dankenloseste Vergnügen gewähre. Ein Schau- geschöpf ohne Hände, ohne Gefühl von Formen und was sich durch Formen äußert, kurz ein Vo- gelkopf kann sich daran erbauen; niemand anders. Auch in der Mahlerei müssen Formen der Dinge die Grundzüge, die Substanz der Kunst wer- den; nur wie sie das Licht zeigt, bindet und be- stralet. Da nun Formen aus einem andern Sinn sind, so muß ja dieser Sinn auch empfängig seyn der Begriffe des Schönen, weil ja selbst der hellste Sinn ohn ihn nichts vermag. Das Auge ist nur Wegweiser, nur die Vernunft der Hand; die Hand allein gibt Formen, Begriffe dessen, was sie bedeuten, was in ihnen wohnet. Der Blinde, selbst der blindgebohrne Bildner wäre ein schlechter Mahler, aber im Bilden gibt er dem Sehenden nicht nach und müßte ihn, gleich gegen gleich gesetzt, wahrscheinlich gar übertreffen -- --
"Aber Hogarths Linie der Schönheit"? Diese Linie der Schönheit mit Allem, was daraus ge- macht ist, sagt nichts, wenn sie nicht in Formen und also dem Gefühl erscheinet. Kritzelt auf die Fläche zehntausend Reiz- und Schönheitslinien hin, sind sie an keiner Form und also in keiner Bedeutung, so thun sie dem Auge um ein klein wenig mehr wohl, als jedes Kindergewirre. Und wenn sie auch nur an Schnürbrust oder Topf er-
schienen,
dankenloſeſte Vergnuͤgen gewaͤhre. Ein Schau- geſchoͤpf ohne Haͤnde, ohne Gefuͤhl von Formen und was ſich durch Formen aͤußert, kurz ein Vo- gelkopf kann ſich daran erbauen; niemand anders. Auch in der Mahlerei muͤſſen Formen der Dinge die Grundzuͤge, die Subſtanz der Kunſt wer- den; nur wie ſie das Licht zeigt, bindet und be- ſtralet. Da nun Formen aus einem andern Sinn ſind, ſo muß ja dieſer Sinn auch empfaͤngig ſeyn der Begriffe des Schoͤnen, weil ja ſelbſt der hellſte Sinn ohn ihn nichts vermag. Das Auge iſt nur Wegweiſer, nur die Vernunft der Hand; die Hand allein gibt Formen, Begriffe deſſen, was ſie bedeuten, was in ihnen wohnet. Der Blinde, ſelbſt der blindgebohrne Bildner waͤre ein ſchlechter Mahler, aber im Bilden gibt er dem Sehenden nicht nach und muͤßte ihn, gleich gegen gleich geſetzt, wahrſcheinlich gar uͤbertreffen — —
„Aber Hogarths Linie der Schoͤnheit„? Dieſe Linie der Schoͤnheit mit Allem, was daraus ge- macht iſt, ſagt nichts, wenn ſie nicht in Formen und alſo dem Gefuͤhl erſcheinet. Kritzelt auf die Flaͤche zehntauſend Reiz- und Schoͤnheitslinien hin, ſind ſie an keiner Form und alſo in keiner Bedeutung, ſo thun ſie dem Auge um ein klein wenig mehr wohl, als jedes Kindergewirre. Und wenn ſie auch nur an Schnuͤrbruſt oder Topf er-
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dankenloſeſte Vergnuͤgen gewaͤhre. Ein Schau-
geſchoͤpf ohne Haͤnde, ohne Gefuͤhl von Formen
und was ſich durch Formen aͤußert, kurz ein Vo-
gelkopf kann ſich daran erbauen; niemand anders.
Auch in der Mahlerei muͤſſen Formen der Dinge
die Grundzuͤge, die Subſtanz der Kunſt wer-
den; nur wie ſie das Licht zeigt, bindet und be-
ſtralet. Da nun Formen aus einem andern Sinn
ſind, ſo muß ja dieſer Sinn auch empfaͤngig
ſeyn der Begriffe des Schoͤnen, weil ja ſelbſt
der hellſte Sinn ohn ihn nichts vermag. Das
Auge iſt nur Wegweiſer, nur die Vernunft der
Hand; die Hand allein gibt Formen, Begriffe
deſſen, was ſie bedeuten, was in ihnen wohnet.
Der Blinde, ſelbſt der blindgebohrne Bildner
waͤre ein ſchlechter Mahler, aber im Bilden gibt
er dem Sehenden nicht nach und muͤßte ihn,
gleich gegen gleich geſetzt, wahrſcheinlich gar
uͤbertreffen — —
„Aber Hogarths Linie der Schoͤnheit„? Dieſe
Linie der Schoͤnheit mit Allem, was daraus ge-
macht iſt, ſagt nichts, wenn ſie nicht in Formen
und alſo dem Gefuͤhl erſcheinet. Kritzelt auf die
Flaͤche zehntauſend Reiz- und Schoͤnheitslinien
hin, ſind ſie an keiner Form und alſo in keiner
Bedeutung, ſo thun ſie dem Auge um ein klein
wenig mehr wohl, als jedes Kindergewirre. Und
wenn ſie auch nur an Schnuͤrbruſt oder Topf er-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/66>, abgerufen am 18.06.2024.
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