lang gleichsam verzückt in seine Sphäre der Gedanken sind: sein Ton schallt noch in un- sern Ohren; wir sehen mit seinen Augen; wir athmen in seiner Denkart wie in unsrem Elemente: die Saite der poetischen Empfin- dung tönt in uns, erweckt von der seinigen, mit ihr zusammen: die Worte formen sich nach der Wendung seines Geistes: wir lesen usque ad scribendi sollicitudinem -- und schreiben. Nun lebt noch seine Sprache in uns: sein Rhythmus tönt noch in unserm Ohr: die Reihe seiner Bilder steht noch vor unserm Auge: wir ahmen in seiner Sprache, in seinem Sylbenmaaß, in seiner Composi- tion der Gemälde nach, und zeigen uns also als Virtuosen.
Nun sezze ich noch dazu: sein Feuer facht unsern Geist an, wir schaffen in seine Bilder neue Züge, und prägen seine Jdeen um, wir bilden uns nach seiner Form neue Figuren, ein Ausdruck gelingt uns vor ihm; eine Wen- dung glänzt hervor; ein Gleichniß mahlen wir besser aus -- wir werden mehr als Nach- ahmer, wir werden Nacheiferer. Unsere Nachbildungen werden für uns angenehme
Denk-
lang gleichſam verzuͤckt in ſeine Sphaͤre der Gedanken ſind: ſein Ton ſchallt noch in un- ſern Ohren; wir ſehen mit ſeinen Augen; wir athmen in ſeiner Denkart wie in unſrem Elemente: die Saite der poetiſchen Empfin- dung toͤnt in uns, erweckt von der ſeinigen, mit ihr zuſammen: die Worte formen ſich nach der Wendung ſeines Geiſtes: wir leſen uſque ad ſcribendi ſollicitudinem — und ſchreiben. Nun lebt noch ſeine Sprache in uns: ſein Rhythmus toͤnt noch in unſerm Ohr: die Reihe ſeiner Bilder ſteht noch vor unſerm Auge: wir ahmen in ſeiner Sprache, in ſeinem Sylbenmaaß, in ſeiner Compoſi- tion der Gemaͤlde nach, und zeigen uns alſo als Virtuoſen.
Nun ſezze ich noch dazu: ſein Feuer facht unſern Geiſt an, wir ſchaffen in ſeine Bilder neue Zuͤge, und praͤgen ſeine Jdeen um, wir bilden uns nach ſeiner Form neue Figuren, ein Ausdruck gelingt uns vor ihm; eine Wen- dung glaͤnzt hervor; ein Gleichniß mahlen wir beſſer aus — wir werden mehr als Nach- ahmer, wir werden Nacheiferer. Unſere Nachbildungen werden fuͤr uns angenehme
Denk-
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lang gleichſam verzuͤckt in ſeine Sphaͤre der
Gedanken ſind: ſein Ton ſchallt noch in un-
ſern Ohren; wir ſehen mit ſeinen Augen;
wir athmen in ſeiner Denkart wie in unſrem
Elemente: die Saite der poetiſchen Empfin-
dung toͤnt in uns, erweckt von der ſeinigen,
mit ihr zuſammen: die Worte formen ſich
nach der Wendung ſeines Geiſtes: wir leſen
uſque ad ſcribendi ſollicitudinem — und
ſchreiben. Nun lebt noch ſeine Sprache in
uns: ſein Rhythmus toͤnt noch in unſerm
Ohr: die Reihe ſeiner Bilder ſteht noch vor
unſerm Auge: wir ahmen in ſeiner Sprache,
in ſeinem Sylbenmaaß, in ſeiner Compoſi-
tion der Gemaͤlde nach, und zeigen uns alſo
als Virtuoſen.
Nun ſezze ich noch dazu: ſein Feuer facht
unſern Geiſt an, wir ſchaffen in ſeine Bilder
neue Zuͤge, und praͤgen ſeine Jdeen um, wir
bilden uns nach ſeiner Form neue Figuren,
ein Ausdruck gelingt uns vor ihm; eine Wen-
dung glaͤnzt hervor; ein Gleichniß mahlen
wir beſſer aus — wir werden mehr als Nach-
ahmer, wir werden Nacheiferer. Unſere
Nachbildungen werden fuͤr uns angenehme
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/98>, abgerufen am 21.05.2024.
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