Surville setzt unter 2° 10' der Breite an die Stelle des Sees Parime des La Cruz einen anderen See ohne Namen, der nach ihm die Quelle des Ucamu (Ocamo) ist. In der Nähe dieses Alpensees entspringen aus derselben Quelle der Orinoko und der Idapa, ein Nebenfluß des Cassiquiare. Der See Amucu, die Quelle des Mahu, wird zum Mar Dorado oder zur Laguna Parime erweitert. Der Rio Branco hängt nur noch durch zwei seiner schwächsten Neben- flüsse mit dem Wasserbecken zusammen, aus dem der Ucamu kommt. Aus dieser rein hypothetischen Anordnung ergibt sich, daß der Orinoko aus keinem See entspringt und daß die Quellen desselben vom See Parime und dem Rio Branco durchaus unabhängig sind. Trotz der sich gabelnden Quelle ist das hydrographische System der Survilleschen Karte nicht so abgeschmackt als das auf der Karte des La Cruz. Wenn die neueren Geographen sich so lange beharrlich an die spa- nischen Karten gehalten haben, ohne dieselben miteinander zu vergleichen, so erscheint es doch auffallend, daß sie nicht wenig- stens der neuesten Karte den Vorzug gegeben haben, der Survilleschen, die auf königliche Kosten und auf Befehl des Ministers für Indien, Don Jose de Galvez erschienen ist.
Ich habe hiermit, wie ich oben angekündigt, die wechseln- den Gestalten entwickelt, welche die geographischen Irrtümer zu verschiedenen Zeiten angenommen. Ich habe auseinander- gesetzt, wie die Bodenbildung, der Lauf der Ströme, die Namen der Nebenflüsse und die zahlreichen Trageplätze zur Annahme eines Binnenmeeres im Herzen von Guyana führen konnten. So trocken Erörterungen der Art sein mögen, für unnütz und unfruchtbar darf man sie nicht halten. Man ersieht daraus, was alles die Reisenden noch zu entdecken haben; sie stellen uns vor Augen, welcher Grad von Zu- verlässigkeit lange Zeit wiederholten Behauptungen zukommt. Es verhält sich mit den Karten wie mit den Tafeln astro- nomischer Positionen in unseren für die Seefahrer bestimmten Ephemeriden. Von lange her ist zu ihrer Entwerfung das verschiedenartigste Material zusammengetragen worden, und zöge man nicht die Geschichte der Geographie zu Rate, so wäre später so gut wie gar nicht auszumitteln, auf welcher Autorität jede einzelne Angabe beruht.
Ehe ich den Faden meiner Erzählung wieder aufnehme, habe ich noch einige allgemeine Bemerkungen über die gold- haltigen Gebirgsarten zwischen dem Amazonenstrome und dem
Surville ſetzt unter 2° 10′ der Breite an die Stelle des Sees Parime des La Cruz einen anderen See ohne Namen, der nach ihm die Quelle des Ucamu (Ocamo) iſt. In der Nähe dieſes Alpenſees entſpringen aus derſelben Quelle der Orinoko und der Idapa, ein Nebenfluß des Caſſiquiare. Der See Amucu, die Quelle des Mahu, wird zum Mar Dorado oder zur Laguna Parime erweitert. Der Rio Branco hängt nur noch durch zwei ſeiner ſchwächſten Neben- flüſſe mit dem Waſſerbecken zuſammen, aus dem der Ucamu kommt. Aus dieſer rein hypothetiſchen Anordnung ergibt ſich, daß der Orinoko aus keinem See entſpringt und daß die Quellen desſelben vom See Parime und dem Rio Branco durchaus unabhängig ſind. Trotz der ſich gabelnden Quelle iſt das hydrographiſche Syſtem der Survilleſchen Karte nicht ſo abgeſchmackt als das auf der Karte des La Cruz. Wenn die neueren Geographen ſich ſo lange beharrlich an die ſpa- niſchen Karten gehalten haben, ohne dieſelben miteinander zu vergleichen, ſo erſcheint es doch auffallend, daß ſie nicht wenig- ſtens der neueſten Karte den Vorzug gegeben haben, der Survilleſchen, die auf königliche Koſten und auf Befehl des Miniſters für Indien, Don Joſe de Galvez erſchienen iſt.
Ich habe hiermit, wie ich oben angekündigt, die wechſeln- den Geſtalten entwickelt, welche die geographiſchen Irrtümer zu verſchiedenen Zeiten angenommen. Ich habe auseinander- geſetzt, wie die Bodenbildung, der Lauf der Ströme, die Namen der Nebenflüſſe und die zahlreichen Trageplätze zur Annahme eines Binnenmeeres im Herzen von Guyana führen konnten. So trocken Erörterungen der Art ſein mögen, für unnütz und unfruchtbar darf man ſie nicht halten. Man erſieht daraus, was alles die Reiſenden noch zu entdecken haben; ſie ſtellen uns vor Augen, welcher Grad von Zu- verläſſigkeit lange Zeit wiederholten Behauptungen zukommt. Es verhält ſich mit den Karten wie mit den Tafeln aſtro- nomiſcher Poſitionen in unſeren für die Seefahrer beſtimmten Ephemeriden. Von lange her iſt zu ihrer Entwerfung das verſchiedenartigſte Material zuſammengetragen worden, und zöge man nicht die Geſchichte der Geographie zu Rate, ſo wäre ſpäter ſo gut wie gar nicht auszumitteln, auf welcher Autorität jede einzelne Angabe beruht.
Ehe ich den Faden meiner Erzählung wieder aufnehme, habe ich noch einige allgemeine Bemerkungen über die gold- haltigen Gebirgsarten zwiſchen dem Amazonenſtrome und dem
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Surville ſetzt unter 2° 10′ der Breite an die Stelle des
Sees Parime des La Cruz einen anderen See ohne Namen,
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Nähe dieſes Alpenſees entſpringen aus derſelben Quelle
der Orinoko und der Idapa, ein Nebenfluß des Caſſiquiare.
Der See Amucu, die Quelle des Mahu, wird zum Mar
Dorado oder zur Laguna Parime erweitert. Der Rio
Branco hängt nur noch durch zwei ſeiner ſchwächſten Neben-
flüſſe mit dem Waſſerbecken zuſammen, aus dem der Ucamu
kommt. Aus dieſer rein hypothetiſchen Anordnung ergibt ſich,
daß der Orinoko aus keinem See entſpringt und daß die
Quellen desſelben vom See Parime und dem Rio Branco
durchaus unabhängig ſind. Trotz der ſich gabelnden Quelle
iſt das hydrographiſche Syſtem der Survilleſchen Karte nicht
ſo abgeſchmackt als das auf der Karte des La Cruz. Wenn
die neueren Geographen ſich ſo lange beharrlich an die ſpa-
niſchen Karten gehalten haben, ohne dieſelben miteinander zu
vergleichen, ſo erſcheint es doch auffallend, daß ſie nicht wenig-
ſtens der neueſten Karte den Vorzug gegeben haben, der
Survilleſchen, die auf königliche Koſten und auf Befehl des
Miniſters für Indien, Don Joſe de Galvez erſchienen iſt.
Ich habe hiermit, wie ich oben angekündigt, die wechſeln-
den Geſtalten entwickelt, welche die geographiſchen Irrtümer
zu verſchiedenen Zeiten angenommen. Ich habe auseinander-
geſetzt, wie die Bodenbildung, der Lauf der Ströme, die
Namen der Nebenflüſſe und die zahlreichen Trageplätze zur
Annahme eines Binnenmeeres im Herzen von Guyana führen
konnten. So trocken Erörterungen der Art ſein mögen, für
unnütz und unfruchtbar darf man ſie nicht halten. Man
erſieht daraus, was alles die Reiſenden noch zu entdecken
haben; ſie ſtellen uns vor Augen, welcher Grad von Zu-
verläſſigkeit lange Zeit wiederholten Behauptungen zukommt.
Es verhält ſich mit den Karten wie mit den Tafeln aſtro-
nomiſcher Poſitionen in unſeren für die Seefahrer beſtimmten
Ephemeriden. Von lange her iſt zu ihrer Entwerfung das
verſchiedenartigſte Material zuſammengetragen worden, und
zöge man nicht die Geſchichte der Geographie zu Rate, ſo
wäre ſpäter ſo gut wie gar nicht auszumitteln, auf welcher
Autorität jede einzelne Angabe beruht.
Ehe ich den Faden meiner Erzählung wieder aufnehme,
habe ich noch einige allgemeine Bemerkungen über die gold-
haltigen Gebirgsarten zwiſchen dem Amazonenſtrome und dem
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/228>, abgerufen am 18.06.2024.
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