Euklids erstes Postulat sich denken ließe, gege- ben. Darum ist der Glaube überhaupt an ei- nen Gott dem Menschen natürlich; und am natürlichsten der Glaube an einen lebendigen Gott. Der Grübler, der ihn losgeworden ist, mußte zuvor, durch den geilsten Mißbrauch des Vermögens willkührlicher Be- zeichnung, dieses zweyschneidigen Schwerd- tes der Wahrheit und Lüge, sich von der Na- tur und seinem eigenen Wesen gewaltsam ab- sondern; er mußte sein Leben gleichsam bey der Wurzel anfassen, um es von sich zu werfen.
Werde ich es sagen, endlich laut sagen dürfen, daß sich mir die Geschichte der Philo- sophie je länger desto mehr als ein Drama ent- wickelte, worin Vernunft und Sprache die Menächmen spielen (*)?
(*) S. das Schauspiel dieses Namens im Plau- rus, oder im Regnard, oder im Schakespear, bey welchem letzteren, es die Irrungen heißt.
Euklids erſtes Poſtulat ſich denken ließe, gege- ben. Darum iſt der Glaube uͤberhaupt an ei- nen Gott dem Menſchen natuͤrlich; und am natuͤrlichſten der Glaube an einen lebendigen Gott. Der Gruͤbler, der ihn losgeworden iſt, mußte zuvor, durch den geilſten Mißbrauch des Vermoͤgens willkuͤhrlicher Be- zeichnung, dieſes zweyſchneidigen Schwerd- tes der Wahrheit und Luͤge, ſich von der Na- tur und ſeinem eigenen Weſen gewaltſam ab- ſondern; er mußte ſein Leben gleichſam bey der Wurzel anfaſſen, um es von ſich zu werfen.
Werde ich es ſagen, endlich laut ſagen duͤrfen, daß ſich mir die Geſchichte der Philo- ſophie je laͤnger deſto mehr als ein Drama ent- wickelte, worin Vernunft und Sprache die Menaͤchmen ſpielen (*)?
(*) S. das Schauſpiel dieſes Namens im Plau- rus, oder im Regnard, oder im Schakeſpear, bey welchem letzteren, es die Irrungen heißt.
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Euklids erſtes Poſtulat ſich denken ließe, gege-
ben. Darum iſt der Glaube uͤberhaupt an ei-
nen Gott dem Menſchen natuͤrlich; und am
natuͤrlichſten der Glaube an einen lebendigen
Gott. Der Gruͤbler, der ihn losgeworden iſt,
mußte zuvor, durch den geilſten Mißbrauch
des Vermoͤgens willkuͤhrlicher Be-
zeichnung, dieſes zweyſchneidigen Schwerd-
tes der Wahrheit und Luͤge, ſich von der Na-
tur und ſeinem eigenen Weſen gewaltſam ab-
ſondern; er mußte ſein Leben gleichſam bey der
Wurzel anfaſſen, um es von ſich zu werfen.
Werde ich es ſagen, endlich laut ſagen
duͤrfen, daß ſich mir die Geſchichte der Philo-
ſophie je laͤnger deſto mehr als ein Drama ent-
wickelte, worin Vernunft und Sprache
die Menaͤchmen ſpielen (*)?
(*) S. das Schauſpiel dieſes Namens im Plau-
rus, oder im Regnard, oder im Schakeſpear,
bey welchem letzteren, es die Irrungen
heißt.
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/354>, abgerufen am 15.06.2024.
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