Mein guter Emanuel! Ich bin Ihnen jezt vielerlei schuldig, Ant- wort, Geld und sogar -- Entschuldigungen; Dank ohnehin. Hier haben Sie alles aufeinmal, ausgenommen das Geld, das ich Ihnen5 samt fremden Briefen in Bayreuth einmal selber geben wil.
Der Friede und der Frühling, die jezt Hand in Hand zu uns kommen, ziehen das Herz aus dem Eise des Winters. Mein physisches fiel der Jenner häslich an; aber in meinem moralischen sizt jezt der Mai und der Junius und viel vom July. Ach Geliebter! welche Rosen und10 Lilien und Vergismeinnicht hat die Frühlingszukunft in Hof und Bay-[176] reuth für mich und -- ich hoffe -- auch für Sie!
v. Zanthier (mit einem ((matten)) Stolberg) war bei mir, ein kräftiger, klarer, biederer, weicher Man; wir schieden mit innigster Rührung. Was hab' ich nicht schon gesehen und verloren? Bei mir15 ist jezt jede Gegenwart eine Hülle und eine Pränumerazion der Ab- wesenheit. -- Zanthier that meinem Herzen auch durch die achtende Liebe wohl, womit er von Ihnen erzählte. Er verwünschte sein Ge- dächtnis, daß er durch Hof ohne einen Besuch bei Otto gegangen war. --20
Von meinem hiesigen frohen Leben kan ich nichts erzählen -- weil ichs schon Otto erzählt habe und ich ungern meine Personalien einmal zeichne, geschweige 2mal. Ich lebe in den sonderbarsten und wichtigsten Erfahrungen; das Verhängnis ist mein Präzeptor und Rabbi. In Hof sah ich in 6 Jahren nicht so viel von der Menschen etc.-natur als25 hier in 6 Monaten. Ach uns bricht das Schiksal wie ein Anfänger oder ich das Couvert so oftmals bis es die rechte Gestalt heraushat! Ich könte uns aber eher mit Servietten vergleichen, die man sonst in alle Formen knülte. --
Schreiben Sie mir Bayreuther Zeitungen d. i. von Bayreuth. --30
Herzlich sei gegrüsset Schäfer, Ihr Bruder und Elrod und in etwas die F. v. Kropf. Leben Sie wohl, unvergessener und unvergeslicher Geliebter, und gedenken Sie meiner in Frieden!
Richter
Auch an meine gute biedere feurige Voigt und an ihren freundlichen35 Man den wärmsten Grus des Herzens! --
216. An Emanuel.
Weimar d. 28 Febr. 99.
Mein guter Emanuel! Ich bin Ihnen jezt vielerlei ſchuldig, Ant- wort, Geld und ſogar — Entſchuldigungen; Dank ohnehin. Hier haben Sie alles aufeinmal, ausgenommen das Geld, das ich Ihnen5 ſamt fremden Briefen in Bayreuth einmal ſelber geben wil.
Der Friede und der Frühling, die jezt Hand in Hand zu uns kommen, ziehen das Herz aus dem Eiſe des Winters. Mein phyſiſches fiel der Jenner häslich an; aber in meinem moraliſchen ſizt jezt der Mai und der Junius und viel vom July. Ach Geliebter! welche Roſen und10 Lilien und Vergismeinnicht hat die Frühlingszukunft in Hof und Bay-[176] reuth für mich und — ich hoffe — auch für Sie!
v. Zanthier (mit einem ((matten)) Stolberg) war bei mir, ein kräftiger, klarer, biederer, weicher Man; wir ſchieden mit innigſter Rührung. Was hab’ ich nicht ſchon geſehen und verloren? Bei mir15 iſt jezt jede Gegenwart eine Hülle und eine Pränumerazion der Ab- weſenheit. — Zanthier that meinem Herzen auch durch die achtende Liebe wohl, womit er von Ihnen erzählte. Er verwünſchte ſein Ge- dächtnis, daß er durch Hof ohne einen Beſuch bei Otto gegangen war. —20
Von meinem hieſigen frohen Leben kan ich nichts erzählen — weil ichs ſchon Otto erzählt habe und ich ungern meine Perſonalien einmal zeichne, geſchweige 2mal. Ich lebe in den ſonderbarſten und wichtigſten Erfahrungen; das Verhängnis iſt mein Präzeptor und Rabbi. In Hof ſah ich in 6 Jahren nicht ſo viel von der Menſchen ꝛc.-natur als25 hier in 6 Monaten. Ach uns bricht das Schikſal wie ein Anfänger oder ich das Couvert ſo oftmals bis es die rechte Geſtalt heraushat! Ich könte uns aber eher mit Servietten vergleichen, die man ſonſt in alle Formen knülte. —
Schreiben Sie mir Bayreuther Zeitungen d. i. von Bayreuth. —30
Herzlich ſei gegrüſſet Schäfer, Ihr Bruder und Elrod und in etwas die F. v. Kropf. Leben Sie wohl, unvergeſſener und unvergeslicher Geliebter, und gedenken Sie meiner in Frieden!
Richter
Auch an meine gute biedere feurige Voigt und an ihren freundlichen35 Man den wärmſten Grus des Herzens! —
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216. An Emanuel.
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Mein guter Emanuel! Ich bin Ihnen jezt vielerlei ſchuldig, Ant-
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haben Sie alles aufeinmal, ausgenommen das Geld, das ich Ihnen 5
ſamt fremden Briefen in Bayreuth einmal ſelber geben wil.
Der Friede und der Frühling, die jezt Hand in Hand zu uns kommen,
ziehen das Herz aus dem Eiſe des Winters. Mein phyſiſches fiel der
Jenner häslich an; aber in meinem moraliſchen ſizt jezt der Mai und
der Junius und viel vom July. Ach Geliebter! welche Roſen und 10
Lilien und Vergismeinnicht hat die Frühlingszukunft in Hof und Bay-
reuth für mich und — ich hoffe — auch für Sie!
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v. Zanthier (mit einem ((matten)) Stolberg) war bei mir, ein
kräftiger, klarer, biederer, weicher Man; wir ſchieden mit innigſter
Rührung. Was hab’ ich nicht ſchon geſehen und verloren? Bei mir 15
iſt jezt jede Gegenwart eine Hülle und eine Pränumerazion der Ab-
weſenheit. — Zanthier that meinem Herzen auch durch die achtende
Liebe wohl, womit er von Ihnen erzählte. Er verwünſchte ſein Ge-
dächtnis, daß er durch Hof ohne einen Beſuch bei Otto gegangen
war. — 20
Von meinem hieſigen frohen Leben kan ich nichts erzählen — weil
ichs ſchon Otto erzählt habe und ich ungern meine Perſonalien einmal
zeichne, geſchweige 2mal. Ich lebe in den ſonderbarſten und wichtigſten
Erfahrungen; das Verhängnis iſt mein Präzeptor und Rabbi. In
Hof ſah ich in 6 Jahren nicht ſo viel von der Menſchen ꝛc.-natur als 25
hier in 6 Monaten. Ach uns bricht das Schikſal wie ein Anfänger oder
ich das Couvert ſo oftmals bis es die rechte Geſtalt heraushat! Ich
könte uns aber eher mit Servietten vergleichen, die man ſonſt in alle
Formen knülte. —
Schreiben Sie mir Bayreuther Zeitungen d. i. von Bayreuth. — 30
Herzlich ſei gegrüſſet Schäfer, Ihr Bruder und Elrod und in etwas
die F. v. Kropf. Leben Sie wohl, unvergeſſener und unvergeslicher
Geliebter, und gedenken Sie meiner in Frieden!
Richter
Auch an meine gute biedere feurige Voigt und an ihren freundlichen 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/169>, abgerufen am 17.06.2024.
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