mager gemalter, nicht intakter Kopf, der wenig characteristische Merkmale seiner damaligen Malweise hat.
Gongora war schon ein Sechziger. Obwol er eine Pfründe der Kathedrale von Cordoba genoss (er war früh in den geist- lichen Stand getreten), so lebte er doch seit dreissig Jahren am Hofe, mit sehr bescheidenem Erfolge; Lerma hatte ihm eine capellania de honor verschafft. Er hat dem gezierten (culto) Stil des Zeitalters den Namen gegeben: der Marini und Lohenstein Spaniens. -- Das Bildniss ist ein Charakterkopf ersten Ranges, in dem man eher einen Casuisten oder Penitenciario als einen Poeten vermuthen würde. Ein langgezogener Kopf von mächti- gem, stilvollem Knochenbau: hochgewölbte, jetzt kahle Stirn, lange Hakennase, an der Wurzel stark vorspringend, ernster verschlossener Mund mit sauer herabgezogenen Winkeln, dünner Schnurrbart, langes vordringendes Kinn, der Nase sich entgegen- krümmend. In diesen strengen, schweren, verschlossenen Zügen, mit dem misstrauisch forschenden Blick der blinzelnden, von Fal- ten starker Gedankenarbeit umzogenen Augen wird Niemand Anmuth und Einfachheit suchen. Wol aber passen sie zu dem Satiriker und Erotiker, zu dem Bilderschwulst und den laby- rinthischen Gedankenspielen der Culteria. Auch scheint etwas darin von Gedrücktheit, eine Folge des langen Antichambrirens dieses Seneca nuevo, wie ihn Lope nannte 1).
Figueroa verlor indess seines jungen Freundes Interessen nicht aus den Augen. Wahrscheinlich gleich nach seiner Rück- kehr von der italienischen Reise brachte er die Sache wieder bei dem Minister Olivares zur Sprache, und im Frühjahr 1623 traf ein Brief von ihm ein, in welchem er, auf dessen Verlangen, eingeladen wurde, nach Madrid zurückzukehren. Eine Reise- unterstützung von fünfzig Dukaten wurde gewährt. Der Schwie- gervater schloss sein Haus und begleitete ihn, "um Zeuge seines Ruhmes zu sein", den er vorausahnte. In Figueroa's Haus wohnte und speiste er.
Im selben Jahre kam ein zehnjähriger Knabe mit seinem
1) Eine gute Wiederholung ist in England. In dem interessanten Werk Edward Churtons' über Gongora (London 1862) befindet sich ein guter Stich nach der Replik, die damals Henry Reeve gehörte. Sie soll aus der Sammlung Sir W. Hamilton's in Neapel stammen, kam in den Besitz des Kunstschriftstellers Ottley, und wurde dann als Bildniss Gondomar's verkauft. Sie stimmt genau mit dem Madrider Bild überein.
Zwei Reisen nach Madrid.
mager gemalter, nicht intakter Kopf, der wenig characteristische Merkmale seiner damaligen Malweise hat.
Góngora war schon ein Sechziger. Obwol er eine Pfründe der Kathedrale von Cordoba genoss (er war früh in den geist- lichen Stand getreten), so lebte er doch seit dreissig Jahren am Hofe, mit sehr bescheidenem Erfolge; Lerma hatte ihm eine capellanía de honor verschafft. Er hat dem gezierten (culto) Stil des Zeitalters den Namen gegeben: der Marini und Lohenstein Spaniens. — Das Bildniss ist ein Charakterkopf ersten Ranges, in dem man eher einen Casuisten oder Penitenciario als einen Poeten vermuthen würde. Ein langgezogener Kopf von mächti- gem, stilvollem Knochenbau: hochgewölbte, jetzt kahle Stirn, lange Hakennase, an der Wurzel stark vorspringend, ernster verschlossener Mund mit sauer herabgezogenen Winkeln, dünner Schnurrbart, langes vordringendes Kinn, der Nase sich entgegen- krümmend. In diesen strengen, schweren, verschlossenen Zügen, mit dem misstrauisch forschenden Blick der blinzelnden, von Fal- ten starker Gedankenarbeit umzogenen Augen wird Niemand Anmuth und Einfachheit suchen. Wol aber passen sie zu dem Satiriker und Erotiker, zu dem Bilderschwulst und den laby- rinthischen Gedankenspielen der Culteria. Auch scheint etwas darin von Gedrücktheit, eine Folge des langen Antichambrirens dieses Séneca nuevo, wie ihn Lope nannte 1).
Figueroa verlor indess seines jungen Freundes Interessen nicht aus den Augen. Wahrscheinlich gleich nach seiner Rück- kehr von der italienischen Reise brachte er die Sache wieder bei dem Minister Olivares zur Sprache, und im Frühjahr 1623 traf ein Brief von ihm ein, in welchem er, auf dessen Verlangen, eingeladen wurde, nach Madrid zurückzukehren. Eine Reise- unterstützung von fünfzig Dukaten wurde gewährt. Der Schwie- gervater schloss sein Haus und begleitete ihn, „um Zeuge seines Ruhmes zu sein“, den er vorausahnte. In Figueroa’s Haus wohnte und speiste er.
Im selben Jahre kam ein zehnjähriger Knabe mit seinem
1) Eine gute Wiederholung ist in England. In dem interessanten Werk Edward Churtons’ über Góngora (London 1862) befindet sich ein guter Stich nach der Replik, die damals Henry Reeve gehörte. Sie soll aus der Sammlung Sir W. Hamilton’s in Neapel stammen, kam in den Besitz des Kunstschriftstellers Ottley, und wurde dann als Bildniss Gondomar’s verkauft. Sie stimmt genau mit dem Madrider Bild überein.
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Merkmale seiner damaligen Malweise hat.
Góngora war schon ein Sechziger. Obwol er eine Pfründe
der Kathedrale von Cordoba genoss (er war früh in den geist-
lichen Stand getreten), so lebte er doch seit dreissig Jahren am
Hofe, mit sehr bescheidenem Erfolge; Lerma hatte ihm eine
capellanía de honor verschafft. Er hat dem gezierten (culto) Stil
des Zeitalters den Namen gegeben: der Marini und Lohenstein
Spaniens. — Das Bildniss ist ein Charakterkopf ersten Ranges,
in dem man eher einen Casuisten oder Penitenciario als einen
Poeten vermuthen würde. Ein langgezogener Kopf von mächti-
gem, stilvollem Knochenbau: hochgewölbte, jetzt kahle Stirn,
lange Hakennase, an der Wurzel stark vorspringend, ernster
verschlossener Mund mit sauer herabgezogenen Winkeln, dünner
Schnurrbart, langes vordringendes Kinn, der Nase sich entgegen-
krümmend. In diesen strengen, schweren, verschlossenen Zügen,
mit dem misstrauisch forschenden Blick der blinzelnden, von Fal-
ten starker Gedankenarbeit umzogenen Augen wird Niemand
Anmuth und Einfachheit suchen. Wol aber passen sie zu dem
Satiriker und Erotiker, zu dem Bilderschwulst und den laby-
rinthischen Gedankenspielen der Culteria. Auch scheint etwas
darin von Gedrücktheit, eine Folge des langen Antichambrirens
dieses Séneca nuevo, wie ihn Lope nannte 1).
Figueroa verlor indess seines jungen Freundes Interessen
nicht aus den Augen. Wahrscheinlich gleich nach seiner Rück-
kehr von der italienischen Reise brachte er die Sache wieder
bei dem Minister Olivares zur Sprache, und im Frühjahr 1623
traf ein Brief von ihm ein, in welchem er, auf dessen Verlangen,
eingeladen wurde, nach Madrid zurückzukehren. Eine Reise-
unterstützung von fünfzig Dukaten wurde gewährt. Der Schwie-
gervater schloss sein Haus und begleitete ihn, „um Zeuge seines
Ruhmes zu sein“, den er vorausahnte. In Figueroa’s Haus wohnte
und speiste er.
Im selben Jahre kam ein zehnjähriger Knabe mit seinem
1) Eine gute Wiederholung ist in England. In dem interessanten Werk Edward
Churtons’ über Góngora (London 1862) befindet sich ein guter Stich nach der Replik,
die damals Henry Reeve gehörte. Sie soll aus der Sammlung Sir W. Hamilton’s
in Neapel stammen, kam in den Besitz des Kunstschriftstellers Ottley, und wurde
dann als Bildniss Gondomar’s verkauft. Sie stimmt genau mit dem Madrider Bild
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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/183>, abgerufen am 14.06.2024.
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