Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Nicht alle Erzieherinnen erfüllen so gediegen ihre Bestimmung. Jch kenne von dem Charakter Sylviens außerordentlich viel Anomalien. Die gefährlichsten Geschöpfe dieser Art sind solche, welche das anständige Kleid einer Lehrerin nur als Deckmantel ihrer großen und kleinen Leidenschaften benutzen. Die erträglichsten Weiber dieser Art sind hier noch diejenigen, welche blos nach Herrschaft strebten und kindisch genug denken, eine Herrschaft über Kinder auch eine Herrschaft zu nennen. Die Frauen kommandiren gern. Haben sie keine Hoffnung, daß sie es über eigne Kinder können, so knechten sie fremde. Der affektirt rauhe, kurze Ton der Lehrerinnen ist dasjenige, was ihnen den meisten Genuß gewährt. Sie scheinen aus Liebe zum Despotismus Unterricht zu geben. Bedenklicher schon ist es, wenn eine Lehrerin nach gesellschaftlicher Auszeichnung strebt. Aus diesem Triebe entstehen meist in Familien untern Standes die pädagogischen Gelüste. Meine Tochter wird eine Lehrerin! Diese stolze Proklamation einer sehr ungelehrten Mutter entzündet das junge Mädchen, das sich quält, Fortschritte in der Musik und im Französischen zu machen. Das junge Kind ist eitel und will dem Loose entgehen, ehe sie eine Gattin wird, eine Nähterin zu werden. Es kostet den Eltern viel Anstrengung, die Mittel zu der Vorbereitung einer solchen pädagogischen Vorzukunft herbeizuschaffen; allein sie haben dabei noch den Trost, daß die Partie, welche sich ihrer Tochter einst anbieten könnte, nicht aus dem Handwerks-, sondern vielleicht aus dem Nicht alle Erzieherinnen erfüllen so gediegen ihre Bestimmung. Jch kenne von dem Charakter Sylviens außerordentlich viel Anomalien. Die gefährlichsten Geschöpfe dieser Art sind solche, welche das anständige Kleid einer Lehrerin nur als Deckmantel ihrer großen und kleinen Leidenschaften benutzen. Die erträglichsten Weiber dieser Art sind hier noch diejenigen, welche blos nach Herrschaft strebten und kindisch genug denken, eine Herrschaft über Kinder auch eine Herrschaft zu nennen. Die Frauen kommandiren gern. Haben sie keine Hoffnung, daß sie es über eigne Kinder können, so knechten sie fremde. Der affektirt rauhe, kurze Ton der Lehrerinnen ist dasjenige, was ihnen den meisten Genuß gewährt. Sie scheinen aus Liebe zum Despotismus Unterricht zu geben. Bedenklicher schon ist es, wenn eine Lehrerin nach gesellschaftlicher Auszeichnung strebt. Aus diesem Triebe entstehen meist in Familien untern Standes die pädagogischen Gelüste. Meine Tochter wird eine Lehrerin! Diese stolze Proklamation einer sehr ungelehrten Mutter entzündet das junge Mädchen, das sich quält, Fortschritte in der Musik und im Französischen zu machen. Das junge Kind ist eitel und will dem Loose entgehen, ehe sie eine Gattin wird, eine Nähterin zu werden. Es kostet den Eltern viel Anstrengung, die Mittel zu der Vorbereitung einer solchen pädagogischen Vorzukunft herbeizuschaffen; allein sie haben dabei noch den Trost, daß die Partie, welche sich ihrer Tochter einst anbieten könnte, nicht aus dem Handwerks-, sondern vielleicht aus dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0399" n="371"/> <p> Nicht alle Erzieherinnen erfüllen so gediegen ihre Bestimmung. Jch kenne von dem Charakter Sylviens außerordentlich viel Anomalien. Die gefährlichsten Geschöpfe dieser Art sind solche, welche das anständige Kleid einer Lehrerin nur als Deckmantel ihrer großen und kleinen Leidenschaften benutzen. Die erträglichsten Weiber dieser Art sind hier noch diejenigen, welche blos nach Herrschaft strebten und kindisch genug denken, eine Herrschaft über Kinder <hi rendition="#g">auch</hi> eine Herrschaft zu nennen. Die Frauen kommandiren gern. Haben sie keine Hoffnung, daß sie es über eigne Kinder können, so knechten sie fremde. Der affektirt rauhe, kurze Ton der Lehrerinnen ist dasjenige, was ihnen den meisten Genuß gewährt. Sie scheinen aus Liebe zum Despotismus Unterricht zu geben. Bedenklicher schon ist es, wenn eine Lehrerin nach gesellschaftlicher Auszeichnung strebt. Aus diesem Triebe entstehen meist in Familien untern Standes die pädagogischen Gelüste. Meine Tochter wird eine Lehrerin! Diese stolze Proklamation einer sehr ungelehrten Mutter entzündet das junge Mädchen, das sich quält, Fortschritte in der Musik und im Französischen zu machen. Das junge Kind ist eitel und will dem Loose entgehen, ehe sie eine Gattin wird, eine Nähterin zu werden. Es kostet den Eltern viel Anstrengung, die Mittel zu der Vorbereitung einer solchen pädagogischen Vorzukunft herbeizuschaffen; allein sie haben dabei noch den Trost, daß die Partie, welche sich ihrer Tochter einst anbieten könnte, nicht aus dem Handwerks-, sondern vielleicht aus dem </p> </div> </body> </text> </TEI> [371/0399]
Nicht alle Erzieherinnen erfüllen so gediegen ihre Bestimmung. Jch kenne von dem Charakter Sylviens außerordentlich viel Anomalien. Die gefährlichsten Geschöpfe dieser Art sind solche, welche das anständige Kleid einer Lehrerin nur als Deckmantel ihrer großen und kleinen Leidenschaften benutzen. Die erträglichsten Weiber dieser Art sind hier noch diejenigen, welche blos nach Herrschaft strebten und kindisch genug denken, eine Herrschaft über Kinder auch eine Herrschaft zu nennen. Die Frauen kommandiren gern. Haben sie keine Hoffnung, daß sie es über eigne Kinder können, so knechten sie fremde. Der affektirt rauhe, kurze Ton der Lehrerinnen ist dasjenige, was ihnen den meisten Genuß gewährt. Sie scheinen aus Liebe zum Despotismus Unterricht zu geben. Bedenklicher schon ist es, wenn eine Lehrerin nach gesellschaftlicher Auszeichnung strebt. Aus diesem Triebe entstehen meist in Familien untern Standes die pädagogischen Gelüste. Meine Tochter wird eine Lehrerin! Diese stolze Proklamation einer sehr ungelehrten Mutter entzündet das junge Mädchen, das sich quält, Fortschritte in der Musik und im Französischen zu machen. Das junge Kind ist eitel und will dem Loose entgehen, ehe sie eine Gattin wird, eine Nähterin zu werden. Es kostet den Eltern viel Anstrengung, die Mittel zu der Vorbereitung einer solchen pädagogischen Vorzukunft herbeizuschaffen; allein sie haben dabei noch den Trost, daß die Partie, welche sich ihrer Tochter einst anbieten könnte, nicht aus dem Handwerks-, sondern vielleicht aus dem
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