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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Unsterblichkeit der Thierseele. XI.
hatte. Seinen einzigen Umgang bildeten einige Dienstleute, mit
denen er nur die nöthigsten Worte wechselte, und eine große
Meute der verschiedensten Hunde, mit denen er im innigsten
Seelen-Verkehr lebte. Durch vieljährige Erziehung und Dressur
derselben hatte sich dieser feinsinnige Beobachter und Naturfreund
tief in die individuelle Psyche seiner Hunde eingelebt, und er
war von deren persönlicher Unsterblichkeit ebenso fest überzeugt
wie von seiner eigenen. Einzelne seiner intelligentesten Hunde
standen nach seinem objektiven Vergleiche auf einer höheren
psychischen Stufe als seine alte, stumpfsinnige Magd und der
rohe, einfältige Knecht. Jeder unbefangene Beobachter, der Jahre
lang das bewußte und intelligente Seelenleben ausgezeichneter
Hunde studirt, der aufmerksam die physiologischen Vorgänge ihres
Denkens, Urtheilens, Schließens verfolgt hat, wird zugeben
müssen, daß sie mit gleichem Rechte die "Unsterblichkeit" für sich
in Anspruch nehmen können wie der Mensch.

Beweise für den Athanismus. Die Gründe, welche man
seit zweitausend Jahren für die Unsterblichkeit der Seele anführt,
und welche auch heute noch dafür geltend gemacht werden, ent-
springen zum größten Theile nicht dem Streben nach Erkenntniß
der Wahrheit, sondern vielmehr dem sogenannten "Bedürfniß des
Gemüthes", d. h. dem Phantasieleben und der Dichtung. Um
mit Kant zu reden, ist die Unsterblichkeit der Seele nicht ein
Erkenntniß-Objekt der reinen Vernunft, sondern ein "Postulat
der praktischen Vernunft". Diese letztere und die mit ihr
zusammenhängenden "Bedürfnisse des Gemüthes, der moralischen
Erziehung" u. s. w. müssen wir aber ganz aus dem Spiele
lassen, wenn wir ehrlich und unbefangen zur reinen Erkenntniß
der Wahrheit gelangen wollen; denn diese ist einzig und allein
durch empirisch begründete und logisch klare Schlüsse der reinen
Vernunft möglich. Es gilt also hier vom Athanismus das-
selbe wie vom Theismus: beide sind nur Gegenstände der

Unſterblichkeit der Thierſeele. XI.
hatte. Seinen einzigen Umgang bildeten einige Dienſtleute, mit
denen er nur die nöthigſten Worte wechſelte, und eine große
Meute der verſchiedenſten Hunde, mit denen er im innigſten
Seelen-Verkehr lebte. Durch vieljährige Erziehung und Dreſſur
derſelben hatte ſich dieſer feinſinnige Beobachter und Naturfreund
tief in die individuelle Pſyche ſeiner Hunde eingelebt, und er
war von deren perſönlicher Unſterblichkeit ebenſo feſt überzeugt
wie von ſeiner eigenen. Einzelne ſeiner intelligenteſten Hunde
ſtanden nach ſeinem objektiven Vergleiche auf einer höheren
pſychiſchen Stufe als ſeine alte, ſtumpfſinnige Magd und der
rohe, einfältige Knecht. Jeder unbefangene Beobachter, der Jahre
lang das bewußte und intelligente Seelenleben ausgezeichneter
Hunde ſtudirt, der aufmerkſam die phyſiologiſchen Vorgänge ihres
Denkens, Urtheilens, Schließens verfolgt hat, wird zugeben
müſſen, daß ſie mit gleichem Rechte die „Unſterblichkeit“ für ſich
in Anſpruch nehmen können wie der Menſch.

Beweiſe für den Athanismus. Die Gründe, welche man
ſeit zweitauſend Jahren für die Unſterblichkeit der Seele anführt,
und welche auch heute noch dafür geltend gemacht werden, ent-
ſpringen zum größten Theile nicht dem Streben nach Erkenntniß
der Wahrheit, ſondern vielmehr dem ſogenannten „Bedürfniß des
Gemüthes“, d. h. dem Phantaſieleben und der Dichtung. Um
mit Kant zu reden, iſt die Unſterblichkeit der Seele nicht ein
Erkenntniß-Objekt der reinen Vernunft, ſondern ein „Poſtulat
der praktiſchen Vernunft“. Dieſe letztere und die mit ihr
zuſammenhängenden „Bedürfniſſe des Gemüthes, der moraliſchen
Erziehung“ u. ſ. w. müſſen wir aber ganz aus dem Spiele
laſſen, wenn wir ehrlich und unbefangen zur reinen Erkenntniß
der Wahrheit gelangen wollen; denn dieſe iſt einzig und allein
durch empiriſch begründete und logiſch klare Schlüſſe der reinen
Vernunft möglich. Es gilt alſo hier vom Athanismus das-
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[234/0250] Unſterblichkeit der Thierſeele. XI. hatte. Seinen einzigen Umgang bildeten einige Dienſtleute, mit denen er nur die nöthigſten Worte wechſelte, und eine große Meute der verſchiedenſten Hunde, mit denen er im innigſten Seelen-Verkehr lebte. Durch vieljährige Erziehung und Dreſſur derſelben hatte ſich dieſer feinſinnige Beobachter und Naturfreund tief in die individuelle Pſyche ſeiner Hunde eingelebt, und er war von deren perſönlicher Unſterblichkeit ebenſo feſt überzeugt wie von ſeiner eigenen. Einzelne ſeiner intelligenteſten Hunde ſtanden nach ſeinem objektiven Vergleiche auf einer höheren pſychiſchen Stufe als ſeine alte, ſtumpfſinnige Magd und der rohe, einfältige Knecht. Jeder unbefangene Beobachter, der Jahre lang das bewußte und intelligente Seelenleben ausgezeichneter Hunde ſtudirt, der aufmerkſam die phyſiologiſchen Vorgänge ihres Denkens, Urtheilens, Schließens verfolgt hat, wird zugeben müſſen, daß ſie mit gleichem Rechte die „Unſterblichkeit“ für ſich in Anſpruch nehmen können wie der Menſch. Beweiſe für den Athanismus. Die Gründe, welche man ſeit zweitauſend Jahren für die Unſterblichkeit der Seele anführt, und welche auch heute noch dafür geltend gemacht werden, ent- ſpringen zum größten Theile nicht dem Streben nach Erkenntniß der Wahrheit, ſondern vielmehr dem ſogenannten „Bedürfniß des Gemüthes“, d. h. dem Phantaſieleben und der Dichtung. Um mit Kant zu reden, iſt die Unſterblichkeit der Seele nicht ein Erkenntniß-Objekt der reinen Vernunft, ſondern ein „Poſtulat der praktiſchen Vernunft“. Dieſe letztere und die mit ihr zuſammenhängenden „Bedürfniſſe des Gemüthes, der moraliſchen Erziehung“ u. ſ. w. müſſen wir aber ganz aus dem Spiele laſſen, wenn wir ehrlich und unbefangen zur reinen Erkenntniß der Wahrheit gelangen wollen; denn dieſe iſt einzig und allein durch empiriſch begründete und logiſch klare Schlüſſe der reinen Vernunft möglich. Es gilt alſo hier vom Athanismus das- ſelbe wie vom Theismus: beide ſind nur Gegenſtände der

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/250>, abgerufen am 30.04.2024.