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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
wurde (1632). Es ist ein kräftiges gedrungenes Gesicht von
reichlichen Haaren umwallt, ein wenig nach links gewandt; auf
ganz dunklem braunem Grunde, der sich über der rechten Schulter
etwas erhellt. Die Farbe ist ganz gleichmässig, kühl kupferig
mit drüber hinstreifenden Lichtern, ähnlich dem Ton in Äsop
und Menippus.

Quevedo hat uns in Versen eine sehr ausführliche humo-
ristische Beschreibung seines äussern Menschen als Spiegel des
innern geschenkt, die ganz mit unserm Bilde stimmt. Die Stirn
ist hoch, oben in der Mitte ist das stärkste und breiteste Licht
gesammelt, auch steigen von der Nasenwurzel breite schräge
Falten auf, zwei horizontale Narben fehlen nicht. Auf diese
breite klare Stirn war er stolz 1).

Die Augen stehn hier hinter den grossen runden Gläsern
einer Hornbrille, deren Einfassung einen Schatten aufs Gesicht
wirft. Denn dieser scharfsichtige Beobachter war seit seinen
Universitätsjahren in Alcala, wo er als fünfzehnjähriger den
theologischen Grad erwarb, mit hochgradiger Kurzsichtigkeit
behaftet. Durch unersättliches Lesen (auch orientalischer Drucke)
hatte er seine Sehkraft geschwächt, denn er las beim Essen, im
Wagen, im Bett; er führte auf Reisen ein hundert sehr kleiner
Bändchen in einer Ledertasche mit sich. Er hatte den Appetit,
aber auch die Verdauungskraft des Polyhistors; sein gedrängter,
durch Anspielungen, durch unerwartete und ungewöhnliche Wen-
dungen dunkler Stil ist (wie der Hamann's) der Stil des Lesers.
Bei ihm traf nicht zu, dass das Lesen die Denkkraft lähmt. Die
Brille war also in diesem Falle nicht wunderliche Eitelkeit 2).

Es sind grosse, runde, offene Augen 3), Lerma nennt sie in
einem Gedicht klar wie Crystall, er selbst "trübe zugleich und
heiter" 4). Ohne die Brille unsicher, blöde, haben sie unter den

1) Cabeza -- ancha, bien repartida, suficiente para mostrar por sennas mi
agudeza, frente -- larga y blanca, con algunas viejas heridas, testimonio de valiente.
2) C'est surtout la folie d'estre aveugle qui a fait fortune . . . . De bons
yeux sont devenus le partage de la canaille. M. de Langle, Mon vogage en Es-
pagne. Neuchatel 1785 II. 93. Generale liessen sich im Galopp, mit ungeheurem
Kneifer malen. Z. B. der Marques de Velada, in einem Stich von Ant. van der Does.
3) Ojos -- rasgados, aunque turbios serenos, aunque tengan mil enojos.
4) Lisura en verso, y en prosa,
Don Francisco, conservad,
Ya que vuestros ojos son
Tan claros como un cristal. Palomino a. a. O.

Fünftes Buch.
wurde (1632). Es ist ein kräftiges gedrungenes Gesicht von
reichlichen Haaren umwallt, ein wenig nach links gewandt; auf
ganz dunklem braunem Grunde, der sich über der rechten Schulter
etwas erhellt. Die Farbe ist ganz gleichmässig, kühl kupferig
mit drüber hinstreifenden Lichtern, ähnlich dem Ton in Äsop
und Menippus.

Quevedo hat uns in Versen eine sehr ausführliche humo-
ristische Beschreibung seines äussern Menschen als Spiegel des
innern geschenkt, die ganz mit unserm Bilde stimmt. Die Stirn
ist hoch, oben in der Mitte ist das stärkste und breiteste Licht
gesammelt, auch steigen von der Nasenwurzel breite schräge
Falten auf, zwei horizontale Narben fehlen nicht. Auf diese
breite klare Stirn war er stolz 1).

Die Augen stehn hier hinter den grossen runden Gläsern
einer Hornbrille, deren Einfassung einen Schatten aufs Gesicht
wirft. Denn dieser scharfsichtige Beobachter war seit seinen
Universitätsjahren in Alcalá, wo er als fünfzehnjähriger den
theologischen Grad erwarb, mit hochgradiger Kurzsichtigkeit
behaftet. Durch unersättliches Lesen (auch orientalischer Drucke)
hatte er seine Sehkraft geschwächt, denn er las beim Essen, im
Wagen, im Bett; er führte auf Reisen ein hundert sehr kleiner
Bändchen in einer Ledertasche mit sich. Er hatte den Appetit,
aber auch die Verdauungskraft des Polyhistors; sein gedrängter,
durch Anspielungen, durch unerwartete und ungewöhnliche Wen-
dungen dunkler Stil ist (wie der Hamann’s) der Stil des Lesers.
Bei ihm traf nicht zu, dass das Lesen die Denkkraft lähmt. Die
Brille war also in diesem Falle nicht wunderliche Eitelkeit 2).

Es sind grosse, runde, offene Augen 3), Lerma nennt sie in
einem Gedicht klar wie Crystall, er selbst „trübe zugleich und
heiter“ 4). Ohne die Brille unsicher, blöde, haben sie unter den

1) Cabeza — ancha, bien repartida, suficiente para mostrar por señas mi
agudeza, frente — larga y blanca, con algunas viejas heridas, testimonio de valiente.
2) C’est surtout la folie d’estre aveugle qui a fait fortune . . . . De bons
yeux sont devenus le partage de la canaille. M. de Langle, Mon vogage en Es-
pagne. Neuchatel 1785 II. 93. Generale liessen sich im Galopp, mit ungeheurem
Kneifer malen. Z. B. der Marques de Velada, in einem Stich von Ant. van der Does.
3) Ojos — rasgados, aunque turbios serenos, aunque tengan mil enojos.
4) Lisura en verso, y en prosa,
Don Francisco, conservad,
Ya que vuestros ojos son
Tan claros como un cristal. Palomino a. a. O.
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[46/0066] Fünftes Buch. wurde (1632). Es ist ein kräftiges gedrungenes Gesicht von reichlichen Haaren umwallt, ein wenig nach links gewandt; auf ganz dunklem braunem Grunde, der sich über der rechten Schulter etwas erhellt. Die Farbe ist ganz gleichmässig, kühl kupferig mit drüber hinstreifenden Lichtern, ähnlich dem Ton in Äsop und Menippus. Quevedo hat uns in Versen eine sehr ausführliche humo- ristische Beschreibung seines äussern Menschen als Spiegel des innern geschenkt, die ganz mit unserm Bilde stimmt. Die Stirn ist hoch, oben in der Mitte ist das stärkste und breiteste Licht gesammelt, auch steigen von der Nasenwurzel breite schräge Falten auf, zwei horizontale Narben fehlen nicht. Auf diese breite klare Stirn war er stolz 1). Die Augen stehn hier hinter den grossen runden Gläsern einer Hornbrille, deren Einfassung einen Schatten aufs Gesicht wirft. Denn dieser scharfsichtige Beobachter war seit seinen Universitätsjahren in Alcalá, wo er als fünfzehnjähriger den theologischen Grad erwarb, mit hochgradiger Kurzsichtigkeit behaftet. Durch unersättliches Lesen (auch orientalischer Drucke) hatte er seine Sehkraft geschwächt, denn er las beim Essen, im Wagen, im Bett; er führte auf Reisen ein hundert sehr kleiner Bändchen in einer Ledertasche mit sich. Er hatte den Appetit, aber auch die Verdauungskraft des Polyhistors; sein gedrängter, durch Anspielungen, durch unerwartete und ungewöhnliche Wen- dungen dunkler Stil ist (wie der Hamann’s) der Stil des Lesers. Bei ihm traf nicht zu, dass das Lesen die Denkkraft lähmt. Die Brille war also in diesem Falle nicht wunderliche Eitelkeit 2). Es sind grosse, runde, offene Augen 3), Lerma nennt sie in einem Gedicht klar wie Crystall, er selbst „trübe zugleich und heiter“ 4). Ohne die Brille unsicher, blöde, haben sie unter den 1) Cabeza — ancha, bien repartida, suficiente para mostrar por señas mi agudeza, frente — larga y blanca, con algunas viejas heridas, testimonio de valiente. 2) C’est surtout la folie d’estre aveugle qui a fait fortune . . . . De bons yeux sont devenus le partage de la canaille. M. de Langle, Mon vogage en Es- pagne. Neuchatel 1785 II. 93. Generale liessen sich im Galopp, mit ungeheurem Kneifer malen. Z. B. der Marques de Velada, in einem Stich von Ant. van der Does. 3) Ojos — rasgados, aunque turbios serenos, aunque tengan mil enojos. 4) Lisura en verso, y en prosa, Don Francisco, conservad, Ya que vuestros ojos son Tan claros como un cristal. Palomino a. a. O.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/66>, abgerufen am 30.04.2024.