funfzehn Jahren und ein großer feiner Herr im besten Mannesalter, welcher von dem Wirth un¬ terthänigst Herr Graf genannt wurde. Diese Umstände waren hinreichend, um für den uner¬ fahrenen Heinrich ein kleines Abenteuer zu sein. Obgleich er sich gegen allen ungebührlichen Re¬ spect gewappnet fühlte, konnte er doch nicht um¬ hin, einige neugierige Blicke nach diesen über¬ bürgerlichen Wesen hinzuwerfen, von denen er noch Keines in der Nähe gesehen hatte und die jetzt am gleichen Tische Platz nahmen.
Das nahe Rauschen und Knistern der seide¬ nen Gewänder machte ihn befangen und behaglich zugleich, und während er sich mit seinen Händen und seinem Eßwerkzeuge möglichst enge zusam¬ menhielt, hätte er sich doch um keinen Preis ganz von seinem Plätzchen hinweg locken lassen; denn wie zwei Frühlingssonnen ruhten die offenen kindlichen Augen des jungen Mädchens auf ihm. Er wagte auch bald das zweite Paar Blicke auszusenden, welche diesmal auf die ältere Dame trafen, wie sie ihn mit einem eiskalten, merkwür¬ digen Gesichte ansah und gar nicht zu bemerken
funfzehn Jahren und ein großer feiner Herr im beſten Mannesalter, welcher von dem Wirth un¬ terthaͤnigſt Herr Graf genannt wurde. Dieſe Umſtaͤnde waren hinreichend, um fuͤr den uner¬ fahrenen Heinrich ein kleines Abenteuer zu ſein. Obgleich er ſich gegen allen ungebuͤhrlichen Re¬ ſpect gewappnet fuͤhlte, konnte er doch nicht um¬ hin, einige neugierige Blicke nach dieſen uͤber¬ buͤrgerlichen Weſen hinzuwerfen, von denen er noch Keines in der Naͤhe geſehen hatte und die jetzt am gleichen Tiſche Platz nahmen.
Das nahe Rauſchen und Kniſtern der ſeide¬ nen Gewaͤnder machte ihn befangen und behaglich zugleich, und waͤhrend er ſich mit ſeinen Haͤnden und ſeinem Eßwerkzeuge moͤglichſt enge zuſam¬ menhielt, haͤtte er ſich doch um keinen Preis ganz von ſeinem Plaͤtzchen hinweg locken laſſen; denn wie zwei Fruͤhlingsſonnen ruhten die offenen kindlichen Augen des jungen Maͤdchens auf ihm. Er wagte auch bald das zweite Paar Blicke auszuſenden, welche diesmal auf die aͤltere Dame trafen, wie ſie ihn mit einem eiskalten, merkwuͤr¬ digen Geſichte anſah und gar nicht zu bemerken
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[60/0074]
funfzehn Jahren und ein großer feiner Herr im
beſten Mannesalter, welcher von dem Wirth un¬
terthaͤnigſt Herr Graf genannt wurde. Dieſe
Umſtaͤnde waren hinreichend, um fuͤr den uner¬
fahrenen Heinrich ein kleines Abenteuer zu ſein.
Obgleich er ſich gegen allen ungebuͤhrlichen Re¬
ſpect gewappnet fuͤhlte, konnte er doch nicht um¬
hin, einige neugierige Blicke nach dieſen uͤber¬
buͤrgerlichen Weſen hinzuwerfen, von denen er
noch Keines in der Naͤhe geſehen hatte und die
jetzt am gleichen Tiſche Platz nahmen.
Das nahe Rauſchen und Kniſtern der ſeide¬
nen Gewaͤnder machte ihn befangen und behaglich
zugleich, und waͤhrend er ſich mit ſeinen Haͤnden
und ſeinem Eßwerkzeuge moͤglichſt enge zuſam¬
menhielt, haͤtte er ſich doch um keinen Preis
ganz von ſeinem Plaͤtzchen hinweg locken laſſen;
denn wie zwei Fruͤhlingsſonnen ruhten die offenen
kindlichen Augen des jungen Maͤdchens auf ihm.
Er wagte auch bald das zweite Paar Blicke
auszuſenden, welche diesmal auf die aͤltere Dame
trafen, wie ſie ihn mit einem eiskalten, merkwuͤr¬
digen Geſichte anſah und gar nicht zu bemerken
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/74>, abgerufen am 19.05.2024.
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