"Jch habe mich also geirrt," sagte Farnkraut zu Tröpfchen, "es waren gar keine Menschen." Und es nahm sich vor, nie wieder etwas zu sagen, bevor sich der Stein geäußert hätte.
"Dann möchte ich aber doch einmal die Menschen kennen lernen," rief Tröpfchen. "Jch will hinunter zu ihnen." Damit ließ es sich auf den Stein fallen und bat ihn um ein wenig Charakter.
"Den muß man sich selbst verschaffen," sagte der Kalkstein. "Nimm Dir von mir, soviel Du losbringst." Und Tröpfchen sog an dem Stein, aber es konnte nichts lösen.
"Es fehlt Dir an Bildung," mischte die Fichte sich ein. "Jch will Dir etwas Geistiges mitgeben. Könnte ich mit Dir wandern zu den Städten der Menschen und ihrer Weisheit lauschen! Wie glücklich müssen sie sein!"
Die Fichte rauschte mit ihren Ästen, die Luft strich über das Tröpfchen, und es saugte die Kohlensäure ein. Und da auf einmal konnte es den Kalk vom Steine nagen, und nun merkte es, daß es hartes Wasser geworden sei. "Das ist doch schon etwas," dachte es. "Bildung und Charakter habe ich, nun noch ein wenig Glück, und ich kann es mit den Menschen aufnehmen."
Eben wollte es in den Bach springen, um fortzu- eilen, als sich aus dem Walde Gesang vernehmen ließ. Ein einzelner Wanderer kam den Berg herab, rüstigen Schrittes. Auch er hielt an der Fichte an und blickte hinaus in die Sonnenlandschaft.
Einsam und still war's jetzt ringsum. Nur unten
Tröpfchen.
„Jch habe mich alſo geirrt,“ ſagte Farnkraut zu Tröpfchen, „es waren gar keine Menſchen.“ Und es nahm ſich vor, nie wieder etwas zu ſagen, bevor ſich der Stein geäußert hätte.
„Dann möchte ich aber doch einmal die Menſchen kennen lernen,“ rief Tröpfchen. „Jch will hinunter zu ihnen.“ Damit ließ es ſich auf den Stein fallen und bat ihn um ein wenig Charakter.
„Den muß man ſich ſelbſt verſchaffen,“ ſagte der Kalkſtein. „Nimm Dir von mir, ſoviel Du losbringſt.“ Und Tröpfchen ſog an dem Stein, aber es konnte nichts löſen.
„Es fehlt Dir an Bildung,“ miſchte die Fichte ſich ein. „Jch will Dir etwas Geiſtiges mitgeben. Könnte ich mit Dir wandern zu den Städten der Menſchen und ihrer Weisheit lauſchen! Wie glücklich müſſen ſie ſein!“
Die Fichte rauſchte mit ihren Äſten, die Luft ſtrich über das Tröpfchen, und es ſaugte die Kohlenſäure ein. Und da auf einmal konnte es den Kalk vom Steine nagen, und nun merkte es, daß es hartes Waſſer geworden ſei. „Das iſt doch ſchon etwas,“ dachte es. „Bildung und Charakter habe ich, nun noch ein wenig Glück, und ich kann es mit den Menſchen aufnehmen.“
Eben wollte es in den Bach ſpringen, um fortzu- eilen, als ſich aus dem Walde Geſang vernehmen ließ. Ein einzelner Wanderer kam den Berg herab, rüſtigen Schrittes. Auch er hielt an der Fichte an und blickte hinaus in die Sonnenlandſchaft.
Einſam und ſtill war’s jetzt ringsum. Nur unten
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Tröpfchen.
„Jch habe mich alſo geirrt,“ ſagte Farnkraut zu
Tröpfchen, „es waren gar keine Menſchen.“ Und es
nahm ſich vor, nie wieder etwas zu ſagen, bevor ſich
der Stein geäußert hätte.
„Dann möchte ich aber doch einmal die Menſchen
kennen lernen,“ rief Tröpfchen. „Jch will hinunter zu
ihnen.“ Damit ließ es ſich auf den Stein fallen und
bat ihn um ein wenig Charakter.
„Den muß man ſich ſelbſt verſchaffen,“ ſagte der
Kalkſtein. „Nimm Dir von mir, ſoviel Du losbringſt.“
Und Tröpfchen ſog an dem Stein, aber es konnte
nichts löſen.
„Es fehlt Dir an Bildung,“ miſchte die Fichte ſich
ein. „Jch will Dir etwas Geiſtiges mitgeben. Könnte
ich mit Dir wandern zu den Städten der Menſchen und
ihrer Weisheit lauſchen! Wie glücklich müſſen ſie ſein!“
Die Fichte rauſchte mit ihren Äſten, die Luft ſtrich über
das Tröpfchen, und es ſaugte die Kohlenſäure ein. Und
da auf einmal konnte es den Kalk vom Steine nagen,
und nun merkte es, daß es hartes Waſſer geworden
ſei. „Das iſt doch ſchon etwas,“ dachte es. „Bildung
und Charakter habe ich, nun noch ein wenig Glück, und
ich kann es mit den Menſchen aufnehmen.“
Eben wollte es in den Bach ſpringen, um fortzu-
eilen, als ſich aus dem Walde Geſang vernehmen ließ.
Ein einzelner Wanderer kam den Berg herab, rüſtigen
Schrittes. Auch er hielt an der Fichte an und blickte
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/223>, abgerufen am 17.06.2024.
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