jenem bunten Gemisch aufstieg in die dunkelblaue Nacht.
Das war eine polnische Melodie. Eines jener seelenvoll-schwermüthigen Lieder aus dem Volke der Sarmaten, welches auch bei Tanz und Spiel zu -- klagen scheint! Anton kannte dies Lied, von seinem Aufenthalte in P. wo er es oft vernommen. Nach- dem der Fremde geendet, wiederholte er auf seinem Jnstrument, was er jetzt von jenem gehört: es war, wie wenn ein Kind mit dünner, schwacher Stimme die kräftige Fülle eines Mannes nachzuahmen ver- sucht.
Doch schien der Mann Freude zu finden am kind- lichen Gesange, denn er gab ihm Antwort zurück.
So begrüßten sie sich durch Töne, und Töne schlangen ein unsichtbares Band zwischen zwei Seelen, die sich sonst nicht kannten.
Länger denn eine Stunde währte dieser Austausch der Gefühle.
Am nächsten Morgen bewarb sich Anton um Aus- kunft über seinen nächtlichen Freund. Es sei ein "Professor der Musik," sagte man ihm; ein Reisen- der, ein Engländer, welcher kürzlich dort eingezogen sei und fleißig studire, nämlich geige.
jenem bunten Gemiſch aufſtieg in die dunkelblaue Nacht.
Das war eine polniſche Melodie. Eines jener ſeelenvoll-ſchwermuͤthigen Lieder aus dem Volke der Sarmaten, welches auch bei Tanz und Spiel zu — klagen ſcheint! Anton kannte dies Lied, von ſeinem Aufenthalte in P. wo er es oft vernommen. Nach- dem der Fremde geendet, wiederholte er auf ſeinem Jnſtrument, was er jetzt von jenem gehoͤrt: es war, wie wenn ein Kind mit duͤnner, ſchwacher Stimme die kraͤftige Fuͤlle eines Mannes nachzuahmen ver- ſucht.
Doch ſchien der Mann Freude zu finden am kind- lichen Geſange, denn er gab ihm Antwort zuruͤck.
So begruͤßten ſie ſich durch Toͤne, und Toͤne ſchlangen ein unſichtbares Band zwiſchen zwei Seelen, die ſich ſonſt nicht kannten.
Laͤnger denn eine Stunde waͤhrte dieſer Austauſch der Gefuͤhle.
Am naͤchſten Morgen bewarb ſich Anton um Aus- kunft uͤber ſeinen naͤchtlichen Freund. Es ſei ein „Profeſſor der Muſik,“ ſagte man ihm; ein Reiſen- der, ein Englaͤnder, welcher kuͤrzlich dort eingezogen ſei und fleißig ſtudire, naͤmlich geige.
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jenem bunten Gemiſch aufſtieg in die dunkelblaue
Nacht.
Das war eine polniſche Melodie. Eines jener
ſeelenvoll-ſchwermuͤthigen Lieder aus dem Volke der
Sarmaten, welches auch bei Tanz und Spiel zu —
klagen ſcheint! Anton kannte dies Lied, von ſeinem
Aufenthalte in P. wo er es oft vernommen. Nach-
dem der Fremde geendet, wiederholte er auf ſeinem
Jnſtrument, was er jetzt von jenem gehoͤrt: es war,
wie wenn ein Kind mit duͤnner, ſchwacher Stimme
die kraͤftige Fuͤlle eines Mannes nachzuahmen ver-
ſucht.
Doch ſchien der Mann Freude zu finden am kind-
lichen Geſange, denn er gab ihm Antwort zuruͤck.
So begruͤßten ſie ſich durch Toͤne, und Toͤne
ſchlangen ein unſichtbares Band zwiſchen zwei
Seelen, die ſich ſonſt nicht kannten.
Laͤnger denn eine Stunde waͤhrte dieſer Austauſch
der Gefuͤhle.
Am naͤchſten Morgen bewarb ſich Anton um Aus-
kunft uͤber ſeinen naͤchtlichen Freund. Es ſei ein
„Profeſſor der Muſik,“ ſagte man ihm; ein Reiſen-
der, ein Englaͤnder, welcher kuͤrzlich dort eingezogen
ſei und fleißig ſtudire, naͤmlich geige.
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 3. Breslau, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden03_1852/64>, abgerufen am 15.06.2024.
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