Man könnte versucht sein, die anscheinende Regellosigkeit im Ausfalle der Beobachtungen auf zufällige Einflüsse zurückzuführen und damit auf eine Erklärung derselben überhaupt zu verzichten. Gegen eine solche Auffassung spricht indessen einmal die Uebereinstimmung der Additionsversuche untereinander und mit der erstgeschilderten Verlaufsart. Das Sinken der Leistung sofort nach dem Genusse des Alkohols und ebenso das rasche Wiederansteigen nach meist 30 Mi- nuten ist eine so typische und von den Normalversuchen abweichende Erscheinung, dass über ihre toxische Entstehung kein gegründeter Zweifel mehr möglich ist.
Ebensowenig aber kann die in einigen Versuchen hervortretende anfängliche Beschleunigung der Arbeit als etwas Zufälliges betrachtet werden. Diese Verkürzung der Lernzeit findet sich überall nur im Beginne des Versuches, und sie ist offenbar eine ganz flüchtige Erschei- nung, die weit schneller in ihr Gegentheil umschlägt, als die vorhin besprochene Verlangsamung. Der Versuch Da. spricht nicht dagegen. Bei Da. nahm wegen seiner geringen Ermüdbarkeit normalerweise die Leistungsfähigkeit bis zum Schlusse zu, und diesen wach- senden Uebungseinfluss hat auch der Alkohol, der Anfangs vielleicht in gleichem, später nach Ausweis der übrigen Erfahrungen wahr- scheinlich im entgegengesetzten Sinne wirkte, nicht verwischen können, obgleich sich Andeutungen beider Richtungen der Alkoholwirkung allenfalls aus den Zahlen würden herauslesen lassen. Bei K., der sonst Da. nahe steht, sehen wir ebenfalls, wie nach der anfänglichen Beschleunigung und der darauf folgenden Verlangsamung der Arbeits- leistung schliesslich auch diese letztere sich wieder ausgleicht und nun die Lerngeschwindigkeit noch immer höher bleibt, als während der Normalzeit. Denselben typischen Verlauf beobachten wir bei He. I; nur beginnt hier in der letzten Viertelstunde doch die physiologische Ermüdung über den Uebungseinfluss zu überwiegen, nachdem die po- sitive und negative Alkoholschwankung bereits abgelaufen ist. Ein weiteres einschneidendes Argument für die Auffassung der anfäng- lichen Arbeitsbeschleunigung ist für mich persönlich das ungemein deut- liche subjective Gefühl der Erleichterung beim Lernen im ersten Stadium der Alkoholwirkung. Diese Beobachtung ist mir um so überzeugender, als sie mir völlig unerwartet kam, da ich beim Addiren gerade das Gegentheil empfunden hatte. Sofort nach Beendigung des ersten Alkoholversuches, bevor die Zahlen berechnet waren, gab ich meiner lebhaften Ueberraschung über diese Wahrnehmung Ausdruck, die mir von De. und He. damals bestätigt wurde. Ich hatte mit Be-
Man könnte versucht sein, die anscheinende Regellosigkeit im Ausfalle der Beobachtungen auf zufällige Einflüsse zurückzuführen und damit auf eine Erklärung derselben überhaupt zu verzichten. Gegen eine solche Auffassung spricht indessen einmal die Uebereinstimmung der Additionsversuche untereinander und mit der erstgeschilderten Verlaufsart. Das Sinken der Leistung sofort nach dem Genusse des Alkohols und ebenso das rasche Wiederansteigen nach meist 30 Mi- nuten ist eine so typische und von den Normalversuchen abweichende Erscheinung, dass über ihre toxische Entstehung kein gegründeter Zweifel mehr möglich ist.
Ebensowenig aber kann die in einigen Versuchen hervortretende anfängliche Beschleunigung der Arbeit als etwas Zufälliges betrachtet werden. Diese Verkürzung der Lernzeit findet sich überall nur im Beginne des Versuches, und sie ist offenbar eine ganz flüchtige Erschei- nung, die weit schneller in ihr Gegentheil umschlägt, als die vorhin besprochene Verlangsamung. Der Versuch Da. spricht nicht dagegen. Bei Da. nahm wegen seiner geringen Ermüdbarkeit normalerweise die Leistungsfähigkeit bis zum Schlusse zu, und diesen wach- senden Uebungseinfluss hat auch der Alkohol, der Anfangs vielleicht in gleichem, später nach Ausweis der übrigen Erfahrungen wahr- scheinlich im entgegengesetzten Sinne wirkte, nicht verwischen können, obgleich sich Andeutungen beider Richtungen der Alkoholwirkung allenfalls aus den Zahlen würden herauslesen lassen. Bei K., der sonst Da. nahe steht, sehen wir ebenfalls, wie nach der anfänglichen Beschleunigung und der darauf folgenden Verlangsamung der Arbeits- leistung schliesslich auch diese letztere sich wieder ausgleicht und nun die Lerngeschwindigkeit noch immer höher bleibt, als während der Normalzeit. Denselben typischen Verlauf beobachten wir bei He. I; nur beginnt hier in der letzten Viertelstunde doch die physiologische Ermüdung über den Uebungseinfluss zu überwiegen, nachdem die po- sitive und negative Alkoholschwankung bereits abgelaufen ist. Ein weiteres einschneidendes Argument für die Auffassung der anfäng- lichen Arbeitsbeschleunigung ist für mich persönlich das ungemein deut- liche subjective Gefühl der Erleichterung beim Lernen im ersten Stadium der Alkoholwirkung. Diese Beobachtung ist mir um so überzeugender, als sie mir völlig unerwartet kam, da ich beim Addiren gerade das Gegentheil empfunden hatte. Sofort nach Beendigung des ersten Alkoholversuches, bevor die Zahlen berechnet waren, gab ich meiner lebhaften Ueberraschung über diese Wahrnehmung Ausdruck, die mir von De. und He. damals bestätigt wurde. Ich hatte mit Be-
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Man könnte versucht sein, die anscheinende Regellosigkeit im
Ausfalle der Beobachtungen auf zufällige Einflüsse zurückzuführen und
damit auf eine Erklärung derselben überhaupt zu verzichten. Gegen
eine solche Auffassung spricht indessen einmal die Uebereinstimmung
der Additionsversuche untereinander und mit der erstgeschilderten
Verlaufsart. Das Sinken der Leistung sofort nach dem Genusse des
Alkohols und ebenso das rasche Wiederansteigen nach meist 30 Mi-
nuten ist eine so typische und von den Normalversuchen abweichende
Erscheinung, dass über ihre toxische Entstehung kein gegründeter
Zweifel mehr möglich ist.
Ebensowenig aber kann die in einigen Versuchen hervortretende
anfängliche Beschleunigung der Arbeit als etwas Zufälliges betrachtet
werden. Diese Verkürzung der Lernzeit findet sich überall nur im
Beginne des Versuches, und sie ist offenbar eine ganz flüchtige Erschei-
nung, die weit schneller in ihr Gegentheil umschlägt, als die vorhin
besprochene Verlangsamung. Der Versuch Da. spricht nicht dagegen.
Bei Da. nahm wegen seiner geringen Ermüdbarkeit normalerweise
die Leistungsfähigkeit bis zum Schlusse zu, und diesen wach-
senden Uebungseinfluss hat auch der Alkohol, der Anfangs vielleicht
in gleichem, später nach Ausweis der übrigen Erfahrungen wahr-
scheinlich im entgegengesetzten Sinne wirkte, nicht verwischen können,
obgleich sich Andeutungen beider Richtungen der Alkoholwirkung
allenfalls aus den Zahlen würden herauslesen lassen. Bei K., der
sonst Da. nahe steht, sehen wir ebenfalls, wie nach der anfänglichen
Beschleunigung und der darauf folgenden Verlangsamung der Arbeits-
leistung schliesslich auch diese letztere sich wieder ausgleicht und nun
die Lerngeschwindigkeit noch immer höher bleibt, als während der
Normalzeit. Denselben typischen Verlauf beobachten wir bei He. I;
nur beginnt hier in der letzten Viertelstunde doch die physiologische
Ermüdung über den Uebungseinfluss zu überwiegen, nachdem die po-
sitive und negative Alkoholschwankung bereits abgelaufen ist. Ein
weiteres einschneidendes Argument für die Auffassung der anfäng-
lichen Arbeitsbeschleunigung ist für mich persönlich das ungemein deut-
liche subjective Gefühl der Erleichterung beim Lernen im
ersten Stadium der Alkoholwirkung. Diese Beobachtung ist mir um so
überzeugender, als sie mir völlig unerwartet kam, da ich beim Addiren
gerade das Gegentheil empfunden hatte. Sofort nach Beendigung des
ersten Alkoholversuches, bevor die Zahlen berechnet waren, gab ich
meiner lebhaften Ueberraschung über diese Wahrnehmung Ausdruck,
die mir von De. und He. damals bestätigt wurde. Ich hatte mit Be-
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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/93>, abgerufen am 04.05.2024.
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