fangspunct einer Reihe, und muß nach Art der Rei- henformen erklärt werden (168 --177).
Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini- germaaßen zur Reife
kommen, findet sich als den bewegli- chen Mittelpunct der Dinge, von wo aus nicht
bloß die Entfernungen, sondern auch die Schwierigkeiten wachsen, das
Begehrte zu erreichen, und zu welchem hin sich allemal das Erreichte bewegt,
indem es die Begierden befriedigt. So ist der Egoismus nicht der Grund der Begierden, sondern er ist eine Vorstellungsart, die zu densel- ben hinzugedacht wird.
Gebrochen aber wird der Egoismus schon einigermaaßen dadurch, wenn der Mensch
einen andern Mittelpunct der Dinge faßt; zu diesem fühlt er sich alsdann
unfehlbar hingezogen, wie im Sinnlichen zu der Hauptstadt des Landes, im
Geistigen zu der Gottheit.
Anmerkung. Von der größten moralischen und über- haupt
praktischen Wichtigkeit ist die Vorstellung des Wir, welche auf der Voraussetzung gemeinschaftlicher Empfindung und Auffassung
beruhet. Dem eigentlichen Egoismus giebt sie ein natürliches Gegengewicht; auch
ist sie natürlich, denn kein Mensch weiß eigentlich,
wer er ganz allein seyn würde. Jn dem Kreise des Wir
erzeugt sich, während er in ein mehrfaches Jch aufgelöset wird, die
Rechtlichkeit und der Ehrtrieb. Aber dem Wir stellt sich ein Jhr und Sie
ent- gegen, mit allen Uebeln des Corporations-Geistes. Das Sonderbarste
ist, daß Wir selbst bald diese bald jene Ge- sellschaft
sind; die Menschen sind nämlich in diesem Puncte Freunde, in jenem Feinde. Hier beklagt sich der Unter- gebene beym Obern, dort klagen sie gemeinschaftlich über den Obern.
202. Die Complexion, welche das eigne Selbst eines Jeden ausmacht, bekommt im
Laufe des Lebens unaufhör-
fangspunct einer Reihe, und muß nach Art der Rei- henformen erklärt werden (168 —177).
Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini- germaaßen zur Reife
kommen, findet sich als den bewegli- chen Mittelpunct der Dinge, von wo aus nicht
bloß die Entfernungen, sondern auch die Schwierigkeiten wachsen, das
Begehrte zu erreichen, und zu welchem hin sich allemal das Erreichte bewegt,
indem es die Begierden befriedigt. So ist der Egoismus nicht der Grund der Begierden, sondern er ist eine Vorstellungsart, die zu densel- ben hinzugedacht wird.
Gebrochen aber wird der Egoismus schon einigermaaßen dadurch, wenn der Mensch
einen andern Mittelpunct der Dinge faßt; zu diesem fühlt er sich alsdann
unfehlbar hingezogen, wie im Sinnlichen zu der Hauptstadt des Landes, im
Geistigen zu der Gottheit.
Anmerkung. Von der größten moralischen und über- haupt
praktischen Wichtigkeit ist die Vorstellung des Wir, welche auf der Voraussetzung gemeinschaftlicher Empfindung und Auffassung
beruhet. Dem eigentlichen Egoismus giebt sie ein natürliches Gegengewicht; auch
ist sie natürlich, denn kein Mensch weiß eigentlich,
wer er ganz allein seyn würde. Jn dem Kreise des Wir
erzeugt sich, während er in ein mehrfaches Jch aufgelöset wird, die
Rechtlichkeit und der Ehrtrieb. Aber dem Wir stellt sich ein Jhr und Sie
ent- gegen, mit allen Uebeln des Corporations-Geistes. Das Sonderbarste
ist, daß Wir selbst bald diese bald jene Ge- sellschaft
sind; die Menschen sind nämlich in diesem Puncte Freunde, in jenem Feinde. Hier beklagt sich der Unter- gebene beym Obern, dort klagen sie gemeinschaftlich über den Obern.
202. Die Complexion, welche das eigne Selbst eines Jeden ausmacht, bekommt im
Laufe des Lebens unaufhör-
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fangspunct einer Reihe, und muß nach Art der Rei-
henformen erklärt werden (168 —177).
Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini-
germaaßen zur Reife kommen, findet sich als den bewegli-
chen Mittelpunct der Dinge, von wo aus nicht bloß die
Entfernungen, sondern auch die Schwierigkeiten wachsen,
das Begehrte zu erreichen, und zu welchem hin sich allemal
das Erreichte bewegt, indem es die Begierden befriedigt.
So ist der Egoismus nicht der Grund der Begierden,
sondern er ist eine Vorstellungsart, die zu densel-
ben hinzugedacht wird. Gebrochen aber wird der
Egoismus schon einigermaaßen dadurch, wenn der Mensch
einen andern Mittelpunct der Dinge faßt; zu diesem fühlt
er sich alsdann unfehlbar hingezogen, wie im Sinnlichen zu
der Hauptstadt des Landes, im Geistigen zu der Gottheit.
Anmerkung. Von der größten moralischen und über-
haupt praktischen Wichtigkeit ist die Vorstellung des Wir,
welche auf der Voraussetzung gemeinschaftlicher Empfindung
und Auffassung beruhet. Dem eigentlichen Egoismus giebt
sie ein natürliches Gegengewicht; auch ist sie natürlich, denn
kein Mensch weiß eigentlich, wer er ganz allein seyn würde.
Jn dem Kreise des Wir erzeugt sich, während er in ein
mehrfaches Jch aufgelöset wird, die Rechtlichkeit und der
Ehrtrieb. Aber dem Wir stellt sich ein Jhr und Sie ent-
gegen, mit allen Uebeln des Corporations-Geistes. Das
Sonderbarste ist, daß Wir selbst bald diese bald jene Ge-
sellschaft sind; die Menschen sind nämlich in diesem Puncte
Freunde, in jenem Feinde. Hier beklagt sich der Unter-
gebene beym Obern, dort klagen sie gemeinschaftlich über
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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/169>, abgerufen am 18.06.2024.
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