ächte Schlußstein des Gebäudes, und die Miß- bildung an ihm ist fürchterlich anzuschauen. Wenns hier vorgebogen steht, als ob die Natur den Kopf an dieser Handhabe gebildet und nach- her zornig weggeworfen habe: wenn es hier nichts ist und sich verkriecht -- doch gnug, und schon zu viel über diese Theile gesprochen, die, da sie tiefe Sinnlichkeit reden, auch so wenig deutlicher Sprache fähig sind. Die Natur um- hüllete sie beim Manne, und auch unsre Be- schreibung soll sie weiter umhüllet lassen.
Wir sollten statt dessen beim Manne vom Bart reden, von dem wir jetzt aber nichts mehr reden können, als etwa wie oft und sehr er das Messer stumpf macht? Die Juden, in ihrem alten Buche Sohar, haben viel Geheimnisse von ihm, von seinen Straßen, Wegen und Win- keln, hinter denen, wo es nicht mißdeuteter Buch- stabe der Schrift ist, manches Physische stecken mag, das wir jetzt nicht verstehen. Mode und Lebensart wollens, daß wir, wie die Weiber, am Kinn ewig Jünglinge und Kinder, nur mit einem Stoppelfelde männlicher Jahre und auf dem Haupt ewig gepuderte Greise oder kahle Grindköpfe mit einer Haarmütze seyn sollen. Als wenn uns die Natur nicht so etwas hätte geben oder nehmen können, wenn sies gewollt hätte! --
Bei
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aͤchte Schlußſtein des Gebaͤudes, und die Miß- bildung an ihm iſt fuͤrchterlich anzuſchauen. Wenns hier vorgebogen ſteht, als ob die Natur den Kopf an dieſer Handhabe gebildet und nach- her zornig weggeworfen habe: wenn es hier nichts iſt und ſich verkriecht — doch gnug, und ſchon zu viel uͤber dieſe Theile geſprochen, die, da ſie tiefe Sinnlichkeit reden, auch ſo wenig deutlicher Sprache faͤhig ſind. Die Natur um- huͤllete ſie beim Manne, und auch unſre Be- ſchreibung ſoll ſie weiter umhuͤllet laſſen.
Wir ſollten ſtatt deſſen beim Manne vom Bart reden, von dem wir jetzt aber nichts mehr reden koͤnnen, als etwa wie oft und ſehr er das Meſſer ſtumpf macht? Die Juden, in ihrem alten Buche Sohar, haben viel Geheimniſſe von ihm, von ſeinen Straßen, Wegen und Win- keln, hinter denen, wo es nicht mißdeuteter Buch- ſtabe der Schrift iſt, manches Phyſiſche ſtecken mag, das wir jetzt nicht verſtehen. Mode und Lebensart wollens, daß wir, wie die Weiber, am Kinn ewig Juͤnglinge und Kinder, nur mit einem Stoppelfelde maͤnnlicher Jahre und auf dem Haupt ewig gepuderte Greiſe oder kahle Grindkoͤpfe mit einer Haarmuͤtze ſeyn ſollen. Als wenn uns die Natur nicht ſo etwas haͤtte geben oder nehmen koͤnnen, wenn ſies gewollt haͤtte! —
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aͤchte Schlußſtein des Gebaͤudes, und die Miß-
bildung an ihm iſt fuͤrchterlich anzuſchauen.
Wenns hier vorgebogen ſteht, als ob die Natur
den Kopf an dieſer Handhabe gebildet und nach-
her zornig weggeworfen habe: wenn es hier
nichts iſt und ſich verkriecht — doch gnug, und
ſchon zu viel uͤber dieſe Theile geſprochen, die,
da ſie tiefe Sinnlichkeit reden, auch ſo wenig
deutlicher Sprache faͤhig ſind. Die Natur um-
huͤllete ſie beim Manne, und auch unſre Be-
ſchreibung ſoll ſie weiter umhuͤllet laſſen.
Wir ſollten ſtatt deſſen beim Manne vom
Bart reden, von dem wir jetzt aber nichts mehr
reden koͤnnen, als etwa wie oft und ſehr er das
Meſſer ſtumpf macht? Die Juden, in ihrem
alten Buche Sohar, haben viel Geheimniſſe von
ihm, von ſeinen Straßen, Wegen und Win-
keln, hinter denen, wo es nicht mißdeuteter Buch-
ſtabe der Schrift iſt, manches Phyſiſche ſtecken
mag, das wir jetzt nicht verſtehen. Mode und
Lebensart wollens, daß wir, wie die Weiber,
am Kinn ewig Juͤnglinge und Kinder, nur mit
einem Stoppelfelde maͤnnlicher Jahre und auf
dem Haupt ewig gepuderte Greiſe oder kahle
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Als wenn uns die Natur nicht ſo etwas haͤtte
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/86>, abgerufen am 18.06.2024.
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