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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gar erbärmlich, wie sie sich's zu Gemüthe gezogen, und Sie wissen wohl, sie hat eine schwache Stelle irgendwo in ihrem Kopf, mit der nichts anzufangen ist.

Er setzte sich wieder mit dem Ausdruck tiefer Ermüdung. Der Hülfspriester aß und trank mechanisch, mehr um seine Verwirrung zu verbergen, als weil ihn die Speisen gelockt hätten, von denen er keinen Bissen schmeckte. Erzähl' erst, sagte er, wie's so weit gekommen ist. Hernach wollen wir dann schauen, was sich noch gut machen läßt. Wo hast du die Monate her gesteckt, daß kein Hahn nach dir krähen konnte?

Nicht in der Kutte, hochwürdiger Herr, sagte der Bursch, und seine Züge heiterten sich in der Erinnerung an gefährliche und listige Abenteuer ein wenig auf. Sehen Sie, fuhr er fort, als mir die Moidi zuerst sagte, ihre Mutter habe mich als einen Findling oder Gott weiß woher von der Alm mit heruntergebracht, da war mir's, als käme ich plötzlich aus glühenden Ketten und Banden los, die ich allezeit mit mir geschleppt hatte, und die auch im Kloster droben nicht von mir abfallen wollten. Denn nicht einmal in der heiligen Beicht' hat mir's über die Zunge gewollt, was ich die letzten Jahre her von wegen der Moidi ausgestanden hab', und daß ich's nicht überleben würde, wenn ein Anderer sie heimführte. Und das wußt' ich ja wohl, daß es eine Todsünde war, wenn ich wirklich der Sohn ihrer Mutter gewesen wäre; und doch konnt' ich's nicht von mir abthun, denn es war stärker, als

gar erbärmlich, wie sie sich's zu Gemüthe gezogen, und Sie wissen wohl, sie hat eine schwache Stelle irgendwo in ihrem Kopf, mit der nichts anzufangen ist.

Er setzte sich wieder mit dem Ausdruck tiefer Ermüdung. Der Hülfspriester aß und trank mechanisch, mehr um seine Verwirrung zu verbergen, als weil ihn die Speisen gelockt hätten, von denen er keinen Bissen schmeckte. Erzähl' erst, sagte er, wie's so weit gekommen ist. Hernach wollen wir dann schauen, was sich noch gut machen läßt. Wo hast du die Monate her gesteckt, daß kein Hahn nach dir krähen konnte?

Nicht in der Kutte, hochwürdiger Herr, sagte der Bursch, und seine Züge heiterten sich in der Erinnerung an gefährliche und listige Abenteuer ein wenig auf. Sehen Sie, fuhr er fort, als mir die Moidi zuerst sagte, ihre Mutter habe mich als einen Findling oder Gott weiß woher von der Alm mit heruntergebracht, da war mir's, als käme ich plötzlich aus glühenden Ketten und Banden los, die ich allezeit mit mir geschleppt hatte, und die auch im Kloster droben nicht von mir abfallen wollten. Denn nicht einmal in der heiligen Beicht' hat mir's über die Zunge gewollt, was ich die letzten Jahre her von wegen der Moidi ausgestanden hab', und daß ich's nicht überleben würde, wenn ein Anderer sie heimführte. Und das wußt' ich ja wohl, daß es eine Todsünde war, wenn ich wirklich der Sohn ihrer Mutter gewesen wäre; und doch konnt' ich's nicht von mir abthun, denn es war stärker, als

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[0109] gar erbärmlich, wie sie sich's zu Gemüthe gezogen, und Sie wissen wohl, sie hat eine schwache Stelle irgendwo in ihrem Kopf, mit der nichts anzufangen ist. Er setzte sich wieder mit dem Ausdruck tiefer Ermüdung. Der Hülfspriester aß und trank mechanisch, mehr um seine Verwirrung zu verbergen, als weil ihn die Speisen gelockt hätten, von denen er keinen Bissen schmeckte. Erzähl' erst, sagte er, wie's so weit gekommen ist. Hernach wollen wir dann schauen, was sich noch gut machen läßt. Wo hast du die Monate her gesteckt, daß kein Hahn nach dir krähen konnte? Nicht in der Kutte, hochwürdiger Herr, sagte der Bursch, und seine Züge heiterten sich in der Erinnerung an gefährliche und listige Abenteuer ein wenig auf. Sehen Sie, fuhr er fort, als mir die Moidi zuerst sagte, ihre Mutter habe mich als einen Findling oder Gott weiß woher von der Alm mit heruntergebracht, da war mir's, als käme ich plötzlich aus glühenden Ketten und Banden los, die ich allezeit mit mir geschleppt hatte, und die auch im Kloster droben nicht von mir abfallen wollten. Denn nicht einmal in der heiligen Beicht' hat mir's über die Zunge gewollt, was ich die letzten Jahre her von wegen der Moidi ausgestanden hab', und daß ich's nicht überleben würde, wenn ein Anderer sie heimführte. Und das wußt' ich ja wohl, daß es eine Todsünde war, wenn ich wirklich der Sohn ihrer Mutter gewesen wäre; und doch konnt' ich's nicht von mir abthun, denn es war stärker, als

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/109>, abgerufen am 30.04.2024.