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Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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er ängstlich, denn er fühlte, wenn er mit der Alten allein bliebe, würde sie ihm das innerste Herz auf die Zunge locken, so viel vermochte über ihn die sanfte Stimme und das große schmerzliche Auge. Seid mir nicht böse, fuhr er fort, aber Ihr könnt nichts ändern, und wenn ich denken müßte, daß ich auch Euch das Herz schwer gemacht hätte mit meiner Trübsal, würde ich noch elender sein. Aber wenn Ihr mir was Liebes thun wollt, legt mir die Hand aufs Haupt und gebt mir Euren Segen mit, weil es ein Abschied ist für die Ewigkeit.

Er warf sich vor ihr auf die Kniee, und sie that, um was er sie gebeten hatte. Dann hob sie ihn auf, und wie sie ihm mit Thränen in das blasse Gesicht sah, hielt sie sich nicht zurück, zog ihn fest in ihre Arme und küßte ihn lange und heiß auf Mund und Augen, daß auch er wie ein Kind in Schluchzen ausbrach. Sie standen eine geraume Weile in dieser inbrünstigen Trauer, und über der Wohlthat, sich so zu halten und zu haben, vergaß die Alte ganz, was kommen sollte, und der Jüngling, was hinter ihm lag.

Pathe, sagte er endlich, ich werd's nie vergessen, wie gut Ihr zu mir gewesen. Vergeßt auch Ihr mich nicht, und so sei's genug. Die Hähne krähen bald. Ich darf nicht weilen.

Andree, mein armes Kind! hauchte die Alte und sank in den Sessel zurück, als er über die Schwelle schritt. Plötzlich fuhr sie auf, ein Gedanke schoß ihr

er ängstlich, denn er fühlte, wenn er mit der Alten allein bliebe, würde sie ihm das innerste Herz auf die Zunge locken, so viel vermochte über ihn die sanfte Stimme und das große schmerzliche Auge. Seid mir nicht böse, fuhr er fort, aber Ihr könnt nichts ändern, und wenn ich denken müßte, daß ich auch Euch das Herz schwer gemacht hätte mit meiner Trübsal, würde ich noch elender sein. Aber wenn Ihr mir was Liebes thun wollt, legt mir die Hand aufs Haupt und gebt mir Euren Segen mit, weil es ein Abschied ist für die Ewigkeit.

Er warf sich vor ihr auf die Kniee, und sie that, um was er sie gebeten hatte. Dann hob sie ihn auf, und wie sie ihm mit Thränen in das blasse Gesicht sah, hielt sie sich nicht zurück, zog ihn fest in ihre Arme und küßte ihn lange und heiß auf Mund und Augen, daß auch er wie ein Kind in Schluchzen ausbrach. Sie standen eine geraume Weile in dieser inbrünstigen Trauer, und über der Wohlthat, sich so zu halten und zu haben, vergaß die Alte ganz, was kommen sollte, und der Jüngling, was hinter ihm lag.

Pathe, sagte er endlich, ich werd's nie vergessen, wie gut Ihr zu mir gewesen. Vergeßt auch Ihr mich nicht, und so sei's genug. Die Hähne krähen bald. Ich darf nicht weilen.

Andree, mein armes Kind! hauchte die Alte und sank in den Sessel zurück, als er über die Schwelle schritt. Plötzlich fuhr sie auf, ein Gedanke schoß ihr

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[0079] er ängstlich, denn er fühlte, wenn er mit der Alten allein bliebe, würde sie ihm das innerste Herz auf die Zunge locken, so viel vermochte über ihn die sanfte Stimme und das große schmerzliche Auge. Seid mir nicht böse, fuhr er fort, aber Ihr könnt nichts ändern, und wenn ich denken müßte, daß ich auch Euch das Herz schwer gemacht hätte mit meiner Trübsal, würde ich noch elender sein. Aber wenn Ihr mir was Liebes thun wollt, legt mir die Hand aufs Haupt und gebt mir Euren Segen mit, weil es ein Abschied ist für die Ewigkeit. Er warf sich vor ihr auf die Kniee, und sie that, um was er sie gebeten hatte. Dann hob sie ihn auf, und wie sie ihm mit Thränen in das blasse Gesicht sah, hielt sie sich nicht zurück, zog ihn fest in ihre Arme und küßte ihn lange und heiß auf Mund und Augen, daß auch er wie ein Kind in Schluchzen ausbrach. Sie standen eine geraume Weile in dieser inbrünstigen Trauer, und über der Wohlthat, sich so zu halten und zu haben, vergaß die Alte ganz, was kommen sollte, und der Jüngling, was hinter ihm lag. Pathe, sagte er endlich, ich werd's nie vergessen, wie gut Ihr zu mir gewesen. Vergeßt auch Ihr mich nicht, und so sei's genug. Die Hähne krähen bald. Ich darf nicht weilen. Andree, mein armes Kind! hauchte die Alte und sank in den Sessel zurück, als er über die Schwelle schritt. Plötzlich fuhr sie auf, ein Gedanke schoß ihr

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/79>, abgerufen am 30.04.2024.