Als das Lied zu Ende war, erhob er sich, setzte seinen Kneifer zurecht und sprach:
"Liebe Brüder, liebe junge Freunde! Eben auf einer Jnspektionstour begriffen, begegne ich euch auf euerem Katerbummel. Da muß ich euch doch auf ein paar Minuten guten Tag sagen, unter den deutschen Linden, im freien Lufthauch der Natur. Ja, frei, frei ist der Bursch! Aber nur der Doktrinarismus fabelt vom Zwange des Philisteriums. Wir, die wir im Ge- fühl festhalten den heiligen Pulsschlag der Natur, wir wissen, daß der gekappte Obstbaum die edleren Früchte trägt! Über dem niedergebeugten Grase erhebt sich stolz die blühende Linde. Die Natur ist aristokratisch! Unsere ledernen Sohlen treten das Gras der breiten Erde, aber die bunte Mütze heben wir in den weiten Äther. Das ist die Harmonie der Freiheit, wie das farbige Spektrum aus der Berührung von Licht und Regen seinen Bogen über das Firmament zieht. Auf seiner Brücke wandeln wir nach Walhall wie unsere Helden- väter. Auf das Alter folgt die Jugend, so soll es heißen! Es lebe die Jugend! Es lebe die Natur! Es lebe die Freiheit!"
Der Präside schmetterte mit seinem Schläger auf den Tisch.
"Silentium für einen Salamander auf unseren alten Herrn -- --"
"Die hätten wir," sagte eine Stimme unmittelbar neben Tröpfchen. "Argyroneta aquatica, da wird es nicht fehlen! Schönes Exemplar, samt dem Neste."
Tröpfchen.
Als das Lied zu Ende war, erhob er ſich, ſetzte ſeinen Kneifer zurecht und ſprach:
„Liebe Brüder, liebe junge Freunde! Eben auf einer Jnſpektionstour begriffen, begegne ich euch auf euerem Katerbummel. Da muß ich euch doch auf ein paar Minuten guten Tag ſagen, unter den deutſchen Linden, im freien Lufthauch der Natur. Ja, frei, frei iſt der Burſch! Aber nur der Doktrinarismus fabelt vom Zwange des Philiſteriums. Wir, die wir im Ge- fühl feſthalten den heiligen Pulsſchlag der Natur, wir wiſſen, daß der gekappte Obſtbaum die edleren Früchte trägt! Über dem niedergebeugten Graſe erhebt ſich ſtolz die blühende Linde. Die Natur iſt ariſtokratiſch! Unſere ledernen Sohlen treten das Gras der breiten Erde, aber die bunte Mütze heben wir in den weiten Äther. Das iſt die Harmonie der Freiheit, wie das farbige Spektrum aus der Berührung von Licht und Regen ſeinen Bogen über das Firmament zieht. Auf ſeiner Brücke wandeln wir nach Walhall wie unſere Helden- väter. Auf das Alter folgt die Jugend, ſo ſoll es heißen! Es lebe die Jugend! Es lebe die Natur! Es lebe die Freiheit!“
Der Präſide ſchmetterte mit ſeinem Schläger auf den Tiſch.
„Silentium für einen Salamander auf unſeren alten Herrn — —“
„Die hätten wir,“ ſagte eine Stimme unmittelbar neben Tröpfchen. „Argyroneta aquatica, da wird es nicht fehlen! Schönes Exemplar, ſamt dem Neſte.“
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Tröpfchen.
Als das Lied zu Ende war, erhob er ſich, ſetzte
ſeinen Kneifer zurecht und ſprach:
„Liebe Brüder, liebe junge Freunde! Eben auf
einer Jnſpektionstour begriffen, begegne ich euch auf
euerem Katerbummel. Da muß ich euch doch auf ein
paar Minuten guten Tag ſagen, unter den deutſchen
Linden, im freien Lufthauch der Natur. Ja, frei, frei
iſt der Burſch! Aber nur der Doktrinarismus fabelt
vom Zwange des Philiſteriums. Wir, die wir im Ge-
fühl feſthalten den heiligen Pulsſchlag der Natur, wir
wiſſen, daß der gekappte Obſtbaum die edleren Früchte
trägt! Über dem niedergebeugten Graſe erhebt ſich ſtolz
die blühende Linde. Die Natur iſt ariſtokratiſch! Unſere
ledernen Sohlen treten das Gras der breiten Erde,
aber die bunte Mütze heben wir in den weiten Äther.
Das iſt die Harmonie der Freiheit, wie das farbige
Spektrum aus der Berührung von Licht und Regen
ſeinen Bogen über das Firmament zieht. Auf ſeiner
Brücke wandeln wir nach Walhall wie unſere Helden-
väter. Auf das Alter folgt die Jugend, ſo ſoll es
heißen! Es lebe die Jugend! Es lebe die Natur! Es
lebe die Freiheit!“
Der Präſide ſchmetterte mit ſeinem Schläger auf den
Tiſch.
„Silentium für einen Salamander auf unſeren
alten Herrn — —“
„Die hätten wir,“ ſagte eine Stimme unmittelbar
neben Tröpfchen. „Argyroneta aquatica, da wird es
nicht fehlen! Schönes Exemplar, ſamt dem Neſte.“
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/232>, abgerufen am 17.06.2024.
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