Welt nicht in die Hände fallen. Schweig' still! ich kann nicht mit dir gehen. Die Unsrigen speien deinen Namen an, jede ehrliche Seele zwischen dem Rhein und der Donau verflucht dich, dein Name wird der sprichwörtliche Name eines Verräthers werden --
Auf einen Wink des Oberamtmanns, der indessen aus dem Rath¬ hause getreten war, rißen sie die Henker herum.
Sie wehrte sich. Ist denn kein Pardon da? rief sie.
Der Oberamtmann gab keine Antwort. Nein! rief ein Henker.
Wer hat denn nun Recht? rief sie. Der Eine sagt so, der Andere anders. Ihr Auge bohrte in die Menge hinein, ob dort nicht be¬ freundete Hände bereit seien, sie zu retten. Ist denn kein katholischer Christ da? rief sie unter das Volk. Wenn Einer da ist, so gebe er mir doch ein Zeichen.
Niemand gab ein Zeichen. Sie sank halb zusammen und die braune Farbe ihres Gesichts wurde immer gelber. Noch einmal raffte sie sich empor, um mit der Wuth einer Tigerin, die ihre Freiheit und ihr Leben nicht freiwillig hergibt, eine Kraftanstrengung zu machen.
Fort! befahl der Oberamtmann, während man ihm sein Pferd vorführte, hinter welchem die städtischen Richter in ihren schwarzen Mänteln, vom Zwange ihrer Amtswürde befreit, geschwind vorüber¬ schlüpften, um auf dem Hauptschauplatze vor der Stadt noch zu rech¬ ter Zeit den ihnen vorbehaltenen Standort einzunehmen.
Die Henker griffen kräftig zu und eröffneten den Zug mit ihr. Sie warf noch einen Blick auf ihren Todesgefährten und wurde mehr geschleppt und getragen als davongeführt.
Bitterer Kelch, geh' vorüber! sagte er, in den Boden starrend.
Frieder! rief eine sanfte Stimme neben ihm.
Er blickte auf und sah die blonde Christine, die den Zug beschließen sollte.
Die ganze Liebe seiner Jugend wallte in seinem Herzen auf. Meine Christine! rief er: hast du mir auch gewiß verziehen?
Von ganzem Herzen und von ganzer Seel', antwortete sie, und ich hoff gewiß, daß wir einmal in einer schöneren Welt wieder zu¬ sammenkommen, wo uns nichts mehr trennen wird. Sag' mir auch noch einmal, daß du mir verzeihst.
Soll ich dir verzeihen, daß du mich lieb gehabt hast? Was hab'
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Welt nicht in die Hände fallen. Schweig' ſtill! ich kann nicht mit dir gehen. Die Unſrigen ſpeien deinen Namen an, jede ehrliche Seele zwiſchen dem Rhein und der Donau verflucht dich, dein Name wird der ſprichwörtliche Name eines Verräthers werden —
Auf einen Wink des Oberamtmanns, der indeſſen aus dem Rath¬ hauſe getreten war, rißen ſie die Henker herum.
Sie wehrte ſich. Iſt denn kein Pardon da? rief ſie.
Der Oberamtmann gab keine Antwort. Nein! rief ein Henker.
Wer hat denn nun Recht? rief ſie. Der Eine ſagt ſo, der Andere anders. Ihr Auge bohrte in die Menge hinein, ob dort nicht be¬ freundete Hände bereit ſeien, ſie zu retten. Iſt denn kein katholiſcher Chriſt da? rief ſie unter das Volk. Wenn Einer da iſt, ſo gebe er mir doch ein Zeichen.
Niemand gab ein Zeichen. Sie ſank halb zuſammen und die braune Farbe ihres Geſichts wurde immer gelber. Noch einmal raffte ſie ſich empor, um mit der Wuth einer Tigerin, die ihre Freiheit und ihr Leben nicht freiwillig hergibt, eine Kraftanſtrengung zu machen.
Fort! befahl der Oberamtmann, während man ihm ſein Pferd vorführte, hinter welchem die ſtädtiſchen Richter in ihren ſchwarzen Mänteln, vom Zwange ihrer Amtswürde befreit, geſchwind vorüber¬ ſchlüpften, um auf dem Hauptſchauplatze vor der Stadt noch zu rech¬ ter Zeit den ihnen vorbehaltenen Standort einzunehmen.
Die Henker griffen kräftig zu und eröffneten den Zug mit ihr. Sie warf noch einen Blick auf ihren Todesgefährten und wurde mehr geſchleppt und getragen als davongeführt.
Bitterer Kelch, geh' vorüber! ſagte er, in den Boden ſtarrend.
Frieder! rief eine ſanfte Stimme neben ihm.
Er blickte auf und ſah die blonde Chriſtine, die den Zug beſchließen ſollte.
Die ganze Liebe ſeiner Jugend wallte in ſeinem Herzen auf. Meine Chriſtine! rief er: haſt du mir auch gewiß verziehen?
Von ganzem Herzen und von ganzer Seel', antwortete ſie, und ich hoff gewiß, daß wir einmal in einer ſchöneren Welt wieder zu¬ ſammenkommen, wo uns nichts mehr trennen wird. Sag' mir auch noch einmal, daß du mir verzeihſt.
Soll ich dir verzeihen, daß du mich lieb gehabt haſt? Was hab'
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Welt nicht in die Hände fallen. Schweig' ſtill! ich kann nicht mit
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zwiſchen dem Rhein und der Donau verflucht dich, dein Name wird
der ſprichwörtliche Name eines Verräthers werden —
Auf einen Wink des Oberamtmanns, der indeſſen aus dem Rath¬
hauſe getreten war, rißen ſie die Henker herum.
Sie wehrte ſich. Iſt denn kein Pardon da? rief ſie.
Der Oberamtmann gab keine Antwort. Nein! rief ein Henker.
Wer hat denn nun Recht? rief ſie. Der Eine ſagt ſo, der Andere
anders. Ihr Auge bohrte in die Menge hinein, ob dort nicht be¬
freundete Hände bereit ſeien, ſie zu retten. Iſt denn kein katholiſcher
Chriſt da? rief ſie unter das Volk. Wenn Einer da iſt, ſo gebe er
mir doch ein Zeichen.
Niemand gab ein Zeichen. Sie ſank halb zuſammen und die
braune Farbe ihres Geſichts wurde immer gelber. Noch einmal raffte
ſie ſich empor, um mit der Wuth einer Tigerin, die ihre Freiheit und
ihr Leben nicht freiwillig hergibt, eine Kraftanſtrengung zu machen.
Fort! befahl der Oberamtmann, während man ihm ſein Pferd
vorführte, hinter welchem die ſtädtiſchen Richter in ihren ſchwarzen
Mänteln, vom Zwange ihrer Amtswürde befreit, geſchwind vorüber¬
ſchlüpften, um auf dem Hauptſchauplatze vor der Stadt noch zu rech¬
ter Zeit den ihnen vorbehaltenen Standort einzunehmen.
Die Henker griffen kräftig zu und eröffneten den Zug mit ihr.
Sie warf noch einen Blick auf ihren Todesgefährten und wurde mehr
geſchleppt und getragen als davongeführt.
Bitterer Kelch, geh' vorüber! ſagte er, in den Boden ſtarrend.
Frieder! rief eine ſanfte Stimme neben ihm.
Er blickte auf und ſah die blonde Chriſtine, die den Zug beſchließen
ſollte.
Die ganze Liebe ſeiner Jugend wallte in ſeinem Herzen auf.
Meine Chriſtine! rief er: haſt du mir auch gewiß verziehen?
Von ganzem Herzen und von ganzer Seel', antwortete ſie, und
ich hoff gewiß, daß wir einmal in einer ſchöneren Welt wieder zu¬
ſammenkommen, wo uns nichts mehr trennen wird. Sag' mir auch
noch einmal, daß du mir verzeihſt.
Soll ich dir verzeihen, daß du mich lieb gehabt haſt? Was hab'
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/521>, abgerufen am 15.06.2024.
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