"Jch komme mit leeren Händen," sagte Pythagoras achselzuckend bei seiner Rückkehr. "Es giebt ja sicherlich Weise genug, aber ich habe kein Glück bei meinen Er- kundigungen gehabt. Jch fragte zuerst einen Staats- minister, wen er für den Weisesten halte. Denn ich glaubte natürlich, daß diejenigen, welche die Geschicke der Völker lenken, auch am besten über den Sitz der Weisheit würden unterrichtet sein."
"Lieber Freund," sagte der Würdenträger zu mir, "Weisheit ist eine schöne Sache, wenn man sie selbst hat; aber das Wort besitzt einen verdächtigen, theoretischen Beigeschmack; es giebt sogenannte weise Leute, deren Weisheit darin besteht, daß sie alles besser wissen und am besten verstehen wollen, und eben diese kann ich Jhnen nicht empfehlen. Jch bin ein praktischer Staats- mann, meine Aufgabe besteht darin, Gutes zu wirken durch Einsicht in die Verhältnisse und kluge Benützung der Menschen, und das kann ich natürlich nur, so lange ich meine Macht behaupte. Darin beruht meine Weisheit. Wollte ich Jhnen sagen, wen ich für weiser hielte, so würde ich selbst aufhören, weise zu sein. Und damit Gott befohlen! Übrigens," rief er mir noch nach, "wenn Sie unter einem Weisen einen Kerl verstehen, der die Weisheit still für sich hinein mit Löffeln gegessen hat, so müssen Sie zu den Gelehrten gehen."
Obgleich dies nun meine Ansicht von einem Weisen nicht ist, ging ich doch zu den Gelehrten, und zwar zu einem Philosophen; denn wer sich selbst einen Liebhaber
Laßwitz, Seifenblasen. 9
Muſen und Weiſe.
„Jch komme mit leeren Händen,“ ſagte Pythagoras achſelzuckend bei ſeiner Rückkehr. „Es giebt ja ſicherlich Weiſe genug, aber ich habe kein Glück bei meinen Er- kundigungen gehabt. Jch fragte zuerſt einen Staats- miniſter, wen er für den Weiſeſten halte. Denn ich glaubte natürlich, daß diejenigen, welche die Geſchicke der Völker lenken, auch am beſten über den Sitz der Weisheit würden unterrichtet ſein.“
„Lieber Freund,“ ſagte der Würdenträger zu mir, „Weisheit iſt eine ſchöne Sache, wenn man ſie ſelbſt hat; aber das Wort beſitzt einen verdächtigen, theoretiſchen Beigeſchmack; es giebt ſogenannte weiſe Leute, deren Weisheit darin beſteht, daß ſie alles beſſer wiſſen und am beſten verſtehen wollen, und eben dieſe kann ich Jhnen nicht empfehlen. Jch bin ein praktiſcher Staats- mann, meine Aufgabe beſteht darin, Gutes zu wirken durch Einſicht in die Verhältniſſe und kluge Benützung der Menſchen, und das kann ich natürlich nur, ſo lange ich meine Macht behaupte. Darin beruht meine Weisheit. Wollte ich Jhnen ſagen, wen ich für weiſer hielte, ſo würde ich ſelbſt aufhören, weiſe zu ſein. Und damit Gott befohlen! Übrigens,“ rief er mir noch nach, „wenn Sie unter einem Weiſen einen Kerl verſtehen, der die Weisheit ſtill für ſich hinein mit Löffeln gegeſſen hat, ſo müſſen Sie zu den Gelehrten gehen.“
Obgleich dies nun meine Anſicht von einem Weiſen nicht iſt, ging ich doch zu den Gelehrten, und zwar zu einem Philoſophen; denn wer ſich ſelbſt einen Liebhaber
Laßwitz, Seifenblaſen. 9
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Muſen und Weiſe.
„Jch komme mit leeren Händen,“ ſagte Pythagoras
achſelzuckend bei ſeiner Rückkehr. „Es giebt ja ſicherlich
Weiſe genug, aber ich habe kein Glück bei meinen Er-
kundigungen gehabt. Jch fragte zuerſt einen Staats-
miniſter, wen er für den Weiſeſten halte. Denn ich
glaubte natürlich, daß diejenigen, welche die Geſchicke
der Völker lenken, auch am beſten über den Sitz der
Weisheit würden unterrichtet ſein.“
„Lieber Freund,“ ſagte der Würdenträger zu mir,
„Weisheit iſt eine ſchöne Sache, wenn man ſie ſelbſt
hat; aber das Wort beſitzt einen verdächtigen, theoretiſchen
Beigeſchmack; es giebt ſogenannte weiſe Leute, deren
Weisheit darin beſteht, daß ſie alles beſſer wiſſen und
am beſten verſtehen wollen, und eben dieſe kann ich
Jhnen nicht empfehlen. Jch bin ein praktiſcher Staats-
mann, meine Aufgabe beſteht darin, Gutes zu wirken
durch Einſicht in die Verhältniſſe und kluge Benützung
der Menſchen, und das kann ich natürlich nur, ſo lange
ich meine Macht behaupte. Darin beruht meine
Weisheit. Wollte ich Jhnen ſagen, wen ich für weiſer
hielte, ſo würde ich ſelbſt aufhören, weiſe zu ſein.
Und damit Gott befohlen! Übrigens,“ rief er
mir noch nach, „wenn Sie unter einem Weiſen einen
Kerl verſtehen, der die Weisheit ſtill für ſich hinein mit
Löffeln gegeſſen hat, ſo müſſen Sie zu den Gelehrten
gehen.“
Obgleich dies nun meine Anſicht von einem Weiſen
nicht iſt, ging ich doch zu den Gelehrten, und zwar zu
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/135>, abgerufen am 18.06.2024.
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