Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrieh, und wie toll in die Welt hinein lief, und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.

37.
Daumesdick.

Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Heerd und schürte das Feuer und die Frau saß und spann. Da sprach er: "wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben, es ist so still bei uns und in den andern Häusern ists so laut und lustig!" "Ja, antwortete die Frau und seufzte und sprach; wenn's nur ein einziges wäre und wenns auch ganz klein wäre, nur Daumens groß, so wollt ich schon zufrieden seyn, wir hättens doch von Herzen lieb." Nun geschah es, daß die Frau kränklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht länger als ein Daumen war. Da sprachen sie: "es ist doch, wie wir es gewünscht haben, und es soll unser liebes Kind seyn" und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht größer, sondern blieb wie es in der ersten Stunde gewesen war, doch schaute es verständig aus den Augen, und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles glückte, was es anfing.

Der Bauer machte sich einmal fertig, in den Wald zu gehen und Holz zu fällen, da sprach er so vor sich hin: "nun wollt ich, daß einer da wäre, der mir den Wagen nachbrächte." "O Vater,

stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrieh, und wie toll in die Welt hinein lief, und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.

37.
Daumesdick.

Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Heerd und schuͤrte das Feuer und die Frau saß und spann. Da sprach er: „wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben, es ist so still bei uns und in den andern Haͤusern ists so laut und lustig!“ „Ja, antwortete die Frau und seufzte und sprach; wenn’s nur ein einziges waͤre und wenns auch ganz klein waͤre, nur Daumens groß, so wollt ich schon zufrieden seyn, wir haͤttens doch von Herzen lieb.“ Nun geschah es, daß die Frau kraͤnklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht laͤnger als ein Daumen war. Da sprachen sie: „es ist doch, wie wir es gewuͤnscht haben, und es soll unser liebes Kind seyn“ und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht groͤßer, sondern blieb wie es in der ersten Stunde gewesen war, doch schaute es verstaͤndig aus den Augen, und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles gluͤckte, was es anfing.

Der Bauer machte sich einmal fertig, in den Wald zu gehen und Holz zu faͤllen, da sprach er so vor sich hin: „nun wollt ich, daß einer da waͤre, der mir den Wagen nachbraͤchte.“ „O Vater,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0255" n="191"/>
stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrieh, und wie toll in die Welt hinein lief, und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">37.<lb/>
Daumesdick.</hi> </head><lb/>
        <p>Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Heerd und schu&#x0364;rte das Feuer und die Frau saß und spann. Da sprach er: &#x201E;wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben, es ist so still bei uns und in den andern Ha&#x0364;usern ists so laut und lustig!&#x201C; &#x201E;Ja, antwortete die Frau und seufzte und sprach; wenn&#x2019;s nur ein einziges wa&#x0364;re und wenns auch ganz klein wa&#x0364;re, nur Daumens groß, so wollt ich schon zufrieden seyn, wir ha&#x0364;ttens doch von Herzen lieb.&#x201C; Nun geschah es, daß die Frau kra&#x0364;nklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht la&#x0364;nger als ein Daumen war. Da sprachen sie: &#x201E;es ist doch, wie wir es gewu&#x0364;nscht haben, und es soll unser liebes Kind seyn&#x201C; und nannten es nach seiner Gestalt <hi rendition="#g">Daumesdick</hi>. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht gro&#x0364;ßer, sondern blieb wie es in der ersten Stunde gewesen war, doch schaute es versta&#x0364;ndig aus den Augen, und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles glu&#x0364;ckte, was es anfing.</p><lb/>
        <p>Der Bauer machte sich einmal fertig, in den Wald zu gehen und Holz zu fa&#x0364;llen, da sprach er so vor sich hin: &#x201E;nun wollt ich, daß einer da wa&#x0364;re, der mir den Wagen nachbra&#x0364;chte.&#x201C; &#x201E;O Vater,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0255] stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, meh! meh! schrieh, und wie toll in die Welt hinein lief, und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist. 37. Daumesdick. Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Heerd und schuͤrte das Feuer und die Frau saß und spann. Da sprach er: „wie ists so traurig, daß wir keine Kinder haben, es ist so still bei uns und in den andern Haͤusern ists so laut und lustig!“ „Ja, antwortete die Frau und seufzte und sprach; wenn’s nur ein einziges waͤre und wenns auch ganz klein waͤre, nur Daumens groß, so wollt ich schon zufrieden seyn, wir haͤttens doch von Herzen lieb.“ Nun geschah es, daß die Frau kraͤnklich ward und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar an allen Gliedern vollkommen, aber nicht laͤnger als ein Daumen war. Da sprachen sie: „es ist doch, wie wir es gewuͤnscht haben, und es soll unser liebes Kind seyn“ und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließens nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind ward nicht groͤßer, sondern blieb wie es in der ersten Stunde gewesen war, doch schaute es verstaͤndig aus den Augen, und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles gluͤckte, was es anfing. Der Bauer machte sich einmal fertig, in den Wald zu gehen und Holz zu faͤllen, da sprach er so vor sich hin: „nun wollt ich, daß einer da waͤre, der mir den Wagen nachbraͤchte.“ „O Vater,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/255
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/255>, abgerufen am 30.04.2024.