Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Die Wahlsysteme und Lokalitäten sind zu verschiedenartig, als daß man wagen dürfte, einen allgemeinen Deputirtencharakter aufzustellen. Hier ist es ein Geschäftsmann, dort ein Gelehrter, der entweder ganz die Eigenschaften des Wählers besitzt oder wenn er erst die Wahl überstanden hat, diesen täuscht und seinen eigenen Weg einschlägt. Die nordamerikanischen Deputirten sind Kaufleute, die den Staat in jedem Augenblicke fühlen lassen, welch' großes Opfer sie ihm bringen, indem sie ihren Comptoirtisch mit der Bank des Gesetzgebers vertauschen. Dazu gehören sie nicht einmal der vornehmen und gebildeten Klasse an, werden von der Würde des Senats an Haltung bei weitem übertroffen, besitzen weder Fähigkeit für die Rede noch die Debatte, wissen über vieles nichts zu sagen und hören über manches einem Vortrage zu, der zwei Tage dauert, ja erlauben sich sogar Thätlichkeiten gegen ihre Gegner, zu welchen es nicht kommen würde, wenn die Hamilton'sche Warnung, sich während der Sitzung keiner geistigen Getränke zu bedienen, besser befolgt würde. Jn England sind die Deputirten meistentheils wirklich Kenner des Gesetzes oder doch sonst einer Bildung theilhaftig, die auf klassischen Grundlagen gebaut ist und sich in den Zusammenhang unsrer Staatsverfassung und Geschichte hineindenken kann. Unsere Deputirten beginnen damit, auf der Schule lateinische Verse zu machen und sich besonders durch die Lektüre des Cicero alle Vortheile der öffentlichen Rhetorik anzueignen. Nach Vollendung des juristischen Cursus und einer Praxis, Die Wahlsysteme und Lokalitäten sind zu verschiedenartig, als daß man wagen dürfte, einen allgemeinen Deputirtencharakter aufzustellen. Hier ist es ein Geschäftsmann, dort ein Gelehrter, der entweder ganz die Eigenschaften des Wählers besitzt oder wenn er erst die Wahl überstanden hat, diesen täuscht und seinen eigenen Weg einschlägt. Die nordamerikanischen Deputirten sind Kaufleute, die den Staat in jedem Augenblicke fühlen lassen, welch’ großes Opfer sie ihm bringen, indem sie ihren Comptoirtisch mit der Bank des Gesetzgebers vertauschen. Dazu gehören sie nicht einmal der vornehmen und gebildeten Klasse an, werden von der Würde des Senats an Haltung bei weitem übertroffen, besitzen weder Fähigkeit für die Rede noch die Debatte, wissen über vieles nichts zu sagen und hören über manches einem Vortrage zu, der zwei Tage dauert, ja erlauben sich sogar Thätlichkeiten gegen ihre Gegner, zu welchen es nicht kommen würde, wenn die Hamilton’sche Warnung, sich während der Sitzung keiner geistigen Getränke zu bedienen, besser befolgt würde. Jn England sind die Deputirten meistentheils wirklich Kenner des Gesetzes oder doch sonst einer Bildung theilhaftig, die auf klassischen Grundlagen gebaut ist und sich in den Zusammenhang unsrer Staatsverfassung und Geschichte hineindenken kann. Unsere Deputirten beginnen damit, auf der Schule lateinische Verse zu machen und sich besonders durch die Lektüre des Cicero alle Vortheile der öffentlichen Rhetorik anzueignen. Nach Vollendung des juristischen Cursus und einer Praxis, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0331" n="303"/> <p> Die Wahlsysteme und Lokalitäten sind zu verschiedenartig, als daß man wagen dürfte, einen allgemeinen Deputirtencharakter aufzustellen. Hier ist es ein Geschäftsmann, dort ein Gelehrter, der entweder ganz die Eigenschaften des Wählers besitzt oder wenn er erst die Wahl überstanden hat, diesen täuscht und seinen eigenen Weg einschlägt. Die nordamerikanischen Deputirten sind Kaufleute, die den Staat in jedem Augenblicke fühlen lassen, welch’ großes Opfer sie ihm bringen, indem sie ihren Comptoirtisch mit der Bank des Gesetzgebers vertauschen. Dazu gehören sie nicht einmal der vornehmen und gebildeten Klasse an, werden von der Würde des Senats an Haltung bei weitem übertroffen, besitzen weder Fähigkeit für die Rede noch die Debatte, wissen über vieles nichts zu sagen und hören über manches einem Vortrage zu, der zwei Tage dauert, ja erlauben sich sogar Thätlichkeiten gegen ihre Gegner, zu welchen es nicht kommen würde, wenn die Hamilton’sche Warnung, sich während der Sitzung keiner geistigen Getränke zu bedienen, besser befolgt würde. Jn England sind die Deputirten meistentheils wirklich Kenner des Gesetzes oder doch sonst einer Bildung theilhaftig, die auf klassischen Grundlagen gebaut ist und sich in den Zusammenhang unsrer Staatsverfassung und Geschichte hineindenken kann. Unsere Deputirten beginnen damit, auf der Schule lateinische Verse zu machen und sich besonders durch die Lektüre des Cicero alle Vortheile der öffentlichen Rhetorik anzueignen. Nach Vollendung des juristischen Cursus und einer Praxis, </p> </div> </body> </text> </TEI> [303/0331]
Die Wahlsysteme und Lokalitäten sind zu verschiedenartig, als daß man wagen dürfte, einen allgemeinen Deputirtencharakter aufzustellen. Hier ist es ein Geschäftsmann, dort ein Gelehrter, der entweder ganz die Eigenschaften des Wählers besitzt oder wenn er erst die Wahl überstanden hat, diesen täuscht und seinen eigenen Weg einschlägt. Die nordamerikanischen Deputirten sind Kaufleute, die den Staat in jedem Augenblicke fühlen lassen, welch’ großes Opfer sie ihm bringen, indem sie ihren Comptoirtisch mit der Bank des Gesetzgebers vertauschen. Dazu gehören sie nicht einmal der vornehmen und gebildeten Klasse an, werden von der Würde des Senats an Haltung bei weitem übertroffen, besitzen weder Fähigkeit für die Rede noch die Debatte, wissen über vieles nichts zu sagen und hören über manches einem Vortrage zu, der zwei Tage dauert, ja erlauben sich sogar Thätlichkeiten gegen ihre Gegner, zu welchen es nicht kommen würde, wenn die Hamilton’sche Warnung, sich während der Sitzung keiner geistigen Getränke zu bedienen, besser befolgt würde. Jn England sind die Deputirten meistentheils wirklich Kenner des Gesetzes oder doch sonst einer Bildung theilhaftig, die auf klassischen Grundlagen gebaut ist und sich in den Zusammenhang unsrer Staatsverfassung und Geschichte hineindenken kann. Unsere Deputirten beginnen damit, auf der Schule lateinische Verse zu machen und sich besonders durch die Lektüre des Cicero alle Vortheile der öffentlichen Rhetorik anzueignen. Nach Vollendung des juristischen Cursus und einer Praxis,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/331 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/331>, abgerufen am 10.06.2024. |