemcnt" Der damals gesponnene Zusammenhang zwischen den geistigen Führern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338158"/> <fw type="header" place="top"> Paris im Sommer 5920</fw><lb/> <p xml:id="ID_468" prev="#ID_467"> dient. Alles, was diese beiden Männer unternehmen, steht auf einem hohen Niveau<lb/> und ist von heiterer Lebensbejahung durchstrahlt.</p><lb/> <p xml:id="ID_469"> Aus der jüngsten Literatur ist co sichtlich, daß sich die Gedanken, die schon<lb/> vor 1914 in der Jugend Frankreichs lebendig waren, sich organisch fortentwickelten.<lb/> Bergson war es, der damals die Studentenschaft für sich gewann. Sie entnahm<lb/> aus seinen Worten Forderungen zur Befreiung von der Alleinherrschaft des<lb/> naturwissenschaftlichen Denkens. Die Fesseln aller abstrakten Postulate, die das<lb/> Bildungsideal des Positivismus und des Kritizismus im neunzehnten Jahrhundert<lb/> aufgestellt hatten, sollten gesprengt werden. Ebenso wie diese Zertrümmerung<lb/> der materialistischen Weltanschauung fanatisierte die Jugend Bergsons Erkenntnis<lb/> des 6lan vital und der Evolution er6atrice. Die Abkehr vom rein inrellektuellistischen<lb/> Denken und der Struktur einer volunteristischen Philosophie hatte zündende Kraft.<lb/> Vergsons Satz: „Der Körper ist ein Werkzeug des Handelns" wurde das Leit¬<lb/> motiv des neuen Geschlechts.</p><lb/> <p xml:id="ID_470"> Man sprach von 1913 ganz allgemein vom „r6veil" vom „renouvellemcnt"<lb/> des französischen Geistes. Der „r>6ocatkol6cisme" gewann täglich an Terrain<lb/> und Ausdehnung. Damals haben die Deutschen Paul Claudel die ersten Ruhmes¬<lb/> kränze gewoben. Er nahm die Huldigungen dankbar hin und ließ sich als neuen<lb/> katholischen Mystiker feiern, wußte aber schon damals, daß auch sein Katholizismus<lb/> nur eine Teilcrscheinung seines sprungbereiten Nationalismus sein würde.<lb/> 1914 erschien der letzte Band von Romain Rollands „Johann Christas", in dem<lb/> w epischer Form alles das, was ich hier andeute, breiter und wirksamer vor¬<lb/> gestellt worden ist, als ich es vermag.</p><lb/> <p xml:id="ID_471" next="#ID_472"> Der damals gesponnene Zusammenhang zwischen den geistigen Führern<lb/> Frankreichs hat sich im Kriege gestärkt und bewährt und sich für die Nation als<lb/> heilsam erweisen. Sehr deutlich tritt aber zutage, daß alle Strömungen, die<lb/> damals die Gemüter bewegten, Teilerscheinungen des Nationalismus waren und<lb/> sind,, in dem sich heute fast alle Kreise Frankreichs einig fühlen. Auch der Neu-<lb/> katholizismus, der vor 1914 eine bedeutende Rolle im Geistesleben zu spielen<lb/> schien, ist ganz in den Hauptstrom eingemündet. Die Gotteshäuser sind nicht<lb/> stärker besucht als früher, die Frömmigkeit erweist sich nirgends als überzeugte/<lb/> dennoch liegt ein tiefer Sinn in der neukatholischen Bewegung: sie bedeutet die<lb/> Achtung vor der Tradition, das Opfer, daS auch skeptische Kreise den rein<lb/> französischen Überlieferungen bringen und so ist auch der Neukatholizismus eine<lb/> Tcilerscheinung der nationalen Erhebung. Die ethischen oder mystischen Züge<lb/> treten daher auch hinter den politischen zurück,- so ist die Forderung nach der<lb/> Wiederaufnahme der Beziehungen Frankreichs mit dem Vatikan weniger eine<lb/> Angelegenheit der französischen Gläubigen als eine Forderung nationaler Würde.<lb/> Die angeblich neutrale oder deutschfreundliche Haltung des Papstes, die auch<lb/> heute noch beständig verurteilt wird, wird nicht als eine Beleidigung der<lb/> französischen Katholiken, sondern des französischen Nationalgefühls angesehen.<lb/> Daß national und katholisch in Frankreich synonyme Begriffe sind, erkennt man,<lb/> K>cum man die „Action francaise", den „Gaulois", das „Echo de Paris" oder<lb/> Zeitschriften: „L'ideal, „La revue universelle", „La revue critique" usw.<lb/> Durchblättert. Infolgedessen ist eine Merbrückung der deutsch-französischen Gegen¬<lb/> satze durch die Vermittlung des Katholizismus vorläufig ziemlich aussichtslos.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0135]
Paris im Sommer 5920
dient. Alles, was diese beiden Männer unternehmen, steht auf einem hohen Niveau
und ist von heiterer Lebensbejahung durchstrahlt.
Aus der jüngsten Literatur ist co sichtlich, daß sich die Gedanken, die schon
vor 1914 in der Jugend Frankreichs lebendig waren, sich organisch fortentwickelten.
Bergson war es, der damals die Studentenschaft für sich gewann. Sie entnahm
aus seinen Worten Forderungen zur Befreiung von der Alleinherrschaft des
naturwissenschaftlichen Denkens. Die Fesseln aller abstrakten Postulate, die das
Bildungsideal des Positivismus und des Kritizismus im neunzehnten Jahrhundert
aufgestellt hatten, sollten gesprengt werden. Ebenso wie diese Zertrümmerung
der materialistischen Weltanschauung fanatisierte die Jugend Bergsons Erkenntnis
des 6lan vital und der Evolution er6atrice. Die Abkehr vom rein inrellektuellistischen
Denken und der Struktur einer volunteristischen Philosophie hatte zündende Kraft.
Vergsons Satz: „Der Körper ist ein Werkzeug des Handelns" wurde das Leit¬
motiv des neuen Geschlechts.
Man sprach von 1913 ganz allgemein vom „r6veil" vom „renouvellemcnt"
des französischen Geistes. Der „r>6ocatkol6cisme" gewann täglich an Terrain
und Ausdehnung. Damals haben die Deutschen Paul Claudel die ersten Ruhmes¬
kränze gewoben. Er nahm die Huldigungen dankbar hin und ließ sich als neuen
katholischen Mystiker feiern, wußte aber schon damals, daß auch sein Katholizismus
nur eine Teilcrscheinung seines sprungbereiten Nationalismus sein würde.
1914 erschien der letzte Band von Romain Rollands „Johann Christas", in dem
w epischer Form alles das, was ich hier andeute, breiter und wirksamer vor¬
gestellt worden ist, als ich es vermag.
Der damals gesponnene Zusammenhang zwischen den geistigen Führern
Frankreichs hat sich im Kriege gestärkt und bewährt und sich für die Nation als
heilsam erweisen. Sehr deutlich tritt aber zutage, daß alle Strömungen, die
damals die Gemüter bewegten, Teilerscheinungen des Nationalismus waren und
sind,, in dem sich heute fast alle Kreise Frankreichs einig fühlen. Auch der Neu-
katholizismus, der vor 1914 eine bedeutende Rolle im Geistesleben zu spielen
schien, ist ganz in den Hauptstrom eingemündet. Die Gotteshäuser sind nicht
stärker besucht als früher, die Frömmigkeit erweist sich nirgends als überzeugte/
dennoch liegt ein tiefer Sinn in der neukatholischen Bewegung: sie bedeutet die
Achtung vor der Tradition, das Opfer, daS auch skeptische Kreise den rein
französischen Überlieferungen bringen und so ist auch der Neukatholizismus eine
Tcilerscheinung der nationalen Erhebung. Die ethischen oder mystischen Züge
treten daher auch hinter den politischen zurück,- so ist die Forderung nach der
Wiederaufnahme der Beziehungen Frankreichs mit dem Vatikan weniger eine
Angelegenheit der französischen Gläubigen als eine Forderung nationaler Würde.
Die angeblich neutrale oder deutschfreundliche Haltung des Papstes, die auch
heute noch beständig verurteilt wird, wird nicht als eine Beleidigung der
französischen Katholiken, sondern des französischen Nationalgefühls angesehen.
Daß national und katholisch in Frankreich synonyme Begriffe sind, erkennt man,
K>cum man die „Action francaise", den „Gaulois", das „Echo de Paris" oder
Zeitschriften: „L'ideal, „La revue universelle", „La revue critique" usw.
Durchblättert. Infolgedessen ist eine Merbrückung der deutsch-französischen Gegen¬
satze durch die Vermittlung des Katholizismus vorläufig ziemlich aussichtslos.
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