Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite
Die
Straßen von Paris,
in
vier Briefen an eine Dame geschildert.
Erster Brief.

Liebe Freundinn! das Sprichwort: "sage mir, mit wem
"Du umgehst, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch
"Du bist," möchte wohl mancher Ausnahme unterworfen
seyn, denn nur sehr unabhängige Menschen können ihren
Umgang sich nach Belieben wählen. Jch möchte dagegen
ein anderes Sprichwort vorschlagen, und ihm das Bür-
gerrecht verschaffen: "sage mir, wie es in deiner Wohn-
"stube aussieht, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch
"Du bist." -- Auch hier würden Ausnahmen zuweilen
die Regel Lügen strafen; aber im Allgemeinen fordere ich
jeden Leser auf, unter seinen Bekannten umherzuschauen,
ob nicht die Physiognomie des Wohnzimmers gewöhnlich
der Physiognomie des Bewohners auf ein Haar gleiche? --
Sie fragen, wozu dieser Eingang? -- Meine Antwort
ist: wir sind jetzt in Paris; die Hauptstadt ist gleichsam
das Wohnzimmer einer Nation, und wenn es mir also
gelingt, Sie mit dem heutigen Paris ein wenig näher be-
kannt zu machen, so denke ich Jhnen auch die Nation zum
Theil geschildert zu haben.

Die
Straßen von Paris,
in
vier Briefen an eine Dame geschildert.
Erster Brief.

Liebe Freundinn! das Sprichwort: „sage mir, mit wem
„Du umgehst, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch
„Du bist,“ moͤchte wohl mancher Ausnahme unterworfen
seyn, denn nur sehr unabhaͤngige Menschen koͤnnen ihren
Umgang sich nach Belieben waͤhlen. Jch moͤchte dagegen
ein anderes Sprichwort vorschlagen, und ihm das Buͤr-
gerrecht verschaffen: „sage mir, wie es in deiner Wohn-
„stube aussieht, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch
„Du bist.“ — Auch hier wuͤrden Ausnahmen zuweilen
die Regel Luͤgen strafen; aber im Allgemeinen fordere ich
jeden Leser auf, unter seinen Bekannten umherzuschauen,
ob nicht die Physiognomie des Wohnzimmers gewoͤhnlich
der Physiognomie des Bewohners auf ein Haar gleiche? —
Sie fragen, wozu dieser Eingang? — Meine Antwort
ist: wir sind jetzt in Paris; die Hauptstadt ist gleichsam
das Wohnzimmer einer Nation, und wenn es mir also
gelingt, Sie mit dem heutigen Paris ein wenig naͤher be-
kannt zu machen, so denke ich Jhnen auch die Nation zum
Theil geschildert zu haben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0051" n="47"/>
      <div n="1">
        <head>Die<lb/>
Straßen von Paris,<lb/>
in<lb/>
vier Briefen an eine Dame geschildert.</head><lb/>
        <div n="2">
          <head>Erster Brief.</head><lb/>
          <p>Liebe Freundinn! das Sprichwort: &#x201E;sage mir, mit wem<lb/>
&#x201E;Du umgehst, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch<lb/>
&#x201E;Du bist,&#x201C; mo&#x0364;chte wohl mancher Ausnahme unterworfen<lb/>
seyn, denn nur sehr unabha&#x0364;ngige Menschen ko&#x0364;nnen ihren<lb/>
Umgang sich nach Belieben wa&#x0364;hlen. Jch mo&#x0364;chte dagegen<lb/>
ein anderes Sprichwort vorschlagen, und ihm das Bu&#x0364;r-<lb/>
gerrecht verschaffen: &#x201E;sage mir, wie es in deiner Wohn-<lb/>
&#x201E;stube aussieht, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch<lb/>
&#x201E;Du bist.&#x201C; &#x2014; Auch hier wu&#x0364;rden Ausnahmen zuweilen<lb/>
die Regel Lu&#x0364;gen strafen; aber im Allgemeinen fordere ich<lb/>
jeden Leser auf, unter seinen Bekannten umherzuschauen,<lb/>
ob nicht die Physiognomie des Wohnzimmers gewo&#x0364;hnlich<lb/>
der Physiognomie des Bewohners auf ein Haar gleiche? &#x2014;<lb/>
Sie fragen, wozu dieser Eingang? &#x2014; Meine Antwort<lb/>
ist: wir sind jetzt in Paris; die Hauptstadt ist gleichsam<lb/>
das Wohnzimmer einer Nation, und wenn es mir also<lb/>
gelingt, Sie mit dem heutigen Paris ein wenig na&#x0364;her be-<lb/>
kannt zu machen, so denke ich Jhnen auch die Nation zum<lb/>
Theil geschildert zu haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0051] Die Straßen von Paris, in vier Briefen an eine Dame geschildert. Erster Brief. Liebe Freundinn! das Sprichwort: „sage mir, mit wem „Du umgehst, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch „Du bist,“ moͤchte wohl mancher Ausnahme unterworfen seyn, denn nur sehr unabhaͤngige Menschen koͤnnen ihren Umgang sich nach Belieben waͤhlen. Jch moͤchte dagegen ein anderes Sprichwort vorschlagen, und ihm das Buͤr- gerrecht verschaffen: „sage mir, wie es in deiner Wohn- „stube aussieht, und ich will Dir sagen, welch ein Mensch „Du bist.“ — Auch hier wuͤrden Ausnahmen zuweilen die Regel Luͤgen strafen; aber im Allgemeinen fordere ich jeden Leser auf, unter seinen Bekannten umherzuschauen, ob nicht die Physiognomie des Wohnzimmers gewoͤhnlich der Physiognomie des Bewohners auf ein Haar gleiche? — Sie fragen, wozu dieser Eingang? — Meine Antwort ist: wir sind jetzt in Paris; die Hauptstadt ist gleichsam das Wohnzimmer einer Nation, und wenn es mir also gelingt, Sie mit dem heutigen Paris ein wenig naͤher be- kannt zu machen, so denke ich Jhnen auch die Nation zum Theil geschildert zu haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/51
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/51>, abgerufen am 30.04.2024.