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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte. Bd. 4. Leipzig, 1708.

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Hochzeit-Gedichte.
Jn einem schönen leibe/ wohnt auch ein schöner geist:
Dieser aber muß dem verliebten in gegen-liebe gleichför-
mig seyn/
Sonst schärfft er nur die zähne des widerwillens;
Wenn die seiten der sitten verstimmet seyn/
So singet man dem muhte zu grabe;
Wo ein leib ist/ da muß auch ein hertz' und eine seele seyn/
Des einen geist muß in dem andern schweben/
Er muß gleiche regung und bewegung haben/
Das band der ehe ist keine folter-kette ein frey gemühte zu
fesseln/
Und mit langem verlangen eines langen todes zu mar-
tern/
Es ist ein liebes-gürtel der alle vergnügung begreiffet/
Wenn er nur füglich und glücklich geschlossen wird;
Die magnet-nadel der begierde ruhet nicht/
Wo sie nicht auf den angel-stern der gegen-liebe ziehlet.
Wie die erde gegen den himmel; so ist der leib gegen die
seele.
Aus dieser gegen-schein entstehet der einfluß aller glück-
seligkeit.

Herr Bräutigam.
Er wird heute einen glückseligen anblick haben/
Die kleine welt ist der grossen gleich geartet/
Die sonne ist bisher in dem wasser-manne gewesen/
Und heute tritt der volle monde in die jungfrau.
Sein leid hat bisher wasser gezogen/ welches er nun von
sich schütten soll/
Heute soll ihm der volle mond in dem zeichen der jungfrau
scheinen/
Der himmel wird hierzu fruchtbaren einfluß verleihen/
Hierauf hat ihm sein hertz und mund gewässert/
Nun solten seine lippen mit dem liebes-thau des segens
fliessen/
Welche er im süssen küssen überflüßig schmecken müsse!
Kein

Hochzeit-Gedichte.
Jn einem ſchoͤnen leibe/ wohnt auch ein ſchoͤner geiſt:
Dieſer aber muß dem verliebten in gegen-liebe gleichfoͤr-
mig ſeyn/
Sonſt ſchaͤrfft er nur die zaͤhne des widerwillens;
Wenn die ſeiten der ſitten verſtimmet ſeyn/
So ſinget man dem muhte zu grabe;
Wo ein leib iſt/ da muß auch ein hertz’ und eine ſeele ſeyn/
Des einen geiſt muß in dem andern ſchweben/
Er muß gleiche regung und bewegung haben/
Das band der ehe iſt keine folter-kette ein frey gemuͤhte zu
feſſeln/
Und mit langem verlangen eines langen todes zu mar-
tern/
Es iſt ein liebes-guͤrtel der alle vergnuͤgung begreiffet/
Wenn er nur fuͤglich und gluͤcklich geſchloſſen wird;
Die magnet-nadel der begierde ruhet nicht/
Wo ſie nicht auf den angel-ſtern der gegen-liebe ziehlet.
Wie die erde gegen den himmel; ſo iſt der leib gegen die
ſeele.
Aus dieſer gegen-ſchein entſtehet der einfluß aller gluͤck-
ſeligkeit.

Herr Braͤutigam.
Er wird heute einen gluͤckſeligen anblick haben/
Die kleine welt iſt der groſſen gleich geartet/
Die ſonne iſt bisher in dem waſſer-manne geweſen/
Und heute tritt der volle monde in die jungfrau.
Sein leid hat bisher waſſer gezogen/ welches er nun von
ſich ſchuͤtten ſoll/
Heute ſoll ihm der volle mond in dem zeichen der jungfrau
ſcheinen/
Der himmel wird hierzu fruchtbaren einfluß verleihen/
Hierauf hat ihm ſein hertz und mund gewaͤſſert/
Nun ſolten ſeine lippen mit dem liebes-thau des ſegens
flieſſen/
Welche er im ſuͤſſen kuͤſſen uͤberfluͤßig ſchmecken muͤſſe!
Kein
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[194/0196] Hochzeit-Gedichte. Jn einem ſchoͤnen leibe/ wohnt auch ein ſchoͤner geiſt: Dieſer aber muß dem verliebten in gegen-liebe gleichfoͤr- mig ſeyn/ Sonſt ſchaͤrfft er nur die zaͤhne des widerwillens; Wenn die ſeiten der ſitten verſtimmet ſeyn/ So ſinget man dem muhte zu grabe; Wo ein leib iſt/ da muß auch ein hertz’ und eine ſeele ſeyn/ Des einen geiſt muß in dem andern ſchweben/ Er muß gleiche regung und bewegung haben/ Das band der ehe iſt keine folter-kette ein frey gemuͤhte zu feſſeln/ Und mit langem verlangen eines langen todes zu mar- tern/ Es iſt ein liebes-guͤrtel der alle vergnuͤgung begreiffet/ Wenn er nur fuͤglich und gluͤcklich geſchloſſen wird; Die magnet-nadel der begierde ruhet nicht/ Wo ſie nicht auf den angel-ſtern der gegen-liebe ziehlet. Wie die erde gegen den himmel; ſo iſt der leib gegen die ſeele. Aus dieſer gegen-ſchein entſtehet der einfluß aller gluͤck- ſeligkeit. Herr Braͤutigam. Er wird heute einen gluͤckſeligen anblick haben/ Die kleine welt iſt der groſſen gleich geartet/ Die ſonne iſt bisher in dem waſſer-manne geweſen/ Und heute tritt der volle monde in die jungfrau. Sein leid hat bisher waſſer gezogen/ welches er nun von ſich ſchuͤtten ſoll/ Heute ſoll ihm der volle mond in dem zeichen der jungfrau ſcheinen/ Der himmel wird hierzu fruchtbaren einfluß verleihen/ Hierauf hat ihm ſein hertz und mund gewaͤſſert/ Nun ſolten ſeine lippen mit dem liebes-thau des ſegens flieſſen/ Welche er im ſuͤſſen kuͤſſen uͤberfluͤßig ſchmecken muͤſſe! Kein

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte. Bd. 4. Leipzig, 1708, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte04_1708/196>, abgerufen am 10.11.2024.