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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955.

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133. An Wilhelm Meinhold in Usedom in Pommern.

Verzeihen Sie einen Ihnen vielleicht ungewöhnlichen Aufschub der
Antwort. Aber ich muß zu oft eine geben; und habe dazu doch mehr
Lust als Zeit. Noch wartet z. B. eine Tragödie auf meinem Bücherbret,5
welche ich nach einmaliger Lesung, mir zu Gefallen verbessert, zurück
bekommen zu einer zweiten, damit ich darauf für einen Verleger und --
das Schlimmste -- für einen Vorredner sorge. Letzter war ich wol 3 oder
4mal; aber eben darum darf ich es, sogar wenn es mehr hülfe als leider
bei Dobenecks Buch über die alten Sagen, nicht mehr sein; ein rechtes10
Werk hilft sich, wenn auch langsamer, auch ohne Vorrede durch. Zu
Verleger-Werbungen hab' ich weder Geschick, noch Zeit, noch Lust, noch
Glück, noch Verhältnis; denn höchstens erwerb' ich einen, wenn ich ihm
meine Vorrede dazu mitschicke, weil ein bloßes stilles Briefurtheil oder
Briefblättchen ihm als ein zu dünnes Segel zum Fortbringen seines15
Kauffarteischiffchens vorkommt. Sie werden also verzeihen, wenn Sie
für Ihr Werk von mir nichts bekommen als meine Wünsche und Gefühle.
Sie sind des wahren tragischen Ausdrucks mächtig; und ich habe daher
Stellen, die mir durch Wahrheit und Feuer und Bilder am meisten
gefielen, mit vertikalen Strichen bezeichnet; einige andere entgegen-20
gesetzte aber mit Dreiecken. Ihr Jugendfeuer, das jetzo schon hell und
ohne Rauch in die Höhe steigt, verspricht der Dichtkunst viel. Nur
scheinen mir die Wahl der Fabel und die verwaschene Darstellung der
Charaktere unter dem Werthe Ihrer tragischen Sprache zu bleiben. Der
Kindmord schon auf der Schwelle des Stücks verjagt einen Theil des25
Interesse, das nachher durch die Plane eines zweiten nicht sehr wachsen
kann.

Gehen Sie nur weiter fort und lassen Sie sich dabei von Sophokles
und Shakespeare führen: so werden Sie bei solcher Jugend, bald fliegen
und steigen.30

Ihr Manuskript werd' ich durch eine Gelegenheit nach Berlin ab-
schicken; wo es von da aus auf die Post kommen soll.

Leben Sie froh! -- Aber dieser Wunsch ist in der Nachbarschaft der
Muse fast überflüßig.

Jean Paul Fr. Richter35
133. An Wilhelm Meinhold in Uſedom in Pommern.

Verzeihen Sie einen Ihnen vielleicht ungewöhnlichen Aufſchub der
Antwort. Aber ich muß zu oft eine geben; und habe dazu doch mehr
Luſt als Zeit. Noch wartet z. B. eine Tragödie auf meinem Bücherbret,5
welche ich nach einmaliger Leſung, mir zu Gefallen verbeſſert, zurück
bekommen zu einer zweiten, damit ich darauf für einen Verleger und —
das Schlimmſte — für einen Vorredner ſorge. Letzter war ich wol 3 oder
4mal; aber eben darum darf ich es, ſogar wenn es mehr hülfe als leider
bei Dobenecks Buch über die alten Sagen, nicht mehr ſein; ein rechtes10
Werk hilft ſich, wenn auch langſamer, auch ohne Vorrede durch. Zu
Verleger-Werbungen hab’ ich weder Geſchick, noch Zeit, noch Luſt, noch
Glück, noch Verhältnis; denn höchſtens erwerb’ ich einen, wenn ich ihm
meine Vorrede dazu mitſchicke, weil ein bloßes ſtilles Briefurtheil oder
Briefblättchen ihm als ein zu dünnes Segel zum Fortbringen ſeines15
Kauffarteiſchiffchens vorkommt. Sie werden alſo verzeihen, wenn Sie
für Ihr Werk von mir nichts bekommen als meine Wünſche und Gefühle.
Sie ſind des wahren tragiſchen Ausdrucks mächtig; und ich habe daher
Stellen, die mir durch Wahrheit und Feuer und Bilder am meiſten
gefielen, mit vertikalen Strichen bezeichnet; einige andere entgegen-20
geſetzte aber mit Dreiecken. Ihr Jugendfeuer, das jetzo ſchon hell und
ohne Rauch in die Höhe ſteigt, verſpricht der Dichtkunſt viel. Nur
ſcheinen mir die Wahl der Fabel und die verwaſchene Darſtellung der
Charaktere unter dem Werthe Ihrer tragiſchen Sprache zu bleiben. Der
Kindmord ſchon auf der Schwelle des Stücks verjagt einen Theil des25
Intereſſe, das nachher durch die Plane eines zweiten nicht ſehr wachſen
kann.

Gehen Sie nur weiter fort und laſſen Sie ſich dabei von Sophokles
und Shakeſpeare führen: ſo werden Sie bei ſolcher Jugend, bald fliegen
und ſteigen.30

Ihr Manuſkript werd’ ich durch eine Gelegenheit nach Berlin ab-
ſchicken; wo es von da aus auf die Poſt kommen ſoll.

Leben Sie froh! — Aber dieſer Wunſch iſt in der Nachbarſchaft der
Muſe faſt überflüßig.

Jean Paul Fr. Richter35
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[88/0094] 133. An Wilhelm Meinhold in Uſedom in Pommern. Baireut d. 26ten Dec. 1820 Verzeihen Sie einen Ihnen vielleicht ungewöhnlichen Aufſchub der Antwort. Aber ich muß zu oft eine geben; und habe dazu doch mehr Luſt als Zeit. Noch wartet z. B. eine Tragödie auf meinem Bücherbret, 5 welche ich nach einmaliger Leſung, mir zu Gefallen verbeſſert, zurück bekommen zu einer zweiten, damit ich darauf für einen Verleger und — das Schlimmſte — für einen Vorredner ſorge. Letzter war ich wol 3 oder 4mal; aber eben darum darf ich es, ſogar wenn es mehr hülfe als leider bei Dobenecks Buch über die alten Sagen, nicht mehr ſein; ein rechtes 10 Werk hilft ſich, wenn auch langſamer, auch ohne Vorrede durch. Zu Verleger-Werbungen hab’ ich weder Geſchick, noch Zeit, noch Luſt, noch Glück, noch Verhältnis; denn höchſtens erwerb’ ich einen, wenn ich ihm meine Vorrede dazu mitſchicke, weil ein bloßes ſtilles Briefurtheil oder Briefblättchen ihm als ein zu dünnes Segel zum Fortbringen ſeines 15 Kauffarteiſchiffchens vorkommt. Sie werden alſo verzeihen, wenn Sie für Ihr Werk von mir nichts bekommen als meine Wünſche und Gefühle. Sie ſind des wahren tragiſchen Ausdrucks mächtig; und ich habe daher Stellen, die mir durch Wahrheit und Feuer und Bilder am meiſten gefielen, mit vertikalen Strichen bezeichnet; einige andere entgegen- 20 geſetzte aber mit Dreiecken. Ihr Jugendfeuer, das jetzo ſchon hell und ohne Rauch in die Höhe ſteigt, verſpricht der Dichtkunſt viel. Nur ſcheinen mir die Wahl der Fabel und die verwaſchene Darſtellung der Charaktere unter dem Werthe Ihrer tragiſchen Sprache zu bleiben. Der Kindmord ſchon auf der Schwelle des Stücks verjagt einen Theil des 25 Intereſſe, das nachher durch die Plane eines zweiten nicht ſehr wachſen kann. Gehen Sie nur weiter fort und laſſen Sie ſich dabei von Sophokles und Shakeſpeare führen: ſo werden Sie bei ſolcher Jugend, bald fliegen und ſteigen. 30 Ihr Manuſkript werd’ ich durch eine Gelegenheit nach Berlin ab- ſchicken; wo es von da aus auf die Poſt kommen ſoll. Leben Sie froh! — Aber dieſer Wunſch iſt in der Nachbarſchaft der Muſe faſt überflüßig. Jean Paul Fr. Richter 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:22:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:22:18Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 8. Berlin, 1955, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe08_1955/94>, abgerufen am 30.04.2024.