[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.setzen. Und ich gestehe Dir gern, daß ich kein Märtyrer der Wahrheit sein möchte, wenn nicht Jedermann dieselbe Wahrheit an allen Wegweisern auf der Landstraße lesen könnte. Wie Göthe und sonstige Unsterbliche unter den Sterblichen wird man nie mehr sein, als wozu man gemacht wird. Man pflücke Nichts vom Baume des Lebens, es fallen genug Blätter von ihm ab, die auf der ruhigen Spiegelhelle des Daseins umhertreiben und immer so ansehnlich sind, daß sich ein Lorbeerkranz daraus winden läßt. Wohl dem, dessen Ueberzeugung nicht weiter reicht, als die Augen seiner Zeitgenossen! Er wird ihnen nun erscheinen--denn wer würde meinen, nur Alltägliches zu sehen!--und doch der alte, liebe Freund, der dem Herzen so nahe steht, sein. Wem diese marmorne Ruhe nicht zusagt, der mag sich die Gegenstände seines Kampfes fingiren. Er kann dabei so viel Anstand und Würde entwickeln, daß er nie für den spanischen Abenteurer, immer nur für einen Heros gehalten wird. Neben der Coketterie der Liebe gibt es auch eine des Hasses. Wenn man sich flieht, um sich zu haschen, so gibt dies den angenehmen Eindruck eines Anakreontischen Ballets. Wenn man sich aber in die Haare fällt, nur um auseinander zu kommen, so ist dies neben der Feigheit eine Lächerlichkeit, die leider nur von den setzen. Und ich gestehe Dir gern, daß ich kein Märtyrer der Wahrheit sein möchte, wenn nicht Jedermann dieselbe Wahrheit an allen Wegweisern auf der Landstraße lesen könnte. Wie Göthe und sonstige Unsterbliche unter den Sterblichen wird man nie mehr sein, als wozu man gemacht wird. Man pflücke Nichts vom Baume des Lebens, es fallen genug Blätter von ihm ab, die auf der ruhigen Spiegelhelle des Daseins umhertreiben und immer so ansehnlich sind, daß sich ein Lorbeerkranz daraus winden läßt. Wohl dem, dessen Ueberzeugung nicht weiter reicht, als die Augen seiner Zeitgenossen! Er wird ihnen nun erscheinen—denn wer würde meinen, nur Alltägliches zu sehen!—und doch der alte, liebe Freund, der dem Herzen so nahe steht, sein. Wem diese marmorne Ruhe nicht zusagt, der mag sich die Gegenstände seines Kampfes fingiren. Er kann dabei so viel Anstand und Würde entwickeln, daß er nie für den spanischen Abenteurer, immer nur für einen Heros gehalten wird. Neben der Coketterie der Liebe gibt es auch eine des Hasses. Wenn man sich flieht, um sich zu haschen, so gibt dies den angenehmen Eindruck eines Anakreontischen Ballets. Wenn man sich aber in die Haare fällt, nur um auseinander zu kommen, so ist dies neben der Feigheit eine Lächerlichkeit, die leider nur von den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0054" n="41"/> setzen. Und ich gestehe Dir gern, daß ich kein Märtyrer der Wahrheit sein möchte, wenn nicht Jedermann dieselbe Wahrheit an allen Wegweisern auf der Landstraße lesen könnte. Wie Göthe und sonstige Unsterbliche unter den Sterblichen wird man nie mehr sein, als wozu man gemacht wird. Man pflücke Nichts vom Baume des Lebens, es fallen genug Blätter von ihm ab, die auf der ruhigen Spiegelhelle des Daseins umhertreiben und immer so ansehnlich sind, daß sich ein Lorbeerkranz daraus winden läßt. Wohl dem, dessen Ueberzeugung nicht weiter reicht, als die Augen seiner Zeitgenossen! Er wird ihnen nun erscheinen—denn wer würde meinen, nur Alltägliches zu sehen!—und doch der alte, liebe Freund, der dem Herzen so nahe steht, sein. Wem diese marmorne Ruhe nicht zusagt, der mag sich die Gegenstände seines Kampfes fingiren. Er kann dabei so viel Anstand und Würde entwickeln, daß er nie für <ref xml:id="TEXTdenspanischenAbenteurer" target="BrN3E.htm#ERLdenspanischenAbenteurer">den spanischen Abenteurer</ref>, immer nur für einen Heros gehalten wird. Neben der Coketterie der Liebe gibt es auch eine des Hasses. Wenn man sich flieht, um sich zu haschen, so gibt dies <ref xml:id="TEXTdenangenehmenBISBallets" target="BrN3E.htm#ERLdenangenehmenBISBallets">den angenehmen Eindruck eines Anakreontischen Ballets</ref>. Wenn man sich aber in die Haare fällt, nur um auseinander zu kommen, so ist dies neben der Feigheit eine Lächerlichkeit, die leider nur von den </p> </div> </body> </text> </TEI> [41/0054]
setzen. Und ich gestehe Dir gern, daß ich kein Märtyrer der Wahrheit sein möchte, wenn nicht Jedermann dieselbe Wahrheit an allen Wegweisern auf der Landstraße lesen könnte. Wie Göthe und sonstige Unsterbliche unter den Sterblichen wird man nie mehr sein, als wozu man gemacht wird. Man pflücke Nichts vom Baume des Lebens, es fallen genug Blätter von ihm ab, die auf der ruhigen Spiegelhelle des Daseins umhertreiben und immer so ansehnlich sind, daß sich ein Lorbeerkranz daraus winden läßt. Wohl dem, dessen Ueberzeugung nicht weiter reicht, als die Augen seiner Zeitgenossen! Er wird ihnen nun erscheinen—denn wer würde meinen, nur Alltägliches zu sehen!—und doch der alte, liebe Freund, der dem Herzen so nahe steht, sein. Wem diese marmorne Ruhe nicht zusagt, der mag sich die Gegenstände seines Kampfes fingiren. Er kann dabei so viel Anstand und Würde entwickeln, daß er nie für den spanischen Abenteurer, immer nur für einen Heros gehalten wird. Neben der Coketterie der Liebe gibt es auch eine des Hasses. Wenn man sich flieht, um sich zu haschen, so gibt dies den angenehmen Eindruck eines Anakreontischen Ballets. Wenn man sich aber in die Haare fällt, nur um auseinander zu kommen, so ist dies neben der Feigheit eine Lächerlichkeit, die leider nur von den
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/54>, abgerufen am 16.06.2024. |