Wo die Halde sich senkt am Bergeshang, rieselt ein Quell im feuchten Wiesengrund, ehe er sich schäumend in die dunkle Waldschlucht stürzt. An seinem Laufe zog der Morgennebel in die Höhe. Die weißen Streifen wehten über die hohen Gräser hin, zwischen denen der Quell sich verbarg. Mit ihren schlanken Ähren hatten sie die Nacht hindurch nach den Sternen am klaren Himmel geschaut, aber die Sterne hatten sich nicht gerührt, und so waren die Gräser kalt ge- worden, eisig kalt, und anders verdienten's die Sterne auch garnicht.
"Das ist die richtige Temperatur," sagte der Nebel, als er über die Halme strich. "Man muß sich konzen- trieren, ehe die Sonne kommt." Und da hing ein Tröpf- chen an jedem Halme.
Die Sonne kam und die Tröpfchen glänzten in bunten Farben, aber sie wurden immer kleiner, zuletzt waren sie völlig verschwunden, und sie wußten nichts von der ganzen Geschichte. Die andern Tropfen aber, die im Schatten hingen, meinten, es sei ihnen recht ge- schehen, und das hätten sie nun von der Sonne; aber
Laßwitz, Seifenblasen. 14
Tröpfchen.
Wo die Halde ſich ſenkt am Bergeshang, rieſelt ein Quell im feuchten Wieſengrund, ehe er ſich ſchäumend in die dunkle Waldſchlucht ſtürzt. An ſeinem Laufe zog der Morgennebel in die Höhe. Die weißen Streifen wehten über die hohen Gräſer hin, zwiſchen denen der Quell ſich verbarg. Mit ihren ſchlanken Ähren hatten ſie die Nacht hindurch nach den Sternen am klaren Himmel geſchaut, aber die Sterne hatten ſich nicht gerührt, und ſo waren die Gräſer kalt ge- worden, eiſig kalt, und anders verdienten’s die Sterne auch garnicht.
„Das iſt die richtige Temperatur,“ ſagte der Nebel, als er über die Halme ſtrich. „Man muß ſich konzen- trieren, ehe die Sonne kommt.“ Und da hing ein Tröpf- chen an jedem Halme.
Die Sonne kam und die Tröpfchen glänzten in bunten Farben, aber ſie wurden immer kleiner, zuletzt waren ſie völlig verſchwunden, und ſie wußten nichts von der ganzen Geſchichte. Die andern Tropfen aber, die im Schatten hingen, meinten, es ſei ihnen recht ge- ſchehen, und das hätten ſie nun von der Sonne; aber
Laßwitz, Seifenblaſen. 14
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[[209]/0215]
Tröpfchen.
Wo die Halde ſich ſenkt am Bergeshang, rieſelt ein
Quell im feuchten Wieſengrund, ehe er ſich
ſchäumend in die dunkle Waldſchlucht ſtürzt. An ſeinem
Laufe zog der Morgennebel in die Höhe. Die weißen
Streifen wehten über die hohen Gräſer hin, zwiſchen
denen der Quell ſich verbarg. Mit ihren ſchlanken
Ähren hatten ſie die Nacht hindurch nach den Sternen
am klaren Himmel geſchaut, aber die Sterne hatten
ſich nicht gerührt, und ſo waren die Gräſer kalt ge-
worden, eiſig kalt, und anders verdienten’s die Sterne
auch garnicht.
„Das iſt die richtige Temperatur,“ ſagte der Nebel,
als er über die Halme ſtrich. „Man muß ſich konzen-
trieren, ehe die Sonne kommt.“ Und da hing ein Tröpf-
chen an jedem Halme.
Die Sonne kam und die Tröpfchen glänzten in
bunten Farben, aber ſie wurden immer kleiner, zuletzt
waren ſie völlig verſchwunden, und ſie wußten nichts
von der ganzen Geſchichte. Die andern Tropfen aber,
die im Schatten hingen, meinten, es ſei ihnen recht ge-
ſchehen, und das hätten ſie nun von der Sonne; aber
Laßwitz, Seifenblaſen. 14
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. [209]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/215>, abgerufen am 17.06.2024.
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