-- Die Pastorin sprach angstvoll: "ich liebe sie wie eine Schwester, verehre sie wie eine Mutter! Droht ihr Gefahr?"
Vielleicht, erwiederte ich rasch. Vielleicht hängt ihr Schicksal an diesem Augenblick. Vielleicht bin ich es, wie arm und bemitleidenswerth ich Jhnen erscheine, die über die Zukunft dieser jungen, reichen Erbin zu entscheiden hat. Alles hängt von dem Ein- druck ab, den ihre Persönlichkeit auf mich macht. Jst es ein abstoßender, verletzender, spricht aus ihren Zügen kein Herz, aus ihren Worten keine Seele, dann steh' ich für nichts; eben so wenig, wenn ich sie nicht kennen lerne; denn ich hasse sie, aus guten Gründen, ohne sie zu kennen. Sie müßte mich erst zwingen, sie zu lieben, damit ich liebend ihr weiche! --
Die Pastorin ahnete vielleicht, welch' ein Dämon mich treibe? Sie hatte wohl gar Kunde von meinem Dasein? Das weiß ich nicht. Aber so gewiß war sie ihrer Sache, daß sie augenblicklich auf meinen Vor- schlag einging. "Treten sie ein," sagte sie; "mein Mann ist glücklicherweise verreiset; Comtesse Julie will, wenn sie mit einigen Krankenbesuchen im Dorfe fer- tig ist, auf ein Stündchen zu mir kommen. Jch
— Die Paſtorin ſprach angſtvoll: „ich liebe ſie wie eine Schweſter, verehre ſie wie eine Mutter! Droht ihr Gefahr?“
Vielleicht, erwiederte ich raſch. Vielleicht haͤngt ihr Schickſal an dieſem Augenblick. Vielleicht bin ich es, wie arm und bemitleidenswerth ich Jhnen erſcheine, die uͤber die Zukunft dieſer jungen, reichen Erbin zu entſcheiden hat. Alles haͤngt von dem Ein- druck ab, den ihre Perſoͤnlichkeit auf mich macht. Jſt es ein abſtoßender, verletzender, ſpricht aus ihren Zuͤgen kein Herz, aus ihren Worten keine Seele, dann ſteh’ ich fuͤr nichts; eben ſo wenig, wenn ich ſie nicht kennen lerne; denn ich haſſe ſie, aus guten Gruͤnden, ohne ſie zu kennen. Sie muͤßte mich erſt zwingen, ſie zu lieben, damit ich liebend ihr weiche! —
Die Paſtorin ahnete vielleicht, welch’ ein Daͤmon mich treibe? Sie hatte wohl gar Kunde von meinem Daſein? Das weiß ich nicht. Aber ſo gewiß war ſie ihrer Sache, daß ſie augenblicklich auf meinen Vor- ſchlag einging. „Treten ſie ein,“ ſagte ſie; „mein Mann iſt gluͤcklicherweiſe verreiſet; Comteſſe Julie will, wenn ſie mit einigen Krankenbeſuchen im Dorfe fer- tig iſt, auf ein Stuͤndchen zu mir kommen. Jch
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— Die Paſtorin ſprach angſtvoll: „ich liebe ſie
wie eine Schweſter, verehre ſie wie eine Mutter!
Droht ihr Gefahr?“
Vielleicht, erwiederte ich raſch. Vielleicht haͤngt
ihr Schickſal an dieſem Augenblick. Vielleicht bin
ich es, wie arm und bemitleidenswerth ich Jhnen
erſcheine, die uͤber die Zukunft dieſer jungen, reichen
Erbin zu entſcheiden hat. Alles haͤngt von dem Ein-
druck ab, den ihre Perſoͤnlichkeit auf mich macht. Jſt
es ein abſtoßender, verletzender, ſpricht aus ihren
Zuͤgen kein Herz, aus ihren Worten keine Seele,
dann ſteh’ ich fuͤr nichts; eben ſo wenig, wenn ich ſie
nicht kennen lerne; denn ich haſſe ſie, aus guten
Gruͤnden, ohne ſie zu kennen. Sie muͤßte mich erſt
zwingen, ſie zu lieben, damit ich liebend ihr
weiche! —
Die Paſtorin ahnete vielleicht, welch’ ein Daͤmon
mich treibe? Sie hatte wohl gar Kunde von meinem
Daſein? Das weiß ich nicht. Aber ſo gewiß war ſie
ihrer Sache, daß ſie augenblicklich auf meinen Vor-
ſchlag einging. „Treten ſie ein,“ ſagte ſie; „mein
Mann iſt gluͤcklicherweiſe verreiſet; Comteſſe Julie will,
wenn ſie mit einigen Krankenbeſuchen im Dorfe fer-
tig iſt, auf ein Stuͤndchen zu mir kommen. Jch
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/246>, abgerufen am 17.06.2024.
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