nigen. Ein paar Bacillen weniger oder mehr, und ein Narr oder ein Philosoph steht vor Jhnen; ein lebhafterer Spaltungsprozeß, und aus dem Cretin wird ein Kant!
Meine Herren! Jn dem Schmarotzer eines Schma- rotzers einer Spinne lebt ein Organismus, von welchem tausend Millionen noch nicht ein Milligramm wiegen, und in ihm sehen Sie die Urform, ja den Herrn alles Lebens, nicht bloß alles Lebens, nein, aller Kultur! Als einfache Zellen sind die Bacillen Urform, aber da sie nicht assimilieren, sondern nur zersetzen, sind sie der ewige Gährstoff, der an unserm Leben nagt. Sie herrschen über uns unzugänglich und unverstanden wie Götter. Sie dringen in unser Blut und vernichten die bauende Arbeit unseres Leibes, sie dringen in unser Gehirn, und die Gedanken des Entdeckers blitzen auf. Und wieder mitten im siegreichen Schaffen des Genius zernagt das Bacillenheer unsere Lebenssäfte, und die Jdeale der Menschheit sinken in Nacht mit ihren Trägern. Doch was wollen wir? Was sind wir anders als eine Bacillenkolonie auf der Erde, Schma- rotzer am Leibe der Pflanzenwelt? Denn auch wir besitzen kein Chlorophyll, auch wir können nicht un- mittelbar die Elemente assimilieren. Der Bacillus ist unser Herr und unser Bruder. Jst er unser Vorbild, das Ziel, dem wir zustreben und das er schon erreicht hat, das Jdeal des Parasitentums, weil er einzellig für sich schmarotzt? Oder sind wir die höhere Stufe, weil unser Körper ein Zellenstaat parasitischen Charakters ist? Wer möchte das entscheiden, der nicht der Entwickelung des Welt-
Tröpfchen.
nigen. Ein paar Bacillen weniger oder mehr, und ein Narr oder ein Philoſoph ſteht vor Jhnen; ein lebhafterer Spaltungsprozeß, und aus dem Cretin wird ein Kant!
Meine Herren! Jn dem Schmarotzer eines Schma- rotzers einer Spinne lebt ein Organismus, von welchem tauſend Millionen noch nicht ein Milligramm wiegen, und in ihm ſehen Sie die Urform, ja den Herrn alles Lebens, nicht bloß alles Lebens, nein, aller Kultur! Als einfache Zellen ſind die Bacillen Urform, aber da ſie nicht aſſimilieren, ſondern nur zerſetzen, ſind ſie der ewige Gährſtoff, der an unſerm Leben nagt. Sie herrſchen über uns unzugänglich und unverſtanden wie Götter. Sie dringen in unſer Blut und vernichten die bauende Arbeit unſeres Leibes, ſie dringen in unſer Gehirn, und die Gedanken des Entdeckers blitzen auf. Und wieder mitten im ſiegreichen Schaffen des Genius zernagt das Bacillenheer unſere Lebensſäfte, und die Jdeale der Menſchheit ſinken in Nacht mit ihren Trägern. Doch was wollen wir? Was ſind wir anders als eine Bacillenkolonie auf der Erde, Schma- rotzer am Leibe der Pflanzenwelt? Denn auch wir beſitzen kein Chlorophyll, auch wir können nicht un- mittelbar die Elemente aſſimilieren. Der Bacillus iſt unſer Herr und unſer Bruder. Jſt er unſer Vorbild, das Ziel, dem wir zuſtreben und das er ſchon erreicht hat, das Jdeal des Paraſitentums, weil er einzellig für ſich ſchmarotzt? Oder ſind wir die höhere Stufe, weil unſer Körper ein Zellenſtaat paraſitiſchen Charakters iſt? Wer möchte das entſcheiden, der nicht der Entwickelung des Welt-
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Tröpfchen.
nigen. Ein paar Bacillen weniger oder mehr, und ein
Narr oder ein Philoſoph ſteht vor Jhnen; ein lebhafterer
Spaltungsprozeß, und aus dem Cretin wird ein Kant!
Meine Herren! Jn dem Schmarotzer eines Schma-
rotzers einer Spinne lebt ein Organismus, von welchem
tauſend Millionen noch nicht ein Milligramm wiegen,
und in ihm ſehen Sie die Urform, ja den Herrn alles
Lebens, nicht bloß alles Lebens, nein, aller Kultur!
Als einfache Zellen ſind die Bacillen Urform, aber da
ſie nicht aſſimilieren, ſondern nur zerſetzen, ſind ſie der
ewige Gährſtoff, der an unſerm Leben nagt. Sie
herrſchen über uns unzugänglich und unverſtanden wie
Götter. Sie dringen in unſer Blut und vernichten die
bauende Arbeit unſeres Leibes, ſie dringen in unſer
Gehirn, und die Gedanken des Entdeckers blitzen auf.
Und wieder mitten im ſiegreichen Schaffen des Genius
zernagt das Bacillenheer unſere Lebensſäfte, und die
Jdeale der Menſchheit ſinken in Nacht mit ihren
Trägern. Doch was wollen wir? Was ſind wir
anders als eine Bacillenkolonie auf der Erde, Schma-
rotzer am Leibe der Pflanzenwelt? Denn auch wir
beſitzen kein Chlorophyll, auch wir können nicht un-
mittelbar die Elemente aſſimilieren. Der Bacillus iſt unſer
Herr und unſer Bruder. Jſt er unſer Vorbild, das Ziel,
dem wir zuſtreben und das er ſchon erreicht hat, das Jdeal
des Paraſitentums, weil er einzellig für ſich ſchmarotzt?
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/241>, abgerufen am 17.06.2024.
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