meinem Entkommen überall verfolgt, und mein Weib einsperrt, das ist auch eine Art Krieg. Sag' Jeder von euch, was er thät', wenn er so 'nausgestoßen wär' wie ein wild's Thier. Man kann doch nicht immer Rüben fressen, und im Winter wachsen nicht einmal Rüben. Und wenn er auch gar nichts nähm' als eure Rüben, so thätet ihr doch auch sagen, es sei gestohlen.
Seine Worte hatten, wenigstens vorübergehend, einen unverkenn¬ baren Eindruck gemacht. Der Invalide fuhr, auf denselben bauend, fort: Es ist, wie wenn die Leut' ein bös Gewissen hätten, das sie an dem Menschen auslassen müßten. Er raubt nicht, er mordet nicht, und doch hat der Fleck' eine Angst vor ihm, daß es eine wahre Schand' ist. Noch eh' er jemand außer seinem Vater ein Stückle Brod genommen hat, ist ein Schreck von ihm ausgangen, und wenn's geheißen hat: der Sonnenwirthle kommt oder er ist da, so ist Alles auf und davon, wie man sich vor einem wüthenden Thier salvirt. Und der Nam' ist vor ihm hergangen wie ein schwarzer Schatten, und mich sollt's nicht wundern, wenn er dem Schatten endlich folgt und in seine Fu߬ stapfen tritt.
In was für Fußstapfen, fragte der Fischer, ist er denn gangen, wie er beim Pfarrer einbrochen ist, und hat ihm den Kelch sammt den Hostien gestohlen?
Für selbiges Stückle hätt' ich ihm das Fell recht brav vergerben mögen, sagte der Invalide, und dennoch hat sich's anders damit ver¬ halten als man's nennt. Ich frag' jeden, der das Ding mit seinen fünf Sinnen ansieht, ob etwas Abgefeimt's dran ist, wie man's dafür ausgeben hat. Der Pfarrer verweigert ihm die Copulation, weil er sie nicht zahlen kann. Darüber kann jeder andächtige, in Jesu Christo geliebte Zuhörer, wie man uns von der Kanzel anredet, denken wie er will; ich find' in der Bibel nichts davon, daß das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit bloß gegen Bezahlung zu haben sei und anders nicht; aber, wie gesagt, das geht mich nichts an, das kann jeder mit sich selbst ausmachen. Der Bub' drauf -- denn ein Bub' ist er ge¬ wesen, wie Mancher sonst, der im dreiundzwanzigsten Jahr heirathet, ebenmäßig ein Bub' ist und erst von seinem Weib gezogen wird -- der Bub', sag' ich, bricht in der nächsten Nacht dem Pfarrer ein, ohne allen Schlachtplan, rafft zusammen was er erwischt, natürlich Kleinig¬
meinem Entkommen überall verfolgt, und mein Weib einſperrt, das iſt auch eine Art Krieg. Sag' Jeder von euch, was er thät', wenn er ſo 'nausgeſtoßen wär' wie ein wild's Thier. Man kann doch nicht immer Rüben freſſen, und im Winter wachſen nicht einmal Rüben. Und wenn er auch gar nichts nähm' als eure Rüben, ſo thätet ihr doch auch ſagen, es ſei geſtohlen.
Seine Worte hatten, wenigſtens vorübergehend, einen unverkenn¬ baren Eindruck gemacht. Der Invalide fuhr, auf denſelben bauend, fort: Es iſt, wie wenn die Leut' ein bös Gewiſſen hätten, das ſie an dem Menſchen auslaſſen müßten. Er raubt nicht, er mordet nicht, und doch hat der Fleck' eine Angſt vor ihm, daß es eine wahre Schand' iſt. Noch eh' er jemand außer ſeinem Vater ein Stückle Brod genommen hat, iſt ein Schreck von ihm ausgangen, und wenn's geheißen hat: der Sonnenwirthle kommt oder er iſt da, ſo iſt Alles auf und davon, wie man ſich vor einem wüthenden Thier ſalvirt. Und der Nam' iſt vor ihm hergangen wie ein ſchwarzer Schatten, und mich ſollt's nicht wundern, wenn er dem Schatten endlich folgt und in ſeine Fu߬ ſtapfen tritt.
In was für Fußſtapfen, fragte der Fiſcher, iſt er denn gangen, wie er beim Pfarrer einbrochen iſt, und hat ihm den Kelch ſammt den Hoſtien geſtohlen?
Für ſelbiges Stückle hätt' ich ihm das Fell recht brav vergerben mögen, ſagte der Invalide, und dennoch hat ſich's anders damit ver¬ halten als man's nennt. Ich frag' jeden, der das Ding mit ſeinen fünf Sinnen anſieht, ob etwas Abgefeimt's dran iſt, wie man's dafür ausgeben hat. Der Pfarrer verweigert ihm die Copulation, weil er ſie nicht zahlen kann. Darüber kann jeder andächtige, in Jeſu Chriſto geliebte Zuhörer, wie man uns von der Kanzel anredet, denken wie er will; ich find' in der Bibel nichts davon, daß das Reich Gottes und ſeine Gerechtigkeit bloß gegen Bezahlung zu haben ſei und anders nicht; aber, wie geſagt, das geht mich nichts an, das kann jeder mit ſich ſelbſt ausmachen. Der Bub' drauf — denn ein Bub' iſt er ge¬ weſen, wie Mancher ſonſt, der im dreiundzwanzigſten Jahr heirathet, ebenmäßig ein Bub' iſt und erſt von ſeinem Weib gezogen wird — der Bub', ſag' ich, bricht in der nächſten Nacht dem Pfarrer ein, ohne allen Schlachtplan, rafft zuſammen was er erwiſcht, natürlich Kleinig¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0361"n="345"/>
meinem Entkommen überall verfolgt, und mein Weib einſperrt, das<lb/>
iſt auch eine Art Krieg. Sag' Jeder von euch, was er thät', wenn<lb/>
er ſo 'nausgeſtoßen wär' wie ein wild's Thier. Man kann doch nicht<lb/>
immer Rüben freſſen, und im Winter wachſen nicht einmal Rüben.<lb/>
Und wenn er auch gar nichts nähm' als eure Rüben, ſo thätet ihr<lb/>
doch auch ſagen, es ſei geſtohlen.</p><lb/><p>Seine Worte hatten, wenigſtens vorübergehend, einen unverkenn¬<lb/>
baren Eindruck gemacht. Der Invalide fuhr, auf denſelben bauend,<lb/>
fort: Es iſt, wie wenn die Leut' ein bös Gewiſſen hätten, das ſie an<lb/>
dem Menſchen auslaſſen müßten. Er raubt nicht, er mordet nicht,<lb/>
und doch hat der Fleck' eine Angſt vor ihm, daß es eine wahre Schand' iſt.<lb/>
Noch eh' er jemand außer ſeinem Vater ein Stückle Brod genommen hat,<lb/>
iſt ein Schreck von ihm ausgangen, und wenn's geheißen hat: der<lb/>
Sonnenwirthle kommt oder er iſt da, ſo iſt Alles auf und davon, wie<lb/>
man ſich vor einem wüthenden Thier ſalvirt. Und der Nam' iſt vor<lb/>
ihm hergangen wie ein ſchwarzer Schatten, und mich ſollt's nicht<lb/>
wundern, wenn er dem Schatten endlich folgt und in ſeine Fu߬<lb/>ſtapfen tritt.</p><lb/><p>In was für Fußſtapfen, fragte der Fiſcher, iſt er denn gangen,<lb/>
wie er beim Pfarrer einbrochen iſt, und hat ihm den Kelch ſammt<lb/>
den Hoſtien geſtohlen?</p><lb/><p>Für ſelbiges Stückle hätt' ich ihm das Fell recht brav vergerben<lb/>
mögen, ſagte der Invalide, und dennoch hat ſich's anders damit ver¬<lb/>
halten als man's nennt. Ich frag' jeden, der das Ding mit ſeinen<lb/>
fünf Sinnen anſieht, ob etwas Abgefeimt's dran iſt, wie man's dafür<lb/>
ausgeben hat. Der Pfarrer verweigert ihm die Copulation, weil er ſie<lb/>
nicht zahlen kann. <hirendition="#g">Darüber</hi> kann jeder andächtige, in Jeſu Chriſto<lb/>
geliebte Zuhörer, wie man uns von der Kanzel anredet, denken wie<lb/>
er will; ich find' in der Bibel nichts davon, daß das Reich Gottes<lb/>
und ſeine Gerechtigkeit bloß gegen Bezahlung zu haben ſei und anders<lb/>
nicht; aber, wie geſagt, das geht mich nichts an, das kann jeder mit<lb/>ſich ſelbſt ausmachen. Der Bub' drauf — denn ein Bub' iſt er ge¬<lb/>
weſen, wie Mancher ſonſt, der im dreiundzwanzigſten Jahr heirathet,<lb/>
ebenmäßig ein Bub' iſt und erſt von ſeinem Weib gezogen wird —<lb/>
der Bub', ſag' ich, bricht in der nächſten Nacht dem Pfarrer ein, ohne<lb/>
allen Schlachtplan, rafft zuſammen was er erwiſcht, natürlich Kleinig¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[345/0361]
meinem Entkommen überall verfolgt, und mein Weib einſperrt, das
iſt auch eine Art Krieg. Sag' Jeder von euch, was er thät', wenn
er ſo 'nausgeſtoßen wär' wie ein wild's Thier. Man kann doch nicht
immer Rüben freſſen, und im Winter wachſen nicht einmal Rüben.
Und wenn er auch gar nichts nähm' als eure Rüben, ſo thätet ihr
doch auch ſagen, es ſei geſtohlen.
Seine Worte hatten, wenigſtens vorübergehend, einen unverkenn¬
baren Eindruck gemacht. Der Invalide fuhr, auf denſelben bauend,
fort: Es iſt, wie wenn die Leut' ein bös Gewiſſen hätten, das ſie an
dem Menſchen auslaſſen müßten. Er raubt nicht, er mordet nicht,
und doch hat der Fleck' eine Angſt vor ihm, daß es eine wahre Schand' iſt.
Noch eh' er jemand außer ſeinem Vater ein Stückle Brod genommen hat,
iſt ein Schreck von ihm ausgangen, und wenn's geheißen hat: der
Sonnenwirthle kommt oder er iſt da, ſo iſt Alles auf und davon, wie
man ſich vor einem wüthenden Thier ſalvirt. Und der Nam' iſt vor
ihm hergangen wie ein ſchwarzer Schatten, und mich ſollt's nicht
wundern, wenn er dem Schatten endlich folgt und in ſeine Fu߬
ſtapfen tritt.
In was für Fußſtapfen, fragte der Fiſcher, iſt er denn gangen,
wie er beim Pfarrer einbrochen iſt, und hat ihm den Kelch ſammt
den Hoſtien geſtohlen?
Für ſelbiges Stückle hätt' ich ihm das Fell recht brav vergerben
mögen, ſagte der Invalide, und dennoch hat ſich's anders damit ver¬
halten als man's nennt. Ich frag' jeden, der das Ding mit ſeinen
fünf Sinnen anſieht, ob etwas Abgefeimt's dran iſt, wie man's dafür
ausgeben hat. Der Pfarrer verweigert ihm die Copulation, weil er ſie
nicht zahlen kann. Darüber kann jeder andächtige, in Jeſu Chriſto
geliebte Zuhörer, wie man uns von der Kanzel anredet, denken wie
er will; ich find' in der Bibel nichts davon, daß das Reich Gottes
und ſeine Gerechtigkeit bloß gegen Bezahlung zu haben ſei und anders
nicht; aber, wie geſagt, das geht mich nichts an, das kann jeder mit
ſich ſelbſt ausmachen. Der Bub' drauf — denn ein Bub' iſt er ge¬
weſen, wie Mancher ſonſt, der im dreiundzwanzigſten Jahr heirathet,
ebenmäßig ein Bub' iſt und erſt von ſeinem Weib gezogen wird —
der Bub', ſag' ich, bricht in der nächſten Nacht dem Pfarrer ein, ohne
allen Schlachtplan, rafft zuſammen was er erwiſcht, natürlich Kleinig¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/361>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.