Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Achter Gesang.

Schwerte sinken, indem sie sinken, dem Tode noch lächeln.
Eure Mutter segnet euch zu! Jhr seyd die erkohrnen
Höhern Zeugen des größten der Todten! Der sinkenden Wange
Blässe, der brechende Blick strahlt himmlisch herüber! Sie schimmern
Eure Wunden! Jhr röchelt, Märtyrer, Lieder der Wonne!

Aber der Gottmensch erhub sein Aug, und sahe die Seelen.
Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmlischen Wange
Eine Thräne des ewigen Lebens. Denn Jesus Christus
Schaute mit einem Blicke der gottversönenden Liebe,
Jener, mit welcher er, bis zum Tod am Kreuze, izt liebte,
Zu den Seelen empor. Die Seelen schauerten Wonne.
Noch kam auf des Sterbenden Wange die Farbe des Lebens
Schnell wie Winke zurück; geschwinder, als Winke zu fliehen.
Aber izt kam sie nicht mehr. Die todesvollere Wange
Senkte sich sichtbar! Sein Haupt, vom Weltgerichte belastet,
Hing zum Herzen. Er hubs arbeitend empor gen Himmel,
Aber es sank zum Herzen zurück. Der hangende Himmel
Wölbt sich um Golgatha, wie um Verwesungen Todtengewölbe,
Graunvoll, fürchterlich, stumm! Der Wolken nächtlichste schwebte
Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke
Feyrliche Todesstille, die selbst die Unsterblichen schrekte.
Ein Gedanke, so war sie nicht mehr! Von iedem gelindern
Schall unangekündigt, zerriß ein Getöse, das aufstieg,
Laut die Erde, da bebten der Todten Gebeine, da bebte
Bis zur Zinne der Tempel. Das war ein Bote des Sturmwinds.
Und der Sturmwind erhub sich, und braust in den Cedern, die Cedern
Stürzten dahin! er braust auf der stolzen Jerusalem Thürme,
Und
F 2

Achter Geſang.

Schwerte ſinken, indem ſie ſinken, dem Tode noch laͤcheln.
Eure Mutter ſegnet euch zu! Jhr ſeyd die erkohrnen
Hoͤhern Zeugen des groͤßten der Todten! Der ſinkenden Wange
Blaͤſſe, der brechende Blick ſtrahlt himmliſch heruͤber! Sie ſchimmern
Eure Wunden! Jhr roͤchelt, Maͤrtyrer, Lieder der Wonne!

Aber der Gottmenſch erhub ſein Aug, und ſahe die Seelen.
Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmliſchen Wange
Eine Thraͤne des ewigen Lebens. Denn Jeſus Chriſtus
Schaute mit einem Blicke der gottverſoͤnenden Liebe,
Jener, mit welcher er, bis zum Tod am Kreuze, izt liebte,
Zu den Seelen empor. Die Seelen ſchauerten Wonne.
Noch kam auf des Sterbenden Wange die Farbe des Lebens
Schnell wie Winke zuruͤck; geſchwinder, als Winke zu fliehen.
Aber izt kam ſie nicht mehr. Die todesvollere Wange
Senkte ſich ſichtbar! Sein Haupt, vom Weltgerichte belaſtet,
Hing zum Herzen. Er hubs arbeitend empor gen Himmel,
Aber es ſank zum Herzen zuruͤck. Der hangende Himmel
Woͤlbt ſich um Golgatha, wie um Verweſungen Todtengewoͤlbe,
Graunvoll, fuͤrchterlich, ſtumm! Der Wolken naͤchtlichſte ſchwebte
Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke
Feyrliche Todesſtille, die ſelbſt die Unſterblichen ſchrekte.
Ein Gedanke, ſo war ſie nicht mehr! Von iedem gelindern
Schall unangekuͤndigt, zerriß ein Getoͤſe, das aufſtieg,
Laut die Erde, da bebten der Todten Gebeine, da bebte
Bis zur Zinne der Tempel. Das war ein Bote des Sturmwinds.
Und der Sturmwind erhub ſich, und brauſt in den Cedern, die Cedern
Stuͤrzten dahin! er brauſt auf der ſtolzen Jeruſalem Thuͤrme,
Und
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="36">
              <l>
                <pb facs="#f0109" n="83"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Schwerte &#x017F;inken, indem &#x017F;ie &#x017F;inken, dem Tode noch la&#x0364;cheln.</l><lb/>
              <l>Eure Mutter &#x017F;egnet euch zu! Jhr &#x017F;eyd die erkohrnen</l><lb/>
              <l>Ho&#x0364;hern Zeugen des gro&#x0364;ßten der Todten! Der &#x017F;inkenden Wange</l><lb/>
              <l>Bla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, der brechende Blick &#x017F;trahlt himmli&#x017F;ch heru&#x0364;ber! Sie &#x017F;chimmern</l><lb/>
              <l>Eure Wunden! Jhr ro&#x0364;chelt, Ma&#x0364;rtyrer, Lieder der Wonne!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="37">
              <l>Aber der Gottmen&#x017F;ch erhub &#x017F;ein Aug, und &#x017F;ahe die Seelen.</l><lb/>
              <l>Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmli&#x017F;chen Wange</l><lb/>
              <l>Eine Thra&#x0364;ne des ewigen Lebens. Denn Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus</l><lb/>
              <l>Schaute mit einem Blicke der gottver&#x017F;o&#x0364;nenden Liebe,</l><lb/>
              <l>Jener, mit welcher er, bis zum Tod am Kreuze, izt liebte,</l><lb/>
              <l>Zu den Seelen empor. Die Seelen &#x017F;chauerten Wonne.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="38">
              <l>Noch kam auf des Sterbenden Wange die Farbe des Lebens</l><lb/>
              <l>Schnell wie Winke zuru&#x0364;ck; ge&#x017F;chwinder, als Winke zu fliehen.</l><lb/>
              <l>Aber izt kam &#x017F;ie nicht mehr. Die todesvollere Wange</l><lb/>
              <l>Senkte &#x017F;ich &#x017F;ichtbar! Sein Haupt, vom Weltgerichte bela&#x017F;tet,</l><lb/>
              <l>Hing zum Herzen. Er hubs arbeitend empor gen Himmel,</l><lb/>
              <l>Aber es &#x017F;ank zum Herzen zuru&#x0364;ck. Der hangende Himmel</l><lb/>
              <l>Wo&#x0364;lbt &#x017F;ich um Golgatha, wie um Verwe&#x017F;ungen Todtengewo&#x0364;lbe,</l><lb/>
              <l>Graunvoll, fu&#x0364;rchterlich, &#x017F;tumm! Der Wolken na&#x0364;chtlich&#x017F;te &#x017F;chwebte</l><lb/>
              <l>Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke</l><lb/>
              <l>Feyrliche Todes&#x017F;tille, die &#x017F;elb&#x017F;t die Un&#x017F;terblichen &#x017F;chrekte.</l><lb/>
              <l>Ein Gedanke, &#x017F;o war &#x017F;ie nicht mehr! Von iedem gelindern</l><lb/>
              <l>Schall unangeku&#x0364;ndigt, zerriß ein Geto&#x0364;&#x017F;e, das auf&#x017F;tieg,</l><lb/>
              <l>Laut die Erde, da bebten der Todten Gebeine, da bebte</l><lb/>
              <l>Bis zur Zinne der Tempel. Das war ein Bote des Sturmwinds.</l><lb/>
              <l>Und der Sturmwind erhub &#x017F;ich, und brau&#x017F;t in den Cedern, die Cedern</l><lb/>
              <l>Stu&#x0364;rzten dahin! er brau&#x017F;t auf der &#x017F;tolzen Jeru&#x017F;alem Thu&#x0364;rme,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0109] Achter Geſang. Schwerte ſinken, indem ſie ſinken, dem Tode noch laͤcheln. Eure Mutter ſegnet euch zu! Jhr ſeyd die erkohrnen Hoͤhern Zeugen des groͤßten der Todten! Der ſinkenden Wange Blaͤſſe, der brechende Blick ſtrahlt himmliſch heruͤber! Sie ſchimmern Eure Wunden! Jhr roͤchelt, Maͤrtyrer, Lieder der Wonne! Aber der Gottmenſch erhub ſein Aug, und ſahe die Seelen. Mit dem Blicke zerrann auf jedes Himmliſchen Wange Eine Thraͤne des ewigen Lebens. Denn Jeſus Chriſtus Schaute mit einem Blicke der gottverſoͤnenden Liebe, Jener, mit welcher er, bis zum Tod am Kreuze, izt liebte, Zu den Seelen empor. Die Seelen ſchauerten Wonne. Noch kam auf des Sterbenden Wange die Farbe des Lebens Schnell wie Winke zuruͤck; geſchwinder, als Winke zu fliehen. Aber izt kam ſie nicht mehr. Die todesvollere Wange Senkte ſich ſichtbar! Sein Haupt, vom Weltgerichte belaſtet, Hing zum Herzen. Er hubs arbeitend empor gen Himmel, Aber es ſank zum Herzen zuruͤck. Der hangende Himmel Woͤlbt ſich um Golgatha, wie um Verweſungen Todtengewoͤlbe, Graunvoll, fuͤrchterlich, ſtumm! Der Wolken naͤchtlichſte ſchwebte Ueber dem Kreuz, hing weitverbreitet herab, an der Wolke Feyrliche Todesſtille, die ſelbſt die Unſterblichen ſchrekte. Ein Gedanke, ſo war ſie nicht mehr! Von iedem gelindern Schall unangekuͤndigt, zerriß ein Getoͤſe, das aufſtieg, Laut die Erde, da bebten der Todten Gebeine, da bebte Bis zur Zinne der Tempel. Das war ein Bote des Sturmwinds. Und der Sturmwind erhub ſich, und brauſt in den Cedern, die Cedern Stuͤrzten dahin! er brauſt auf der ſtolzen Jeruſalem Thuͤrme, Und F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/109
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/109>, abgerufen am 26.04.2024.