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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

Unter den Neubauten von Calais und der aufblühenden Schwester-
stadt beansprucht keine eine höhere Beachtung. Beide Städte be-
sitzen hübsche, gerade laufende Strassen mit anmuthigen Prome-
naden.

Auf dem Strande zwischen der See und dem grossen Bassin
des Chasses, welches im Nordosten von Calais erbaut wurde, liegen
die eleganten Gebäude der Seebäder, welche viel und gerne besucht
der Vereinigungsort der schönen Welt zur Zeit der Saison gewor-
den sind.

Der Hafen hat sehr viel durch die Versandung gelitten. Aus
unserem Hafenplan ist seine Situation und Eintheilung zu ersehen.
Neuester Zeit wurde der Hafen durch das grosse Bassin, dessen wir
bereits erwähnten, erweitert.

Calais liegt nur 40·7 km von Dover, dessen Kreidefelsen an
hellen Tagen sichtbar sind, entfernt, ist daher der am nächsten gegen
die englische Küste vorgeschobene Hafen des französischen Gebietes
und des europäischen Continentes überhaupt. Dieser Umstand erklärt
die bedeutende Frequenz von Calais durch den Personenverkehr zwischen
England und Frankreich. Interessant ist, dass der Passagierverkehr von
und nach England ab Dieppe, Havre und Dünkirchen zusammenge-
nommen kaum den fünften Theil desjenigen ausmacht, welcher
durch Calais und Boulogne den Weg zu nehmen pflegt. So lange
man kein Remedium gegen die Seekrankheit hat, wird wohl dieses
Verhältnis sich erhalten.

Die Schiffahrt an der französischen Küste des Canals begegnet
vielerlei Beschwerlichkeiten. Der flachen Dünenküste sind langgestreckte
Hochgründe mit zahlreichen Sandbänken vorgelagert und bilden gegen
Osten eine sehr gefährliche Barriere, durch welche hindurch nur mit
grösster Vorsicht das Fahrwasser aufgefunden werden kann. Leucht-
schiffe und grosse Bojen, die bis auf 37 km in See vertäut sind,
markiren den Lauf der Durchfahrten oder die Position von besonders
gefährlichen Untiefen.

Aber auch das nächste Seegebiet an der Küste weist infolge
der Gezeiten, die Niveauunterschiede bis zu 6·5 m herbeiführen, eigen-
thümliche Erscheinungen auf.

Zur Zeit der Ebbe liegt ein breiter Strandsaum trocken; bei
Calais erreicht derselbe 1·4 km Breite, und eine starke Gezeitenströ-
mung macht sich bis weit in See fühlbar.

Die sandige Beschaffenheit der Küste machte es nothwendig,
die Häfen durch lange Dämme zu schützen, deshalb haben alle Häfen

Der atlantische Ocean.

Unter den Neubauten von Calais und der aufblühenden Schwester-
stadt beansprucht keine eine höhere Beachtung. Beide Städte be-
sitzen hübsche, gerade laufende Strassen mit anmuthigen Prome-
naden.

Auf dem Strande zwischen der See und dem grossen Bassin
des Chasses, welches im Nordosten von Calais erbaut wurde, liegen
die eleganten Gebäude der Seebäder, welche viel und gerne besucht
der Vereinigungsort der schönen Welt zur Zeit der Saison gewor-
den sind.

Der Hafen hat sehr viel durch die Versandung gelitten. Aus
unserem Hafenplan ist seine Situation und Eintheilung zu ersehen.
Neuester Zeit wurde der Hafen durch das grosse Bassin, dessen wir
bereits erwähnten, erweitert.

Calais liegt nur 40·7 km von Dover, dessen Kreidefelsen an
hellen Tagen sichtbar sind, entfernt, ist daher der am nächsten gegen
die englische Küste vorgeschobene Hafen des französischen Gebietes
und des europäischen Continentes überhaupt. Dieser Umstand erklärt
die bedeutende Frequenz von Calais durch den Personenverkehr zwischen
England und Frankreich. Interessant ist, dass der Passagierverkehr von
und nach England ab Dieppe, Hâvre und Dünkirchen zusammenge-
nommen kaum den fünften Theil desjenigen ausmacht, welcher
durch Calais und Boulogne den Weg zu nehmen pflegt. So lange
man kein Remedium gegen die Seekrankheit hat, wird wohl dieses
Verhältnis sich erhalten.

Die Schiffahrt an der französischen Küste des Canals begegnet
vielerlei Beschwerlichkeiten. Der flachen Dünenküste sind langgestreckte
Hochgründe mit zahlreichen Sandbänken vorgelagert und bilden gegen
Osten eine sehr gefährliche Barrière, durch welche hindurch nur mit
grösster Vorsicht das Fahrwasser aufgefunden werden kann. Leucht-
schiffe und grosse Bojen, die bis auf 37 km in See vertäut sind,
markiren den Lauf der Durchfahrten oder die Position von besonders
gefährlichen Untiefen.

Aber auch das nächste Seegebiet an der Küste weist infolge
der Gezeiten, die Niveauunterschiede bis zu 6·5 m herbeiführen, eigen-
thümliche Erscheinungen auf.

Zur Zeit der Ebbe liegt ein breiter Strandsaum trocken; bei
Calais erreicht derselbe 1·4 km Breite, und eine starke Gezeitenströ-
mung macht sich bis weit in See fühlbar.

Die sandige Beschaffenheit der Küste machte es nothwendig,
die Häfen durch lange Dämme zu schützen, deshalb haben alle Häfen

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[634/0654] Der atlantische Ocean. Unter den Neubauten von Calais und der aufblühenden Schwester- stadt beansprucht keine eine höhere Beachtung. Beide Städte be- sitzen hübsche, gerade laufende Strassen mit anmuthigen Prome- naden. Auf dem Strande zwischen der See und dem grossen Bassin des Chasses, welches im Nordosten von Calais erbaut wurde, liegen die eleganten Gebäude der Seebäder, welche viel und gerne besucht der Vereinigungsort der schönen Welt zur Zeit der Saison gewor- den sind. Der Hafen hat sehr viel durch die Versandung gelitten. Aus unserem Hafenplan ist seine Situation und Eintheilung zu ersehen. Neuester Zeit wurde der Hafen durch das grosse Bassin, dessen wir bereits erwähnten, erweitert. Calais liegt nur 40·7 km von Dover, dessen Kreidefelsen an hellen Tagen sichtbar sind, entfernt, ist daher der am nächsten gegen die englische Küste vorgeschobene Hafen des französischen Gebietes und des europäischen Continentes überhaupt. Dieser Umstand erklärt die bedeutende Frequenz von Calais durch den Personenverkehr zwischen England und Frankreich. Interessant ist, dass der Passagierverkehr von und nach England ab Dieppe, Hâvre und Dünkirchen zusammenge- nommen kaum den fünften Theil desjenigen ausmacht, welcher durch Calais und Boulogne den Weg zu nehmen pflegt. So lange man kein Remedium gegen die Seekrankheit hat, wird wohl dieses Verhältnis sich erhalten. Die Schiffahrt an der französischen Küste des Canals begegnet vielerlei Beschwerlichkeiten. Der flachen Dünenküste sind langgestreckte Hochgründe mit zahlreichen Sandbänken vorgelagert und bilden gegen Osten eine sehr gefährliche Barrière, durch welche hindurch nur mit grösster Vorsicht das Fahrwasser aufgefunden werden kann. Leucht- schiffe und grosse Bojen, die bis auf 37 km in See vertäut sind, markiren den Lauf der Durchfahrten oder die Position von besonders gefährlichen Untiefen. Aber auch das nächste Seegebiet an der Küste weist infolge der Gezeiten, die Niveauunterschiede bis zu 6·5 m herbeiführen, eigen- thümliche Erscheinungen auf. Zur Zeit der Ebbe liegt ein breiter Strandsaum trocken; bei Calais erreicht derselbe 1·4 km Breite, und eine starke Gezeitenströ- mung macht sich bis weit in See fühlbar. Die sandige Beschaffenheit der Küste machte es nothwendig, die Häfen durch lange Dämme zu schützen, deshalb haben alle Häfen

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/654>, abgerufen am 26.04.2024.