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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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als einmal Pirogen ankommen, die mit 3000 Kokosnüssen
beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jähr-
liches Einkommen von 21/2 Piastern (14 Franken 5 Sous),
da aber auf den Haciendas de coco Stämme von verschiede-
nem Alter durcheinander stehen, so wird bei Schätzungen durch
Sachverständige das Kapital nur zu 4 Piastern angenommen.

Wir verließen den Hof Pericantral erst nach Sonnen-
untergang. Die Südküste des Meerbusens in ihrem reichen
Pflanzenschmuck bietet den lachendsten Anblick, die Nordküste
dagegen ist felsig, nackt und dürr. Trotz des dürren Bodens
und des seltenen Regens, der zuweilen 15 Monate ausbleibt,
wachsen auf der Halbinsel Araya (wie in der Wüste Canound
in Indien) 15 bis 25 kg schwere Patillas oder Wasser-
melonen. In der heißen Zone ist die Luft etwa zu 9/10 mit
Wasserdunst gesättigt und die Vegetation erhält sich dadurch,
daß die Blätter die wunderbare Eigenschaft haben, das in der
Luft aufgelöste Wasser einzusaugen. Wir hatten auf der
engen, überladenen Piroge eine recht schlechte Nacht und be-
fanden uns um 3 Uhr morgens an der Mündung des Rio
Manzanares. Wir waren seit mehreren Wochen an den An-
blick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finstere Wälder ge-
wöhnt, und so fielen uns jetzt die Naturverhältnisse von Cu-
mana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Masse
des überall zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf.

Bei Sonnenaufgang sahen wir Tamurosgeier (Vultur
aura
) zu vierzigen und fünfzigen auf den Kokosnußbäumen
sitzen. Diese Vögel hocken zum Schlafen in Reihen zusammen
wie die Hühner, und sie sind so träge, daß sie, lange ehe
die Sonne untergeht, aufsitzen und erst wieder erwachen, wenn
ihre Scheibe bereits über dem Horizont steht. Es ist, als ob
die Bäume mit gefiederten Blättern nicht minder träge wären.
Die Mimosen und Tamarinden schließen bei heiterem Himmel
ihre Blätter 25 bis 30 Minuten vor Sonnenuntergang, und
sie öffnen sie am Morgen erst, wenn die Scheibe bereits eben-
so lange am Himmel steht. Da ich Sonnenauf- und Unter-
gang ziemlich regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luft-
spiegelung und der irdischen Refraktion zu verfolgen, so konnte
ich auch die Erscheinungen des Pflanzenschlafes fortwährend im
Auge behalten. Ich fand sie gerade so in den Steppen, wo
der Blick auf den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens
unterbrochen wird. Die sogenannten Sinnpflanzen und andere
Schotengewächse mit feinen zarten Blättern empfinden, scheint

als einmal Pirogen ankommen, die mit 3000 Kokosnüſſen
beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jähr-
liches Einkommen von 2½ Piaſtern (14 Franken 5 Sous),
da aber auf den Haciendas de coco Stämme von verſchiede-
nem Alter durcheinander ſtehen, ſo wird bei Schätzungen durch
Sachverſtändige das Kapital nur zu 4 Piaſtern angenommen.

Wir verließen den Hof Pericantral erſt nach Sonnen-
untergang. Die Südküſte des Meerbuſens in ihrem reichen
Pflanzenſchmuck bietet den lachendſten Anblick, die Nordküſte
dagegen iſt felſig, nackt und dürr. Trotz des dürren Bodens
und des ſeltenen Regens, der zuweilen 15 Monate ausbleibt,
wachſen auf der Halbinſel Araya (wie in der Wüſte Canound
in Indien) 15 bis 25 kg ſchwere Patillas oder Waſſer-
melonen. In der heißen Zone iſt die Luft etwa zu 9/10 mit
Waſſerdunſt geſättigt und die Vegetation erhält ſich dadurch,
daß die Blätter die wunderbare Eigenſchaft haben, das in der
Luft aufgelöſte Waſſer einzuſaugen. Wir hatten auf der
engen, überladenen Piroge eine recht ſchlechte Nacht und be-
fanden uns um 3 Uhr morgens an der Mündung des Rio
Manzanares. Wir waren ſeit mehreren Wochen an den An-
blick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finſtere Wälder ge-
wöhnt, und ſo fielen uns jetzt die Naturverhältniſſe von Cu-
mana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Maſſe
des überall zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf.

Bei Sonnenaufgang ſahen wir Tamurosgeier (Vultur
aura
) zu vierzigen und fünfzigen auf den Kokosnußbäumen
ſitzen. Dieſe Vögel hocken zum Schlafen in Reihen zuſammen
wie die Hühner, und ſie ſind ſo träge, daß ſie, lange ehe
die Sonne untergeht, aufſitzen und erſt wieder erwachen, wenn
ihre Scheibe bereits über dem Horizont ſteht. Es iſt, als ob
die Bäume mit gefiederten Blättern nicht minder träge wären.
Die Mimoſen und Tamarinden ſchließen bei heiterem Himmel
ihre Blätter 25 bis 30 Minuten vor Sonnenuntergang, und
ſie öffnen ſie am Morgen erſt, wenn die Scheibe bereits eben-
ſo lange am Himmel ſteht. Da ich Sonnenauf- und Unter-
gang ziemlich regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luft-
ſpiegelung und der irdiſchen Refraktion zu verfolgen, ſo konnte
ich auch die Erſcheinungen des Pflanzenſchlafes fortwährend im
Auge behalten. Ich fand ſie gerade ſo in den Steppen, wo
der Blick auf den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens
unterbrochen wird. Die ſogenannten Sinnpflanzen und andere
Schotengewächſe mit feinen zarten Blättern empfinden, ſcheint

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[297/0313] als einmal Pirogen ankommen, die mit 3000 Kokosnüſſen beladen waren. Ein Baum von gutem Ertrag gibt ein jähr- liches Einkommen von 2½ Piaſtern (14 Franken 5 Sous), da aber auf den Haciendas de coco Stämme von verſchiede- nem Alter durcheinander ſtehen, ſo wird bei Schätzungen durch Sachverſtändige das Kapital nur zu 4 Piaſtern angenommen. Wir verließen den Hof Pericantral erſt nach Sonnen- untergang. Die Südküſte des Meerbuſens in ihrem reichen Pflanzenſchmuck bietet den lachendſten Anblick, die Nordküſte dagegen iſt felſig, nackt und dürr. Trotz des dürren Bodens und des ſeltenen Regens, der zuweilen 15 Monate ausbleibt, wachſen auf der Halbinſel Araya (wie in der Wüſte Canound in Indien) 15 bis 25 kg ſchwere Patillas oder Waſſer- melonen. In der heißen Zone iſt die Luft etwa zu 9/10 mit Waſſerdunſt geſättigt und die Vegetation erhält ſich dadurch, daß die Blätter die wunderbare Eigenſchaft haben, das in der Luft aufgelöſte Waſſer einzuſaugen. Wir hatten auf der engen, überladenen Piroge eine recht ſchlechte Nacht und be- fanden uns um 3 Uhr morgens an der Mündung des Rio Manzanares. Wir waren ſeit mehreren Wochen an den An- blick der Gebirge, an Gewitterhimmel und finſtere Wälder ge- wöhnt, und ſo fielen uns jetzt die Naturverhältniſſe von Cu- mana, der ewig heitere Himmel, der kahle Boden, die Maſſe des überall zurückgeworfenen Lichtes doppelt auf. Bei Sonnenaufgang ſahen wir Tamurosgeier (Vultur aura) zu vierzigen und fünfzigen auf den Kokosnußbäumen ſitzen. Dieſe Vögel hocken zum Schlafen in Reihen zuſammen wie die Hühner, und ſie ſind ſo träge, daß ſie, lange ehe die Sonne untergeht, aufſitzen und erſt wieder erwachen, wenn ihre Scheibe bereits über dem Horizont ſteht. Es iſt, als ob die Bäume mit gefiederten Blättern nicht minder träge wären. Die Mimoſen und Tamarinden ſchließen bei heiterem Himmel ihre Blätter 25 bis 30 Minuten vor Sonnenuntergang, und ſie öffnen ſie am Morgen erſt, wenn die Scheibe bereits eben- ſo lange am Himmel ſteht. Da ich Sonnenauf- und Unter- gang ziemlich regelmäßig beobachtete, um das Spiel der Luft- ſpiegelung und der irdiſchen Refraktion zu verfolgen, ſo konnte ich auch die Erſcheinungen des Pflanzenſchlafes fortwährend im Auge behalten. Ich fand ſie gerade ſo in den Steppen, wo der Blick auf den Horizont durch keine Unebenheit des Bodens unterbrochen wird. Die ſogenannten Sinnpflanzen und andere Schotengewächſe mit feinen zarten Blättern empfinden, ſcheint

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/313>, abgerufen am 30.04.2024.