ienige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit be- zeichnet, nachdem sie auf die eine, oder die andere Art der sinnlichen Anschauung bezogen wird. Ist Empfindung einmal gegeben, (welche, wenn sie auf einen Gegenstand überhaupt, ohne diesen zu bestimmen, angewandt wird, Wahrnehmung heißt,) so kan durch die Mannigfaltigkeit derselben mancher Gegenstand in der Einbildung gedichtet werden, der ausser der Einbildung im Raume oder der Zeit keine empirische Stelle hat. Dieses ist ungezweifelt gewiß, man mag nun die Empfindungen, Lust und Schmerz, oder auch der äusseren, als Farben, Wärme etc. nehmen, so ist Wahrnehmung dasienige, wodurch der Stoff, um Gegenstände der sinnlichen Anschauung zu denken, zuerst gegeben werden muß. Diese Wahrnehmung stellet also, (damit wir diesmal nur bey äusseren Anschauungen bleiben) etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erstlich ist Wahrnehmung die Vorstellung einer Wirklichkeit, so wie Raum die Vorstellung einer blossen Möglichkeit des Beysammenseyns. Zweitens wird diese Wirklichkeit vor dem äusseren Sinn, d. i. im Raume vorgestellt. Drit- tens ist der Raum selbst nichts anders, als blosse Vorstel- lung, mithin kan in ihm nur das als wirklich gelten, was in ihm vorgestellet*) wird, und umgekehrt, was in ihm
gege-
*) Man muß diesen paradoxen, aber richtigen Satz wol merken: daß im Raume nichts sey, als was in ihm vor- gestellet wird. Denn der Raum ist selbst nichts anders, als Vorstellung, folglich was in ihm ist, muß in der
Vor-
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
ienige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit be- zeichnet, nachdem ſie auf die eine, oder die andere Art der ſinnlichen Anſchauung bezogen wird. Iſt Empfindung einmal gegeben, (welche, wenn ſie auf einen Gegenſtand uͤberhaupt, ohne dieſen zu beſtimmen, angewandt wird, Wahrnehmung heißt,) ſo kan durch die Mannigfaltigkeit derſelben mancher Gegenſtand in der Einbildung gedichtet werden, der auſſer der Einbildung im Raume oder der Zeit keine empiriſche Stelle hat. Dieſes iſt ungezweifelt gewiß, man mag nun die Empfindungen, Luſt und Schmerz, oder auch der aͤuſſeren, als Farben, Waͤrme ꝛc. nehmen, ſo iſt Wahrnehmung dasienige, wodurch der Stoff, um Gegenſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung zu denken, zuerſt gegeben werden muß. Dieſe Wahrnehmung ſtellet alſo, (damit wir diesmal nur bey aͤuſſeren Anſchauungen bleiben) etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erſtlich iſt Wahrnehmung die Vorſtellung einer Wirklichkeit, ſo wie Raum die Vorſtellung einer bloſſen Moͤglichkeit des Beyſammenſeyns. Zweitens wird dieſe Wirklichkeit vor dem aͤuſſeren Sinn, d. i. im Raume vorgeſtellt. Drit- tens iſt der Raum ſelbſt nichts anders, als bloſſe Vorſtel- lung, mithin kan in ihm nur das als wirklich gelten, was in ihm vorgeſtellet*) wird, und umgekehrt, was in ihm
gege-
*) Man muß dieſen paradoxen, aber richtigen Satz wol merken: daß im Raume nichts ſey, als was in ihm vor- geſtellet wird. Denn der Raum iſt ſelbſt nichts anders, als Vorſtellung, folglich was in ihm iſt, muß in der
Vor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><p><pbfacs="#f0404"n="374"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch.</fw><lb/>
ienige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit be-<lb/>
zeichnet, nachdem ſie auf die eine, oder die andere Art<lb/>
der ſinnlichen Anſchauung bezogen wird. Iſt Empfindung<lb/>
einmal gegeben, (welche, wenn ſie auf einen Gegenſtand<lb/>
uͤberhaupt, ohne dieſen zu beſtimmen, angewandt wird,<lb/>
Wahrnehmung heißt,) ſo kan durch die Mannigfaltigkeit<lb/>
derſelben mancher Gegenſtand in der Einbildung gedichtet<lb/>
werden, der auſſer der Einbildung im Raume oder der<lb/>
Zeit keine empiriſche Stelle hat. Dieſes iſt ungezweifelt<lb/>
gewiß, man mag nun die Empfindungen, Luſt und Schmerz,<lb/>
oder auch der aͤuſſeren, als Farben, Waͤrme ꝛc. nehmen,<lb/>ſo iſt Wahrnehmung dasienige, wodurch der Stoff, um<lb/>
Gegenſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung zu denken, zuerſt<lb/>
gegeben werden muß. Dieſe Wahrnehmung ſtellet alſo,<lb/>
(damit wir diesmal nur bey aͤuſſeren Anſchauungen bleiben)<lb/>
etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erſtlich iſt<lb/>
Wahrnehmung die Vorſtellung einer Wirklichkeit, ſo<lb/>
wie Raum die Vorſtellung einer bloſſen Moͤglichkeit des<lb/>
Beyſammenſeyns. Zweitens wird dieſe Wirklichkeit vor<lb/>
dem aͤuſſeren Sinn, d. i. im Raume vorgeſtellt. Drit-<lb/>
tens iſt der Raum ſelbſt nichts anders, als bloſſe Vorſtel-<lb/>
lung, mithin kan in ihm nur das als wirklich gelten, was<lb/>
in ihm vorgeſtellet<notexml:id="seg2pn_7_1"next="#seg2pn_7_2"place="foot"n="*)">Man muß dieſen paradoxen, aber richtigen Satz wol<lb/>
merken: daß im Raume nichts ſey, als was in ihm vor-<lb/>
geſtellet wird. Denn der Raum iſt ſelbſt nichts anders,<lb/>
als Vorſtellung, folglich was in ihm iſt, muß in der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Vor-</fw></note> wird, und umgekehrt, was in ihm<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gege-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[374/0404]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch.
ienige, was eine Wirklichkeit im Raume und der Zeit be-
zeichnet, nachdem ſie auf die eine, oder die andere Art
der ſinnlichen Anſchauung bezogen wird. Iſt Empfindung
einmal gegeben, (welche, wenn ſie auf einen Gegenſtand
uͤberhaupt, ohne dieſen zu beſtimmen, angewandt wird,
Wahrnehmung heißt,) ſo kan durch die Mannigfaltigkeit
derſelben mancher Gegenſtand in der Einbildung gedichtet
werden, der auſſer der Einbildung im Raume oder der
Zeit keine empiriſche Stelle hat. Dieſes iſt ungezweifelt
gewiß, man mag nun die Empfindungen, Luſt und Schmerz,
oder auch der aͤuſſeren, als Farben, Waͤrme ꝛc. nehmen,
ſo iſt Wahrnehmung dasienige, wodurch der Stoff, um
Gegenſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung zu denken, zuerſt
gegeben werden muß. Dieſe Wahrnehmung ſtellet alſo,
(damit wir diesmal nur bey aͤuſſeren Anſchauungen bleiben)
etwas Wirkliches im Raume vor. Denn erſtlich iſt
Wahrnehmung die Vorſtellung einer Wirklichkeit, ſo
wie Raum die Vorſtellung einer bloſſen Moͤglichkeit des
Beyſammenſeyns. Zweitens wird dieſe Wirklichkeit vor
dem aͤuſſeren Sinn, d. i. im Raume vorgeſtellt. Drit-
tens iſt der Raum ſelbſt nichts anders, als bloſſe Vorſtel-
lung, mithin kan in ihm nur das als wirklich gelten, was
in ihm vorgeſtellet *) wird, und umgekehrt, was in ihm
gege-
*) Man muß dieſen paradoxen, aber richtigen Satz wol
merken: daß im Raume nichts ſey, als was in ihm vor-
geſtellet wird. Denn der Raum iſt ſelbſt nichts anders,
als Vorſtellung, folglich was in ihm iſt, muß in der
Vor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/404>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.