Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ich hab' jetzt Alles vergessen, was du uns angethan hast. Die Babe besonders, die kann dich nicht aus dem Sinn bringen, und es vergeht fast kein Tag, wo sie nicht deiner gedenkt. Die Babe, die gute Babe! rief Anezka und rang verzweiflungsvoll die Hände. Schlagt mich nur gleich todt, Herr Josseph, es geht so nichts Gutes an mir verloren. Närrisches Kind, sagte Josseph theilnehmend, du weißt vielleicht gar nicht, was du gethan hast. Warst ja immer ein so gutes Mädchen, und in unserer Familie bist du ja wie das Kind im Hause gehalten worden. Josseph ahnte nicht, daß gerade diese linden, sanften Worte wie Gifttropfen in die Seele dieses armen Geschöpfes fielen. Schweigt, schweigt, rief sie, sonst thu' ich mir vor Euren Augen ein Leides an. Ich bin's ja nicht werth, daß ein Mensch zu mir sagt: pack dich, du Schelmin. Wenn nur Einer käme und schlüg' mir die Hacke vor den Kopf, daß ich nicht mehr zu leben brauchte! Unwillkürlich mußte Josseph an die "Wirthschafterin" des Pfarrers denken, die Stepan Parzik zu dem verruchten Entschlusse, das Heiligenbild zu verschänden, getrieben hatte. Die Frage stand schon auf seinen Lippen, als Anezka schluchzend wieder begann: Es wäre schon Alles beim Alten geblieben, und ich hätt' meine gute Babe nimmer und nimmer ver- Ich hab' jetzt Alles vergessen, was du uns angethan hast. Die Babe besonders, die kann dich nicht aus dem Sinn bringen, und es vergeht fast kein Tag, wo sie nicht deiner gedenkt. Die Babe, die gute Babe! rief Anezka und rang verzweiflungsvoll die Hände. Schlagt mich nur gleich todt, Herr Josseph, es geht so nichts Gutes an mir verloren. Närrisches Kind, sagte Josseph theilnehmend, du weißt vielleicht gar nicht, was du gethan hast. Warst ja immer ein so gutes Mädchen, und in unserer Familie bist du ja wie das Kind im Hause gehalten worden. Josseph ahnte nicht, daß gerade diese linden, sanften Worte wie Gifttropfen in die Seele dieses armen Geschöpfes fielen. Schweigt, schweigt, rief sie, sonst thu' ich mir vor Euren Augen ein Leides an. Ich bin's ja nicht werth, daß ein Mensch zu mir sagt: pack dich, du Schelmin. Wenn nur Einer käme und schlüg' mir die Hacke vor den Kopf, daß ich nicht mehr zu leben brauchte! Unwillkürlich mußte Josseph an die „Wirthschafterin“ des Pfarrers denken, die Stepan Parzik zu dem verruchten Entschlusse, das Heiligenbild zu verschänden, getrieben hatte. Die Frage stand schon auf seinen Lippen, als Anezka schluchzend wieder begann: Es wäre schon Alles beim Alten geblieben, und ich hätt' meine gute Babe nimmer und nimmer ver- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <p><pb facs="#f0155"/> Ich hab' jetzt Alles vergessen, was du uns angethan hast. Die Babe besonders, die kann dich nicht aus dem Sinn bringen, und es vergeht fast kein Tag, wo sie nicht deiner gedenkt.</p><lb/> <p>Die Babe, die gute Babe! rief Anezka und rang verzweiflungsvoll die Hände. Schlagt mich nur gleich todt, Herr Josseph, es geht so nichts Gutes an mir verloren.</p><lb/> <p>Närrisches Kind, sagte Josseph theilnehmend, du weißt vielleicht gar nicht, was du gethan hast. Warst ja immer ein so gutes Mädchen, und in unserer Familie bist du ja wie das Kind im Hause gehalten worden.</p><lb/> <p>Josseph ahnte nicht, daß gerade diese linden, sanften Worte wie Gifttropfen in die Seele dieses armen Geschöpfes fielen.</p><lb/> <p>Schweigt, schweigt, rief sie, sonst thu' ich mir vor Euren Augen ein Leides an. Ich bin's ja nicht werth, daß ein Mensch zu mir sagt: pack dich, du Schelmin. Wenn nur Einer käme und schlüg' mir die Hacke vor den Kopf, daß ich nicht mehr zu leben brauchte!</p><lb/> <p>Unwillkürlich mußte Josseph an die „Wirthschafterin“ des Pfarrers denken, die Stepan Parzik zu dem verruchten Entschlusse, das Heiligenbild zu verschänden, getrieben hatte. Die Frage stand schon auf seinen Lippen, als Anezka schluchzend wieder begann:</p><lb/> <p>Es wäre schon Alles beim Alten geblieben, und ich hätt' meine gute Babe nimmer und nimmer ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Ich hab' jetzt Alles vergessen, was du uns angethan hast. Die Babe besonders, die kann dich nicht aus dem Sinn bringen, und es vergeht fast kein Tag, wo sie nicht deiner gedenkt.
Die Babe, die gute Babe! rief Anezka und rang verzweiflungsvoll die Hände. Schlagt mich nur gleich todt, Herr Josseph, es geht so nichts Gutes an mir verloren.
Närrisches Kind, sagte Josseph theilnehmend, du weißt vielleicht gar nicht, was du gethan hast. Warst ja immer ein so gutes Mädchen, und in unserer Familie bist du ja wie das Kind im Hause gehalten worden.
Josseph ahnte nicht, daß gerade diese linden, sanften Worte wie Gifttropfen in die Seele dieses armen Geschöpfes fielen.
Schweigt, schweigt, rief sie, sonst thu' ich mir vor Euren Augen ein Leides an. Ich bin's ja nicht werth, daß ein Mensch zu mir sagt: pack dich, du Schelmin. Wenn nur Einer käme und schlüg' mir die Hacke vor den Kopf, daß ich nicht mehr zu leben brauchte!
Unwillkürlich mußte Josseph an die „Wirthschafterin“ des Pfarrers denken, die Stepan Parzik zu dem verruchten Entschlusse, das Heiligenbild zu verschänden, getrieben hatte. Die Frage stand schon auf seinen Lippen, als Anezka schluchzend wieder begann:
Es wäre schon Alles beim Alten geblieben, und ich hätt' meine gute Babe nimmer und nimmer ver-
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/155>, abgerufen am 16.06.2024. |