Leckermäuler unter meinen Freunden haben gestanden, nie etwas ähnliches getrunken zu haben.
Das Frühstück, sagt man sprichwörtlich, sey für Freunde,die Mittagstafel gehört der Etiket- te, das Vesperbrod der Kindheit, und das Abendessen -- der Liebe! denn seine Stunde grenzt an die Schäferstunde. Der Lärm des Tages ist ver- hallt, die Geschäfte sind abgethan, die Ruhe ladet ein, die Wachskerzen verbreiten ein sanftes Licht, die Wei- ber sind dann am liebenswürdigsten, denn die Stunde ihrer unumschränkten Herrschaft naht heran, da- her auch Manche sich ganz von der Sonne geschieden haben. Wohl dem, der zu allen Tageszeiten einem guten Weibe angehören darf! doch wen auch der lästige Broderwerb am Tage in das gemeine Lebensgewühl schleu- dert, der suche wenigstens Abends am runden Tische Er- holung zwischen einer muntern und einer zärtlichen Nach- barin. Auch die Musen sind dem Abendessen hold. Mit dem springenden Kork aus der Champagnerbouteille wird auch der Witz entfesselt, Bonmots steigen wie Raketen von allen Seiten auf; Jederman hat Geist und theilt ihn mit, hätt' er ihn auch erst am Morgen desselben Tages gesammelt.
So war es wenigstens vormals in Paris. So gieng es zu bei jenen berühmten Soupers, wo Höflin- ge, Städter und Gelehrte sich vereinigten, wo Gleich- heit herrschte und ein hoher Rang sich nur durch fei- nern Geschmack, durch ungezwungenere Grazie auszeich- nen durfte; wo der ächte Weltton die Eigenliebe jedes Gastes zart zu schonen lehrte; wo die Schönheit des Tages und der Dichter in der Mode mit dem allmäch-
Leckermaͤuler unter meinen Freunden haben gestanden, nie etwas aͤhnliches getrunken zu haben.
Das Fruͤhstuͤck, sagt man sprichwoͤrtlich, sey fuͤr Freunde,die Mittagstafel gehoͤrt der Etiket- te, das Vesperbrod der Kindheit, und das Abendessen — der Liebe! denn seine Stunde grenzt an die Schaͤferstunde. Der Laͤrm des Tages ist ver- hallt, die Geschaͤfte sind abgethan, die Ruhe ladet ein, die Wachskerzen verbreiten ein sanftes Licht, die Wei- ber sind dann am liebenswuͤrdigsten, denn die Stunde ihrer unumschraͤnkten Herrschaft naht heran, da- her auch Manche sich ganz von der Sonne geschieden haben. Wohl dem, der zu allen Tageszeiten einem guten Weibe angehoͤren darf! doch wen auch der laͤstige Broderwerb am Tage in das gemeine Lebensgewuͤhl schleu- dert, der suche wenigstens Abends am runden Tische Er- holung zwischen einer muntern und einer zaͤrtlichen Nach- barin. Auch die Musen sind dem Abendessen hold. Mit dem springenden Kork aus der Champagnerbouteille wird auch der Witz entfesselt, Bonmots steigen wie Raketen von allen Seiten auf; Jederman hat Geist und theilt ihn mit, haͤtt' er ihn auch erst am Morgen desselben Tages gesammelt.
So war es wenigstens vormals in Paris. So gieng es zu bei jenen beruͤhmten Soupers, wo Hoͤflin- ge, Staͤdter und Gelehrte sich vereinigten, wo Gleich- heit herrschte und ein hoher Rang sich nur durch fei- nern Geschmack, durch ungezwungenere Grazie auszeich- nen durfte; wo der aͤchte Weltton die Eigenliebe jedes Gastes zart zu schonen lehrte; wo die Schoͤnheit des Tages und der Dichter in der Mode mit dem allmaͤch-
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Leckermaͤuler unter meinen Freunden haben gestanden,
nie etwas aͤhnliches getrunken zu haben.
Das Fruͤhstuͤck, sagt man sprichwoͤrtlich, sey fuͤr
Freunde,die Mittagstafel gehoͤrt der Etiket-
te, das Vesperbrod der Kindheit, und das
Abendessen — der Liebe! denn seine Stunde
grenzt
an die Schaͤferstunde. Der Laͤrm des Tages ist ver-
hallt, die Geschaͤfte sind abgethan, die Ruhe ladet ein,
die Wachskerzen verbreiten ein sanftes Licht, die Wei-
ber sind dann am liebenswuͤrdigsten, denn die Stunde
ihrer unumschraͤnkten Herrschaft naht heran, da-
her auch Manche sich ganz von der Sonne geschieden
haben. Wohl dem, der zu allen Tageszeiten einem
guten Weibe angehoͤren darf! doch wen auch der laͤstige
Broderwerb am Tage in das gemeine Lebensgewuͤhl schleu-
dert, der suche wenigstens Abends am runden Tische Er-
holung zwischen einer muntern und einer zaͤrtlichen Nach-
barin. Auch die Musen sind dem Abendessen hold. Mit
dem springenden Kork aus der Champagnerbouteille wird
auch der Witz entfesselt, Bonmots steigen wie Raketen
von allen Seiten auf; Jederman hat Geist und theilt
ihn mit, haͤtt' er ihn auch erst am Morgen desselben
Tages gesammelt.
So war es wenigstens vormals in Paris. So
gieng es zu bei jenen beruͤhmten Soupers, wo Hoͤflin-
ge, Staͤdter und Gelehrte sich vereinigten, wo Gleich-
heit herrschte und ein hoher Rang sich nur durch fei-
nern Geschmack, durch ungezwungenere Grazie auszeich-
nen durfte; wo der aͤchte Weltton die Eigenliebe jedes
Gastes zart zu schonen lehrte; wo die Schoͤnheit des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/167>, abgerufen am 18.06.2024.
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