Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.du mir vielleicht ab und zu Nachricht, wie es bei euch steht? sagte er noch. Ich lasse dir für verschiedene Punkte meine Adresse hier, wenn du es erlaubst? -- Und das soll dein Abschied sein, und vielleicht für immer? Sie wandte sich ab, um ihre Thränen zu verbergen. Geht es dir wirklich so nahe? Lieber Himmel, was kann ich dir sein? was soll ich hier sitzen? was haben wir zu besprechen? -- Ja, du hast Recht, rief sie heiter; Adieu! Er drückte ihr die Hand und stand an der Thüre, sie sah ihm nicht nach. Therese, sagte er, thut es dir wirklich leid, daß ich fortgehe? -- Sie antwortete nichts; sie setzte sich hin, stützte den Kopf in beide Hände und weinte. -- Gutes Mädchen, du läßt mich schwerer los als die Andern, die sich so leicht getröstet haben, als ich ihnen die Sache plausibel machte. Er stand neben ihr und streichelte ihr das Haar. Adieu, rief er plötzlich, nahm ihre Hand, drückte sie und war verschwunden. Er hatte vor seiner Abreise noch einmal zu ihr gehen wollen, aber es war ihm unmöglich, er wußte selbst nicht warum; er schrieb ihr einige Zeilen und stieg in das Coupe, ohne sie gesehen zu haben. Er saß in seinen Pelz gehüllt und war ganz allein. Die Landschaft flog schwarz und weiß an ihm vorüber, der Dampf spielte über die Felder hin, oder zwischen den tanzenden Stämmen des Waldes; er sah ihm nach du mir vielleicht ab und zu Nachricht, wie es bei euch steht? sagte er noch. Ich lasse dir für verschiedene Punkte meine Adresse hier, wenn du es erlaubst? — Und das soll dein Abschied sein, und vielleicht für immer? Sie wandte sich ab, um ihre Thränen zu verbergen. Geht es dir wirklich so nahe? Lieber Himmel, was kann ich dir sein? was soll ich hier sitzen? was haben wir zu besprechen? — Ja, du hast Recht, rief sie heiter; Adieu! Er drückte ihr die Hand und stand an der Thüre, sie sah ihm nicht nach. Therese, sagte er, thut es dir wirklich leid, daß ich fortgehe? — Sie antwortete nichts; sie setzte sich hin, stützte den Kopf in beide Hände und weinte. — Gutes Mädchen, du läßt mich schwerer los als die Andern, die sich so leicht getröstet haben, als ich ihnen die Sache plausibel machte. Er stand neben ihr und streichelte ihr das Haar. Adieu, rief er plötzlich, nahm ihre Hand, drückte sie und war verschwunden. Er hatte vor seiner Abreise noch einmal zu ihr gehen wollen, aber es war ihm unmöglich, er wußte selbst nicht warum; er schrieb ihr einige Zeilen und stieg in das Coupé, ohne sie gesehen zu haben. Er saß in seinen Pelz gehüllt und war ganz allein. Die Landschaft flog schwarz und weiß an ihm vorüber, der Dampf spielte über die Felder hin, oder zwischen den tanzenden Stämmen des Waldes; er sah ihm nach <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0079"/> du mir vielleicht ab und zu Nachricht, wie es bei euch steht? sagte er noch. Ich lasse dir für verschiedene Punkte meine Adresse hier, wenn du es erlaubst? — Und das soll dein Abschied sein, und vielleicht für immer? Sie wandte sich ab, um ihre Thränen zu verbergen.</p><lb/> <p>Geht es dir wirklich so nahe? Lieber Himmel, was kann ich dir sein? was soll ich hier sitzen? was haben wir zu besprechen? — Ja, du hast Recht, rief sie heiter; Adieu! Er drückte ihr die Hand und stand an der Thüre, sie sah ihm nicht nach.</p><lb/> <p>Therese, sagte er, thut es dir wirklich leid, daß ich fortgehe? — Sie antwortete nichts; sie setzte sich hin, stützte den Kopf in beide Hände und weinte. — Gutes Mädchen, du läßt mich schwerer los als die Andern, die sich so leicht getröstet haben, als ich ihnen die Sache plausibel machte. Er stand neben ihr und streichelte ihr das Haar. Adieu, rief er plötzlich, nahm ihre Hand, drückte sie und war verschwunden.</p><lb/> <p>Er hatte vor seiner Abreise noch einmal zu ihr gehen wollen, aber es war ihm unmöglich, er wußte selbst nicht warum; er schrieb ihr einige Zeilen und stieg in das Coupé, ohne sie gesehen zu haben. Er saß in seinen Pelz gehüllt und war ganz allein. Die Landschaft flog schwarz und weiß an ihm vorüber, der Dampf spielte über die Felder hin, oder zwischen den tanzenden Stämmen des Waldes; er sah ihm nach<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
du mir vielleicht ab und zu Nachricht, wie es bei euch steht? sagte er noch. Ich lasse dir für verschiedene Punkte meine Adresse hier, wenn du es erlaubst? — Und das soll dein Abschied sein, und vielleicht für immer? Sie wandte sich ab, um ihre Thränen zu verbergen.
Geht es dir wirklich so nahe? Lieber Himmel, was kann ich dir sein? was soll ich hier sitzen? was haben wir zu besprechen? — Ja, du hast Recht, rief sie heiter; Adieu! Er drückte ihr die Hand und stand an der Thüre, sie sah ihm nicht nach.
Therese, sagte er, thut es dir wirklich leid, daß ich fortgehe? — Sie antwortete nichts; sie setzte sich hin, stützte den Kopf in beide Hände und weinte. — Gutes Mädchen, du läßt mich schwerer los als die Andern, die sich so leicht getröstet haben, als ich ihnen die Sache plausibel machte. Er stand neben ihr und streichelte ihr das Haar. Adieu, rief er plötzlich, nahm ihre Hand, drückte sie und war verschwunden.
Er hatte vor seiner Abreise noch einmal zu ihr gehen wollen, aber es war ihm unmöglich, er wußte selbst nicht warum; er schrieb ihr einige Zeilen und stieg in das Coupé, ohne sie gesehen zu haben. Er saß in seinen Pelz gehüllt und war ganz allein. Die Landschaft flog schwarz und weiß an ihm vorüber, der Dampf spielte über die Felder hin, oder zwischen den tanzenden Stämmen des Waldes; er sah ihm nach
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Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/79>, abgerufen am 17.06.2024. |