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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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culirten aber metallreichen Frauenausrufe, welche
so ergötzlich klingen, wenn sie von etwas überrascht
oder halb erschreckt werden. Sie war nämlich
plötzlich auf den Gedanken gekommen, da die
Zeichnungen offenbar aus der Schweiz herrührten,
daß am Ende Heinrich der Urheber derselben sein
dürfte, und weil der Zufall schon so viel gethan,
so schien es ihr sogar gewiß, und sie ging mit
der Lebhaftigkeit darauf los, welche solchen We¬
sen eigen ist, wenn sie ein unschuldiges und arg¬
loses Abenteuer herbeiführen mögen. Sie stand
jetzt vor dem inzwischen fest Eingeschlafenen und
hielt den großen Bogen vor ihn hin, indem sie
die beiden oberen Ecken zierlich gefaßt, wie eine
Kirchenstandarte. Sie rief ihn beim Namen, wor¬
auf er sogleich erwachte; aber er war schon so
schlaftrunken von der Müdigkeit, daß er die ersten
Augenblicke nicht wußte, wo er war. Er sah
nur ein schönes Wesen vor sich stehen, gleich ei¬
nem Traumengel, der ein Bild vor der Brust
hielt und mit freundlichen Sternaugen über das¬
selbe herblickte. Voll traumhafter Neugierde
beugte er sich vor und starrte auf das Bild, bis

culirten aber metallreichen Frauenausrufe, welche
ſo ergoͤtzlich klingen, wenn ſie von etwas uͤberraſcht
oder halb erſchreckt werden. Sie war naͤmlich
ploͤtzlich auf den Gedanken gekommen, da die
Zeichnungen offenbar aus der Schweiz herruͤhrten,
daß am Ende Heinrich der Urheber derſelben ſein
duͤrfte, und weil der Zufall ſchon ſo viel gethan,
ſo ſchien es ihr ſogar gewiß, und ſie ging mit
der Lebhaftigkeit darauf los, welche ſolchen We¬
ſen eigen iſt, wenn ſie ein unſchuldiges und arg¬
loſes Abenteuer herbeifuͤhren moͤgen. Sie ſtand
jetzt vor dem inzwiſchen feſt Eingeſchlafenen und
hielt den großen Bogen vor ihn hin, indem ſie
die beiden oberen Ecken zierlich gefaßt, wie eine
Kirchenſtandarte. Sie rief ihn beim Namen, wor¬
auf er ſogleich erwachte; aber er war ſchon ſo
ſchlaftrunken von der Muͤdigkeit, daß er die erſten
Augenblicke nicht wußte, wo er war. Er ſah
nur ein ſchoͤnes Weſen vor ſich ſtehen, gleich ei¬
nem Traumengel, der ein Bild vor der Bruſt
hielt und mit freundlichen Sternaugen uͤber das¬
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[316/0326] culirten aber metallreichen Frauenausrufe, welche ſo ergoͤtzlich klingen, wenn ſie von etwas uͤberraſcht oder halb erſchreckt werden. Sie war naͤmlich ploͤtzlich auf den Gedanken gekommen, da die Zeichnungen offenbar aus der Schweiz herruͤhrten, daß am Ende Heinrich der Urheber derſelben ſein duͤrfte, und weil der Zufall ſchon ſo viel gethan, ſo ſchien es ihr ſogar gewiß, und ſie ging mit der Lebhaftigkeit darauf los, welche ſolchen We¬ ſen eigen iſt, wenn ſie ein unſchuldiges und arg¬ loſes Abenteuer herbeifuͤhren moͤgen. Sie ſtand jetzt vor dem inzwiſchen feſt Eingeſchlafenen und hielt den großen Bogen vor ihn hin, indem ſie die beiden oberen Ecken zierlich gefaßt, wie eine Kirchenſtandarte. Sie rief ihn beim Namen, wor¬ auf er ſogleich erwachte; aber er war ſchon ſo ſchlaftrunken von der Muͤdigkeit, daß er die erſten Augenblicke nicht wußte, wo er war. Er ſah nur ein ſchoͤnes Weſen vor ſich ſtehen, gleich ei¬ nem Traumengel, der ein Bild vor der Bruſt hielt und mit freundlichen Sternaugen uͤber das¬ ſelbe herblickte. Voll traumhafter Neugierde beugte er ſich vor und ſtarrte auf das Bild, bis

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/326>, abgerufen am 30.04.2024.