Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

sinke; nach längerer Zeit werde ich in moralischem
Bewußtsein ganz in diesen Kerker gehören. Wir
sind nichts selbst, wir sind halb oder ganz unsere
Verhältnisse. Jch rufe mir's jetzt zurück, was es
mir damals für verwundende Eindrücke gab, wenn
Abends um zehn Uhr an die Thür geklopft und
bemerkt wurde, das Licht sei auszulöschen; jetzt fällt
es mir nicht mehr auf, wenn die Wache schreit
"Licht aus!"; in jenem ersten Jnterimsgefängnisse
saßen Vagabonden und solch leichtes Gesindel in
meiner Nähe, was sich durch leichtsinnige, rohe
Aeusserungen, durch gemeinen Spektakel oft auf-
fällig machte, zuweilen wurde des Abends ein Be-
soffener oder solch ein Straßenheld eingebracht, er
tobte wie ein Thier, und ich hörte wohl, daß man
hier im abgelegenen Korridor nicht eben zart zum
Eintritt nöthigte, nun fluchte der Kerl die halbe
Nacht und wüthete gegen die Thür, bis er zusam-
menfiel -- ja, damals kam ich mir sehr entwür-
digt vor, jetzt hielt ich es bereits für eine Abwech-
selung, eine Erholung gegen dies todte, bleierne
Einerlei, was mich umgiebt, was nur zuweilen
vom Rasseln jener Kette unterbrochen wird. Da-

ſinke; nach längerer Zeit werde ich in moraliſchem
Bewußtſein ganz in dieſen Kerker gehören. Wir
ſind nichts ſelbſt, wir ſind halb oder ganz unſere
Verhältniſſe. Jch rufe mir’s jetzt zurück, was es
mir damals für verwundende Eindrücke gab, wenn
Abends um zehn Uhr an die Thür geklopft und
bemerkt wurde, das Licht ſei auszulöſchen; jetzt fällt
es mir nicht mehr auf, wenn die Wache ſchreit
„Licht aus!“; in jenem erſten Jnterimsgefängniſſe
ſaßen Vagabonden und ſolch leichtes Geſindel in
meiner Nähe, was ſich durch leichtſinnige, rohe
Aeuſſerungen, durch gemeinen Spektakel oft auf-
fällig machte, zuweilen wurde des Abends ein Be-
ſoffener oder ſolch ein Straßenheld eingebracht, er
tobte wie ein Thier, und ich hörte wohl, daß man
hier im abgelegenen Korridor nicht eben zart zum
Eintritt nöthigte, nun fluchte der Kerl die halbe
Nacht und wüthete gegen die Thür, bis er zuſam-
menfiel — ja, damals kam ich mir ſehr entwür-
digt vor, jetzt hielt ich es bereits für eine Abwech-
ſelung, eine Erholung gegen dies todte, bleierne
Einerlei, was mich umgiebt, was nur zuweilen
vom Raſſeln jener Kette unterbrochen wird. Da-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="82"/>
&#x017F;inke; nach längerer Zeit werde ich in morali&#x017F;chem<lb/>
Bewußt&#x017F;ein ganz in die&#x017F;en Kerker gehören. Wir<lb/>
&#x017F;ind nichts &#x017F;elb&#x017F;t, wir &#x017F;ind halb oder ganz un&#x017F;ere<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e. Jch rufe mir&#x2019;s jetzt zurück, was es<lb/>
mir damals für verwundende Eindrücke gab, wenn<lb/>
Abends um zehn Uhr an die Thür geklopft und<lb/>
bemerkt wurde, das Licht &#x017F;ei auszulö&#x017F;chen; jetzt fällt<lb/>
es mir nicht mehr auf, wenn die Wache &#x017F;chreit<lb/>
&#x201E;Licht aus!&#x201C;; in jenem er&#x017F;ten Jnterimsgefängni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;aßen Vagabonden und &#x017F;olch leichtes Ge&#x017F;indel in<lb/>
meiner Nähe, was &#x017F;ich durch leicht&#x017F;innige, rohe<lb/>
Aeu&#x017F;&#x017F;erungen, durch gemeinen Spektakel oft auf-<lb/>
fällig machte, zuweilen wurde des Abends ein Be-<lb/>
&#x017F;offener oder &#x017F;olch ein Straßenheld eingebracht, er<lb/>
tobte wie ein Thier, und ich hörte wohl, daß man<lb/>
hier im abgelegenen Korridor nicht eben zart zum<lb/>
Eintritt nöthigte, nun fluchte der Kerl die halbe<lb/>
Nacht und wüthete gegen die Thür, bis er zu&#x017F;am-<lb/>
menfiel &#x2014; ja, damals kam ich mir &#x017F;ehr entwür-<lb/>
digt vor, jetzt hielt ich es bereits für eine Abwech-<lb/>
&#x017F;elung, eine Erholung gegen dies todte, bleierne<lb/>
Einerlei, was mich umgiebt, was nur zuweilen<lb/>
vom Ra&#x017F;&#x017F;eln jener Kette unterbrochen wird. Da-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0090] ſinke; nach längerer Zeit werde ich in moraliſchem Bewußtſein ganz in dieſen Kerker gehören. Wir ſind nichts ſelbſt, wir ſind halb oder ganz unſere Verhältniſſe. Jch rufe mir’s jetzt zurück, was es mir damals für verwundende Eindrücke gab, wenn Abends um zehn Uhr an die Thür geklopft und bemerkt wurde, das Licht ſei auszulöſchen; jetzt fällt es mir nicht mehr auf, wenn die Wache ſchreit „Licht aus!“; in jenem erſten Jnterimsgefängniſſe ſaßen Vagabonden und ſolch leichtes Geſindel in meiner Nähe, was ſich durch leichtſinnige, rohe Aeuſſerungen, durch gemeinen Spektakel oft auf- fällig machte, zuweilen wurde des Abends ein Be- ſoffener oder ſolch ein Straßenheld eingebracht, er tobte wie ein Thier, und ich hörte wohl, daß man hier im abgelegenen Korridor nicht eben zart zum Eintritt nöthigte, nun fluchte der Kerl die halbe Nacht und wüthete gegen die Thür, bis er zuſam- menfiel — ja, damals kam ich mir ſehr entwür- digt vor, jetzt hielt ich es bereits für eine Abwech- ſelung, eine Erholung gegen dies todte, bleierne Einerlei, was mich umgiebt, was nur zuweilen vom Raſſeln jener Kette unterbrochen wird. Da-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/90
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/90>, abgerufen am 31.10.2024.