ewige Mumie seyn, und der Wind immer von Osten her wehen.
Was den Verstand betrift: so nimt Aristo- teles selbst, wie Plato, nach dem Anaxagoras, dessen Meinung ich freylich nach meinem eignen Begriff erklärte, eine eigne Materie für den Verstand an, und unterscheidet sie von aller an- dern, und sogar von der Seele, die, wie er sagt, im ganzen Körper sich befindet. Die Seele des Auges ist das Sehen; die Seele des Ohrs das Hören; und so die des Gefühls das Fühlen. Die Seele des Baums ist, daß er wächst und seine Nahrung mit den Wurzeln einsaugt. Sie ist in allem Lebendigen dieselbe. Kraft in Ausübung ist ihm Seele, und kein Körper, kein Element ohne Seele. Aber Verstand hat seine eigne Na- tur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge kann verblendet, das Ohr betäubt werden; der Verstand hingegen von dem tiefsten Denken un- befangen auf das leichteste übergehen. (Viel-
leicht
ewige Mumie ſeyn, und der Wind immer von Oſten her wehen.
Was den Verſtand betrift: ſo nimt Ariſto- teles ſelbſt, wie Plato, nach dem Anaxagoras, deſſen Meinung ich freylich nach meinem eignen Begriff erklaͤrte, eine eigne Materie fuͤr den Verſtand an, und unterſcheidet ſie von aller an- dern, und ſogar von der Seele, die, wie er ſagt, im ganzen Koͤrper ſich befindet. Die Seele des Auges iſt das Sehen; die Seele des Ohrs das Hoͤren; und ſo die des Gefuͤhls das Fuͤhlen. Die Seele des Baums iſt, daß er waͤchſt und ſeine Nahrung mit den Wurzeln einſaugt. Sie iſt in allem Lebendigen dieſelbe. Kraft in Ausuͤbung iſt ihm Seele, und kein Koͤrper, kein Element ohne Seele. Aber Verſtand hat ſeine eigne Na- tur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge kann verblendet, das Ohr betaͤubt werden; der Verſtand hingegen von dem tiefſten Denken un- befangen auf das leichteſte uͤbergehen. (Viel-
leicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0186"n="178"/>
ewige Mumie ſeyn, und der Wind immer von<lb/>
Oſten her wehen.</p><lb/><p>Was den Verſtand betrift: ſo nimt Ariſto-<lb/>
teles ſelbſt, wie Plato, nach dem Anaxagoras,<lb/>
deſſen Meinung ich freylich nach meinem eignen<lb/>
Begriff erklaͤrte, eine eigne Materie fuͤr den<lb/>
Verſtand an, und unterſcheidet ſie von aller an-<lb/>
dern, und ſogar von der Seele, die, wie er<lb/>ſagt, im ganzen Koͤrper ſich befindet. Die Seele<lb/>
des Auges iſt das Sehen; die Seele des Ohrs<lb/>
das Hoͤren; und ſo die des Gefuͤhls das Fuͤhlen.<lb/>
Die Seele des Baums iſt, daß er waͤchſt und<lb/>ſeine Nahrung mit den Wurzeln einſaugt. Sie iſt<lb/>
in allem Lebendigen dieſelbe. Kraft in Ausuͤbung<lb/>
iſt ihm Seele, und kein Koͤrper, kein Element<lb/>
ohne Seele. Aber Verſtand hat ſeine eigne Na-<lb/>
tur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge<lb/>
kann verblendet, das Ohr betaͤubt werden; der<lb/>
Verſtand hingegen von dem tiefſten Denken un-<lb/>
befangen auf das leichteſte uͤbergehen. (<choice><sic>Biel</sic><corr>Viel</corr></choice>-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">leicht</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[178/0186]
ewige Mumie ſeyn, und der Wind immer von
Oſten her wehen.
Was den Verſtand betrift: ſo nimt Ariſto-
teles ſelbſt, wie Plato, nach dem Anaxagoras,
deſſen Meinung ich freylich nach meinem eignen
Begriff erklaͤrte, eine eigne Materie fuͤr den
Verſtand an, und unterſcheidet ſie von aller an-
dern, und ſogar von der Seele, die, wie er
ſagt, im ganzen Koͤrper ſich befindet. Die Seele
des Auges iſt das Sehen; die Seele des Ohrs
das Hoͤren; und ſo die des Gefuͤhls das Fuͤhlen.
Die Seele des Baums iſt, daß er waͤchſt und
ſeine Nahrung mit den Wurzeln einſaugt. Sie iſt
in allem Lebendigen dieſelbe. Kraft in Ausuͤbung
iſt ihm Seele, und kein Koͤrper, kein Element
ohne Seele. Aber Verſtand hat ſeine eigne Na-
tur, behauptet er, die nicht leidet. Das Auge
kann verblendet, das Ohr betaͤubt werden; der
Verſtand hingegen von dem tiefſten Denken un-
befangen auf das leichteſte uͤbergehen. (Viel-
leicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/186>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.