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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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findet, an ihrer allzugroßen Vertrauensseligkeit
dem männlichen Geschlecht gegenüber.

Und daß ihre Verführung außer der furchtbaren
Erkenntnis, daß sie von dem, den sie liebte, dem sie
alles geopfert hat, betrogen worden ist, für sie
meist die nicht minder furchtbare Konsequenz des
sittlichen Falles im Gefolge hat, liegt an dem
fürchterlichen System der doppelten Moral. Jener
Moral, die Dr. Jwan Bloch 1) "das notwendige Pro-
dukt der öffentlichen Moral typischer Sklaven-
staaten" nennt, in denen neben der Sklaverei noch
die Mißachtung der Frau, die Mißachtung der in-
dividuellen Liebe und die Mißachtung der Arbeit
als begünstigende Momente für die Ausbildung
eines weitverzweigten Prostitutionswesens in Be-
tracht kommen. Jene Moral, der zufolge der Mann
sich alle Freiheiten nimmt, der Frau aber, die ihm
die höchsten Wonnen spendet, zum Dank dafür das
Schandmal aufdrückt und ihr alle Lasten aufbürdet.
Es ist die unethischste, Mann und Frau ent-
würdigendste Moral.

Daß die moderne, ihre menschliche und weibliche
Würde empfindende, sich ihres Verantwortungs-
gefühls ihren Kindern und ihren entrechteten Ge-
schlechtsgenossinnen gegenüber vollbewußte Frau
sich gegen diese Moral auflehnen mußte, das war

1) "Die Prostitution", Berlin 1912.

findet, an ihrer allzugroßen Vertrauensseligkeit
dem männlichen Geschlecht gegenüber.

Und daß ihre Verführung außer der furchtbaren
Erkenntnis, daß sie von dem, den sie liebte, dem sie
alles geopfert hat, betrogen worden ist, für sie
meist die nicht minder furchtbare Konsequenz des
sittlichen Falles im Gefolge hat, liegt an dem
fürchterlichen System der doppelten Moral. Jener
Moral, die Dr. Jwan Bloch 1) „das notwendige Pro-
dukt der öffentlichen Moral typischer Sklaven-
staaten“ nennt, in denen neben der Sklaverei noch
die Mißachtung der Frau, die Mißachtung der in-
dividuellen Liebe und die Mißachtung der Arbeit
als begünstigende Momente für die Ausbildung
eines weitverzweigten Prostitutionswesens in Be-
tracht kommen. Jene Moral, der zufolge der Mann
sich alle Freiheiten nimmt, der Frau aber, die ihm
die höchsten Wonnen spendet, zum Dank dafür das
Schandmal aufdrückt und ihr alle Lasten aufbürdet.
Es ist die unethischste, Mann und Frau ent-
würdigendste Moral.

Daß die moderne, ihre menschliche und weibliche
Würde empfindende, sich ihres Verantwortungs-
gefühls ihren Kindern und ihren entrechteten Ge-
schlechtsgenossinnen gegenüber vollbewußte Frau
sich gegen diese Moral auflehnen mußte, das war

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[270/0274] findet, an ihrer allzugroßen Vertrauensseligkeit dem männlichen Geschlecht gegenüber. Und daß ihre Verführung außer der furchtbaren Erkenntnis, daß sie von dem, den sie liebte, dem sie alles geopfert hat, betrogen worden ist, für sie meist die nicht minder furchtbare Konsequenz des sittlichen Falles im Gefolge hat, liegt an dem fürchterlichen System der doppelten Moral. Jener Moral, die Dr. Jwan Bloch 1) „das notwendige Pro- dukt der öffentlichen Moral typischer Sklaven- staaten“ nennt, in denen neben der Sklaverei noch die Mißachtung der Frau, die Mißachtung der in- dividuellen Liebe und die Mißachtung der Arbeit als begünstigende Momente für die Ausbildung eines weitverzweigten Prostitutionswesens in Be- tracht kommen. Jene Moral, der zufolge der Mann sich alle Freiheiten nimmt, der Frau aber, die ihm die höchsten Wonnen spendet, zum Dank dafür das Schandmal aufdrückt und ihr alle Lasten aufbürdet. Es ist die unethischste, Mann und Frau ent- würdigendste Moral. Daß die moderne, ihre menschliche und weibliche Würde empfindende, sich ihres Verantwortungs- gefühls ihren Kindern und ihren entrechteten Ge- schlechtsgenossinnen gegenüber vollbewußte Frau sich gegen diese Moral auflehnen mußte, das war 1) „Die Prostitution“, Berlin 1912.

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/274>, abgerufen am 30.04.2024.