Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite
Laune zu erheucheln, die einst mir so eigen war.
Ach! da schlägt der Anblick dieses Kindes mich tief,
tief zu Boden. -- Als die Gräfin den Namen Wil-
helm
nannte -- ach! sie wußte nicht, daß sie mir
einen glühenden Dolch durchs Herz stieß. -- Ich
habe auch einen Wilhelm! Er muß jetzt so groß
seyn, als dieser, wenn er noch lebt -- ja, wenn
er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine
Amalia nicht schon lange vor Gottes Richterstuhl
Wehe! über mich schreyen! -- Warum quälst du
mich, marternde Phantasie? warum kreischest du
mir ihr hülfloses Wimmern in die Ohren? war-
um mahlst du mir die armen Kleinen, kämpfend
gegen Masern- und Blatterngift, lechzend mit dür-
rer Zunge nach einem Trunck, den die Hand eines
Miethlings ihnen darreicht -- vielleicht auch ver-
sagt. -- Denn ach! Sie sind ja verlassen von ih-
rer unnatürlichen Mutter. --
(bitterlich weinend) O
ich bin ein elendes, verworfenes Geschöpf! Und
daß eben heute dieß ganze schreckliche Gefühl in
mir rege werden mußte! eben heute, da mein Ge-
sicht einer Larve so bedürftig war!

Laune zu erheucheln, die einſt mir ſo eigen war.
Ach! da ſchlaͤgt der Anblick dieſes Kindes mich tief,
tief zu Boden. — Als die Graͤfin den Namen Wil-
helm
nannte — ach! ſie wußte nicht, daß ſie mir
einen gluͤhenden Dolch durchs Herz ſtieß. — Ich
habe auch einen Wilhelm! Er muß jetzt ſo groß
ſeyn, als dieſer, wenn er noch lebt — ja, wenn
er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine
Amalia nicht ſchon lange vor Gottes Richterſtuhl
Wehe! uͤber mich ſchreyen! — Warum quaͤlſt du
mich, marternde Phantaſie? warum kreiſcheſt du
mir ihr huͤlfloſes Wimmern in die Ohren? war-
um mahlſt du mir die armen Kleinen, kaͤmpfend
gegen Maſern- und Blatterngift, lechzend mit duͤr-
rer Zunge nach einem Trunck, den die Hand eines
Miethlings ihnen darreicht — vielleicht auch ver-
ſagt. — Denn ach! Sie ſind ja verlaſſen von ih-
rer unnatuͤrlichen Mutter. —
(bitterlich weinend) O
ich bin ein elendes, verworfenes Geſchoͤpf! Und
daß eben heute dieß ganze ſchreckliche Gefuͤhl in
mir rege werden mußte! eben heute, da mein Ge-
ſicht einer Larve ſo beduͤrftig war!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#EUL">
              <p><pb facs="#f0067" n="59"/>
Laune zu <hi rendition="#g">erheucheln</hi>, die ein&#x017F;t mir &#x017F;o eigen war.<lb/>
Ach! da &#x017F;chla&#x0364;gt der Anblick die&#x017F;es Kindes mich tief,<lb/>
tief zu Boden. &#x2014; Als die Gra&#x0364;fin den Namen <hi rendition="#g">Wil-<lb/>
helm</hi> nannte &#x2014; ach! &#x017F;ie wußte nicht, daß &#x017F;ie mir<lb/>
einen glu&#x0364;henden Dolch durchs Herz &#x017F;tieß. &#x2014; Ich<lb/>
habe auch einen Wilhelm! Er muß jetzt &#x017F;o groß<lb/>
&#x017F;eyn, als die&#x017F;er, wenn er noch lebt &#x2014; ja, wenn<lb/>
er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine<lb/>
Amalia nicht &#x017F;chon lange vor Gottes Richter&#x017F;tuhl<lb/>
Wehe! u&#x0364;ber mich &#x017F;chreyen! &#x2014; Warum qua&#x0364;l&#x017F;t du<lb/>
mich, marternde Phanta&#x017F;ie? warum krei&#x017F;che&#x017F;t du<lb/>
mir ihr hu&#x0364;lflo&#x017F;es Wimmern in die Ohren? war-<lb/>
um mahl&#x017F;t du mir die armen Kleinen, ka&#x0364;mpfend<lb/>
gegen Ma&#x017F;ern- und Blatterngift, lechzend mit du&#x0364;r-<lb/>
rer Zunge nach einem Trunck, den die Hand eines<lb/>
Miethlings ihnen darreicht &#x2014; vielleicht auch ver-<lb/>
&#x017F;agt. &#x2014; Denn ach! Sie &#x017F;ind ja verla&#x017F;&#x017F;en von ih-<lb/>
rer unnatu&#x0364;rlichen Mutter. &#x2014;</p>
              <stage>(bitterlich weinend)</stage>
              <p>O<lb/>
ich bin ein elendes, verworfenes Ge&#x017F;cho&#x0364;pf! Und<lb/>
daß eben heute dieß ganze &#x017F;chreckliche Gefu&#x0364;hl in<lb/>
mir rege werden mußte! eben heute, da mein Ge-<lb/>
&#x017F;icht einer Larve &#x017F;o bedu&#x0364;rftig war!</p>
            </sp>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0067] Laune zu erheucheln, die einſt mir ſo eigen war. Ach! da ſchlaͤgt der Anblick dieſes Kindes mich tief, tief zu Boden. — Als die Graͤfin den Namen Wil- helm nannte — ach! ſie wußte nicht, daß ſie mir einen gluͤhenden Dolch durchs Herz ſtieß. — Ich habe auch einen Wilhelm! Er muß jetzt ſo groß ſeyn, als dieſer, wenn er noch lebt — ja, wenn er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine Amalia nicht ſchon lange vor Gottes Richterſtuhl Wehe! uͤber mich ſchreyen! — Warum quaͤlſt du mich, marternde Phantaſie? warum kreiſcheſt du mir ihr huͤlfloſes Wimmern in die Ohren? war- um mahlſt du mir die armen Kleinen, kaͤmpfend gegen Maſern- und Blatterngift, lechzend mit duͤr- rer Zunge nach einem Trunck, den die Hand eines Miethlings ihnen darreicht — vielleicht auch ver- ſagt. — Denn ach! Sie ſind ja verlaſſen von ih- rer unnatuͤrlichen Mutter. — (bitterlich weinend) O ich bin ein elendes, verworfenes Geſchoͤpf! Und daß eben heute dieß ganze ſchreckliche Gefuͤhl in mir rege werden mußte! eben heute, da mein Ge- ſicht einer Larve ſo beduͤrftig war!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/67
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/67>, abgerufen am 26.04.2024.