fenbarung aufgehoben wurde, erhielt sich dieselbe dennoch bis auf den heutigen Tag in solchem Ansehen, daß sie in weiten Kreisen das Haupt- hinderniß für die Annahme einer natürlichen Entwickelungstheorie bil- det. Bekanntlich haben selbst viele Naturforscher noch in unserem Jahrhundert versucht, dieselbe mit den Ergebnissen der neueren Na- turwissenschaft, insbesondere der Geologie, in Einklang zu bringen, und z. B. die sieben Schöpfungstage des Moses als sieben große geologische Perioden gedeutet. Jndessen sind alle diese künstlichen Deu- tungsversuche so vollkommen verfehlt, daß sie hier keiner Widerlegung bedürfen. Die Bibel ist kein naturwissenschaftliches Werk, sondern eine Geschichts-, Gesetzes- und Religionsurkunde des jüdischen Vol- kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geschmälert wird, daß sie in allen naturwissenschaftlichen Fragen ohne maßgebende Be- deutung und voll von Jrrthümern ist.
Wir können nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr- tausenden machen, von Moses, welcher ungefähr um das Jahr 1480 vor Christus starb, bis auf Linne, welcher 1707 nach Christus geboren wurde. Während dieses ganzen Zeitraums wurde keine Schö- pfungsgeschichte aufgestellt, welche eine bleibende Bedeutung gewann, oder deren nähere Betrachtung an diesem Orte von Jnteresse wäre. Jnsbesondere während der letzten 1500 Jahre, als das Christenthum die Weltherrschaft gewann, blieb die mit dessen Glaubenslehren ver- knüpfte mosaische Schöpfungsgeschichte so allgemein herrschend, daß erst das neunzehnte Jahrhundert sich entschieden dagegen aufzulehnen wagte. Selbst der große schwedische Naturforscher Linne, der Be- gründer der neueren Naturgeschichte, schloß sich in seinem Natursystem auf das Engste an die Schöpfungsgeschichte des Moses an.
Der außerordentliche Fortschritt, welchen Karl Linne in den sogenannten beschreibenden Naturwissenschaften that, besteht bekannt- lich in der Aufstellung eines Systems der Thier- und Pflanzenar- ten, welches er in so folgerichtiger und logisch vollendeter Form durch- führte, daß es bis auf den heutigen Tag in vielen Beziehungen die Richtschnur für alle folgenden, mit den Formen der Thiere und Pflan-
Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes.
fenbarung aufgehoben wurde, erhielt ſich dieſelbe dennoch bis auf den heutigen Tag in ſolchem Anſehen, daß ſie in weiten Kreiſen das Haupt- hinderniß fuͤr die Annahme einer natuͤrlichen Entwickelungstheorie bil- det. Bekanntlich haben ſelbſt viele Naturforſcher noch in unſerem Jahrhundert verſucht, dieſelbe mit den Ergebniſſen der neueren Na- turwiſſenſchaft, insbeſondere der Geologie, in Einklang zu bringen, und z. B. die ſieben Schoͤpfungstage des Moſes als ſieben große geologiſche Perioden gedeutet. Jndeſſen ſind alle dieſe kuͤnſtlichen Deu- tungsverſuche ſo vollkommen verfehlt, daß ſie hier keiner Widerlegung beduͤrfen. Die Bibel iſt kein naturwiſſenſchaftliches Werk, ſondern eine Geſchichts-, Geſetzes- und Religionsurkunde des juͤdiſchen Vol- kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geſchmaͤlert wird, daß ſie in allen naturwiſſenſchaftlichen Fragen ohne maßgebende Be- deutung und voll von Jrrthuͤmern iſt.
Wir koͤnnen nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr- tauſenden machen, von Moſes, welcher ungefaͤhr um das Jahr 1480 vor Chriſtus ſtarb, bis auf Linné, welcher 1707 nach Chriſtus geboren wurde. Waͤhrend dieſes ganzen Zeitraums wurde keine Schoͤ- pfungsgeſchichte aufgeſtellt, welche eine bleibende Bedeutung gewann, oder deren naͤhere Betrachtung an dieſem Orte von Jntereſſe waͤre. Jnsbeſondere waͤhrend der letzten 1500 Jahre, als das Chriſtenthum die Weltherrſchaft gewann, blieb die mit deſſen Glaubenslehren ver- knuͤpfte moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte ſo allgemein herrſchend, daß erſt das neunzehnte Jahrhundert ſich entſchieden dagegen aufzulehnen wagte. Selbſt der große ſchwediſche Naturforſcher Linné, der Be- gruͤnder der neueren Naturgeſchichte, ſchloß ſich in ſeinem Naturſyſtem auf das Engſte an die Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes an.
Der außerordentliche Fortſchritt, welchen Karl Linné in den ſogenannten beſchreibenden Naturwiſſenſchaften that, beſteht bekannt- lich in der Aufſtellung eines Syſtems der Thier- und Pflanzenar- ten, welches er in ſo folgerichtiger und logiſch vollendeter Form durch- fuͤhrte, daß es bis auf den heutigen Tag in vielen Beziehungen die Richtſchnur fuͤr alle folgenden, mit den Formen der Thiere und Pflan-
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Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes.
fenbarung aufgehoben wurde, erhielt ſich dieſelbe dennoch bis auf den
heutigen Tag in ſolchem Anſehen, daß ſie in weiten Kreiſen das Haupt-
hinderniß fuͤr die Annahme einer natuͤrlichen Entwickelungstheorie bil-
det. Bekanntlich haben ſelbſt viele Naturforſcher noch in unſerem
Jahrhundert verſucht, dieſelbe mit den Ergebniſſen der neueren Na-
turwiſſenſchaft, insbeſondere der Geologie, in Einklang zu bringen,
und z. B. die ſieben Schoͤpfungstage des Moſes als ſieben große
geologiſche Perioden gedeutet. Jndeſſen ſind alle dieſe kuͤnſtlichen Deu-
tungsverſuche ſo vollkommen verfehlt, daß ſie hier keiner Widerlegung
beduͤrfen. Die Bibel iſt kein naturwiſſenſchaftliches Werk, ſondern
eine Geſchichts-, Geſetzes- und Religionsurkunde des juͤdiſchen Vol-
kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geſchmaͤlert wird,
daß ſie in allen naturwiſſenſchaftlichen Fragen ohne maßgebende Be-
deutung und voll von Jrrthuͤmern iſt.
Wir koͤnnen nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr-
tauſenden machen, von Moſes, welcher ungefaͤhr um das Jahr
1480 vor Chriſtus ſtarb, bis auf Linné, welcher 1707 nach Chriſtus
geboren wurde. Waͤhrend dieſes ganzen Zeitraums wurde keine Schoͤ-
pfungsgeſchichte aufgeſtellt, welche eine bleibende Bedeutung gewann,
oder deren naͤhere Betrachtung an dieſem Orte von Jntereſſe waͤre.
Jnsbeſondere waͤhrend der letzten 1500 Jahre, als das Chriſtenthum
die Weltherrſchaft gewann, blieb die mit deſſen Glaubenslehren ver-
knuͤpfte moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte ſo allgemein herrſchend, daß
erſt das neunzehnte Jahrhundert ſich entſchieden dagegen aufzulehnen
wagte. Selbſt der große ſchwediſche Naturforſcher Linné, der Be-
gruͤnder der neueren Naturgeſchichte, ſchloß ſich in ſeinem Naturſyſtem
auf das Engſte an die Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes an.
Der außerordentliche Fortſchritt, welchen Karl Linné in den
ſogenannten beſchreibenden Naturwiſſenſchaften that, beſteht bekannt-
lich in der Aufſtellung eines Syſtems der Thier- und Pflanzenar-
ten, welches er in ſo folgerichtiger und logiſch vollendeter Form durch-
fuͤhrte, daß es bis auf den heutigen Tag in vielen Beziehungen die
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/52>, abgerufen am 16.06.2024.
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